»Das ist nichts Neues. Dafür gab es schon lange vor dem Judentum und Christentum einen Namen: die Büchse der Pandora.«
Die Baronin betrachtete ihn zufrieden, als wolle sie ihm jeden Augenblick das Musterschüler-Diplom verleihen.
»Sehr gut, Senor Corso. In der Tat verbringen wir unser Leben und die Jahrhunderte damit, über dieselben Dinge zu reden - nur daß wir ihnen unterschiedliche Namen geben: Isis und die Jungfrau Maria, Mithras und Jesus Christus, der 25. Dezember als Weihnachtstag oder Fest der Wintersonnenwende. Denken Sie bloß an Gregor den Großen, der hat den Missionaren schon im 7. Jahrhundert empfohlen, die heidnischen Feste für die christlichen Feiertage zu verwenden.«
»Das war purer Geschäftsinstinkt. Im Grunde ging es um eine simple Marktoperation: anderen die Kundschaft abspenstig machen. Aber erzählen Sie mir doch, was Sie von Pandorabüchsen, Teufelspakten und ähnlichem wissen.«
»Die Kunst, Teufel in Gefäße oder Bücher einzuschließen, ist sehr alt . Gervasius von Tilbury und Gerson erwähnen sie bereits im 13. und 14. Jahrhundert. Und die Tradition der Teufelspakte ist sogar noch älter: Sie reicht vom Henoch-Buch über die Kabbala bis hin zu den Schriften der Kirchenväter wie des heiligen Hieronymus. Und vergessen wir nicht den Bischof Theophilus, zufälligerweise ein >großer Liebhaber der Weisheit^ den historischen Faust und Roger Bacon. Oder Papst Silvester II., dem nachgesagt wird, er habe den Sarazenen ein Buch geraubt, das alles Wissenswerte enthielt.«
»Dann geht es also darum, Weisheit zu erlangen.«
»Klar. Aus reinem Vergnügen geht keiner am Rande des Abgrunds spazieren. Die gelehrte Dämonologie setzt Luzifer mit der Erkenntnis gleich. In der Genesis erreicht der Teufel in Schlangengestalt, daß der Mensch aufhört, ein debiler Trottel zu sein, und Bewußtsein, Urteilsvermögen, Luzidität erlangt . mit all den Qualen und der Unsicherheit, die dieses Wissen und diese Freiheit mit sich bringen.«
Die nächtliche Unterhaltung mit dem Mädchen war noch zu frisch, als daß Corso nicht unwillkürlich an sie gedacht hätte. Er griff nach den Neun Pforten und ging, unter dem Vorwand, sie noch einmal bei besserem Licht untersuchen zu wollen, zum Fenster, aber das Mädchen war nicht mehr da. Überrascht suchte er die Straße in beiden Richtungen ab, das Flußufer und die Steinbänke unter den Bäumen - vergeblich. Das beunruhigte ihn ein wenig, aber er hatte keine Zeit, sich den Kopf zu zerbrechen, denn Frida Ungern redete bereits wieder auf ihn ein:
»Mögen Sie Rätsel? Probleme, die es zu knacken gilt? Im Grunde genommen geht es nämlich bei dem Buch, das Sie da in der Hand haben, genau darum. Wie alle intelligenten Wesen liebt der Teufel Spiele, Rätselaufgaben, Hindernisläufe, bei denen die Schwachen und Beschränkten auf der Strecke bleiben und nur die überragenden Geister ans Ziel gelangen. Die Initiierten.«
Corso war inzwischen wieder an den Tisch getreten und hatte das Buch offen auf den Tisch gelegt, so daß man die Titelseite sehen konnte: die um einen Baum gewundene Schlange, die sich in den Schwanz beißt. »Wer in dieser Schlange nur einen Wurm sieht, der sich selbst verschlingt, der hat es nicht verdient, mehr zu erfahren.«
»Was kann man mit diesem Buch machen?« fragte Corso.
Die Baronin legte sich einen Finger auf die Lippen, wie der Ritter auf dem Holzschnitt Nummer I. Sie lächelte.
»Der Johannes der Apokalypse sagt, daß unter der Herrschaft des zweiten Tieres, vor der letzten und entscheidenden Schlacht von Armageddon, niemand kaufen oder verkaufen kann, wenn er nicht das Zeichen hat, nämlich den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens. Und Lukas erzählt uns am Ende seines Berichts über die Versuchungen Jesu, daß der dreifach abgewiesene Teufel sich eine Zeitlang zurückzieht und einen günstigeren Augenblick abwartet. Für die ganz Ungeduldigen hat er jedoch verschiedene Wege zum Wissen offengelassen. Einschließlich der Anleitung, wie man zu ihm selbst gelangen kann. Wie man mit ihm einen Pakt schließt.«
»Also seine Seele verkauft.«
Frida Ungern kicherte geheimnisvoll: Miss Marple beim Kaffeeklatsch, wie sie mit ihren Freundinnen über den Teufel tratscht. Du weißt ja noch gar nicht das Neueste über Satan. Das muß ich dir unbedingt erzählen, Peggy.
