»Was ist damit?«
»Ihretwegen bin ich hier. Sie haben meinen Brief doch bekommen, oder?«
»Ihren Brief? Ach ja, natürlich. Jetzt erinnere ich mich wieder. Sie müssen mich entschuldigen, doch das alles hat mich ein wenig mitgenommen ... Die Neun Pforten, aber ja.«
Fargas schaute sich verwirrt um - ein Schlafwandler, den man brüsk geweckt hat. Er wirkte auf einmal sehr erschöpft, als habe er eine große Anstrengung hinter sich. Er hob den Finger zum Zeichen, daß er einen Augenblick nachdenken wollte, und steuerte dann hinkend auf eine Ecke des Salons zu. Dort waren etwa fünfzig Bände auf einem verschossenen französischen Gobelin angeordnet, auf dessen Resten man gerade noch den Sieg Alexanders des Großen über Darius erkennen konnte.
»Wußten Sie«, fragte Fargas, indem er auf die kunstvoll gewirkte Darstellung deutete, »daß Alexander die Schatztruhe seines Rivalen dazu verwendet hat, die Werke Homers aufzubewahren?« Er nickte zufrieden mit dem Kopf, während er das zerfaserte Profil des Makedoniers betrachtete. »Ein Bruder der Bibliophilie. Anständiger Kerl.«
Corso scherte sich einen Dreck um die literarischen Neigungen Alexanders des Großen. Er war in die Hocke gegangen und las die Titel auf den Rücken und Deckeln einiger Bücher. Es handelte sich durchweg um alte Traktate der Magie, Alchemie und Dämonologie: Les trois livres de l’Art, Destructor omnium rerum, Disertazioni sopra le apparizioni de ’ spiriti e diavoli, De origine, moribus et rebus gestis Satanae ...
»Was halten Sie davon?« fragte Fargas.
»Nicht schlecht.«
Der Bibliophile stieß ein lustloses Lachen aus. Er hatte sich neben Corso auf den Gobelin gekniet, ließ seine Hände mechanisch über die Bücher gleiten und vergewisserte sich, daß keines von ihnen auch nur einen Millimeter verrückt worden war, seit er sie zum letztenmal abgeschritten hatte.
»Nicht schlecht. Allerdings. Mindestens zehn davon sind Exemplare von höchster Seltenheit. Diesen Teil der Bibliothek habe ich von meinem Großvater geerbt. Er war ein Anhänger der Geheimlehren, und außerdem Hobby-Astrologe und Freimaurer ... Schauen Sie: Das ist ein Klassiker, das Dictionnaire infernale von Collin de Plancy in der ersten Ausgabe von 1842. Und das hier ist das Compendi dei secreti von Leonardo Fioravanti, 1571 gedruckt ... Bei dem kuriosen Duodezband dort drüben handelt es sich um die zweite Ausgabe des Buches der Wunder.« Er öffnete ein anderes und zeigte Corso einen Stich. »Sehen Sie sich diese Isis an ... Wissen Sie, was das ist?«
»Klar. Der Oedipus Aegiptiacus von Athanasius Kircher.«
»Genau. Die römische Ausgabe von 1652.« Fargas legte das Buch an seinen Platz zurück und nahm ein anderes zur Hand, dessen Einband Corso wohl bekannt war: schwarzes Leder, fünf Bünde, ohne Titel und mit einem Pentagramm auf dem Deckel. »Und hier ist das Stück, das Sie suchen: De Umbrarum Regni Novem Partis. Die neun Pforten ins Reich der Schatten.«
Corso bekam wider Willen eine Gänsehaut. Von außen betrachtet war dieser Band völlig identisch mit dem, der sich in seiner Segeltuchtasche befand. Fargas reichte ihm das Buch, und er richtete sich auf, während er es durchblätterte. Die beiden Exemplare glichen sich wie ein Ei dem anderen - oder doch beinahe. Bei diesem hier war das Leder des hinteren Deckels ein bißchen abgeschabt, und auf dem Rücken konnte man noch die Spur eines Schildchens erkennen, das aufgeklebt und dann wieder abgerissen worden war. Aber im übrigen war es so tadellos in Ordnung wie das Exemplar Varo Borjas, einschließlich der völlig unversehrten Bildtafel Nummer VIIII.
»Vollständig und in einwandfreiem Zustand«, sagte Fargas, das Mienenspiel Corsos richtig deutend. »Seit dreieinhalb Jahrhunderten wandert es auf der Welt umher, und wenn man es aufschlägt, wirkt es so frisch, als käme es gerade aus