»Der Teufel ist aus Schaden klug geworden«, sagte sie. »Als er noch jung und naiv war, hat er Fehler begangen, einige Seelen sind ihm in letzter Minute durch die falsche Tür entwischt und haben sich dank der Liebe, der Barmherzigkeit Gottes und ähnlicher Spitzfindigkeiten gerettet. So daß er am Ende nicht darum herumkam, eine Klausel einzuführen, die die bedingungslose Übergabe von Körper und Seele unmittelbar nach Ablauf der Frist vorsieht und keinerlei Vorbehalte einräumt, weder den Anspruch auf zukünftige Erlösung noch das Rechtsmittel der göttlichen Begnadigung. Diese Klausel kommt in den Neun Pforten natürlich auch vor.«
»Miese Welt«, sagte Corso, »wenn sogar Luzifer auf den Trick mit dem Kleingedruckten zurückgreifen muß.«
»Verstehen Sie ihn. Heutzutage wird mit allem geblufft, sogar mit der Seele. Seine Kunden wurden vertragsbrüchig und versuchten, sich dünnzumachen. Der Teufel hatte die Nase voll, und das mit Recht.«
»Was enthält das Buch sonst noch? Was bedeuten die neun Holzschnitte?«
»Im Prinzip handelt es sich um Hieroglyphen, die entschlüsselt werden müssen. In Verbindung mit dem Text verhelfen sie zur Macht. Sie verbergen die magische Formel für den Namen, mit dem sich der Teufel beschwören läßt.«
»Und funktioniert die Formel?«
»Nein. Sie ist falsch.«
»Haben Sie es selbst ausprobiert?«
Frida Ungern wirkte empört.
»Aber ich bitte Sie! Sie glauben doch nicht im Ernst, daß eine Frau mit siebzig Jahren an spiritistischen Sitzungen teilnimmt und versucht, den Satan auf den Plan zu rufen! Die Galane altern auch, und wenn sie in ihrer Jugend dreimal wie John Barrymore ausgesehen haben. Eine Enttäuschung in meinem Alter, wissen Sie, was das bedeuten würde? Nein, nein, da bleibe ich lieber meinen Jugenderinnerungen treu.«
Corso tat überrascht.
»Ich dachte, Sie und der Teufel ... Ihre Leser halten Sie für eine Art schwärmerischer Hexe.«
»Dann irren sie sich gewaltig. Was ich beim Teufel suche, ist Geld, keine Emotionen.« Ihr Blick wanderte durchs Zimmer und dann zum Fenster. »Ich habe das ganze Vermögen meines Mannes für diese Bibliothek ausgegeben und lebe einzig von meinen Urheberrechten.«
»Die aber bestimmt nicht zu verachten sind. Schließlich sind Sie die unumstrittene Königin der Kaufhausbuchabteilungen .«
»Schon, aber das Leben ist teuer, Senor Corso. Sehr teuer, vor allem, wenn man sich mit Leuten wie unserem Freund Monte-grifo arrangieren muß, um an die seltenen Exemplare ranzukommen, die einem noch fehlen. Mit dem Teufel läßt sich heutzutage gutes Geld verdienen, das ist alles. Ich bin jetzt siebig, und in diesem Alter kann man seine Zeit nicht mit Altjungfer-Spinnereien verplempern. Verstehen Sie, was ich meine?«
Jetzt war es Corso, der lächelte.
»Bestens.«
»Wenn ich Ihnen sage«, fuhr die Baronin fort, »daß dieses Buch eine Fälschung ist, so deshalb, weil ich es gründlich studiert habe. Irgend etwas funktioniert daran nicht. Es hat Lücken, Leerstellen. Das meine ich natürlich im übertragenen Sinne, denn die Ausgabe selbst ist komplett. Mein Exemplar hat Madame de Montespan gehört, einer Geliebten Ludwigs XIV. und satanischen Oberpriesterin, die es geschafft hat, die Schwarze Messe zu einem festen Bestandteil des höfischen Lebens zu machen. Es gibt einen Brief der Montespan an ihre Freundin und Vertraute Madame de Peyrolles, in dem sie sich über die Mängel eines Buches beschwert und ausdrücklich schreibt: Es behandelt sämtliche Themen, die auch von den Weisen als notwendig erachtet werden, und doch enthält es Unklarheiten, eine Art Spiel mit Worten, die man nie in die richtige Reihenfolge bekommt.«
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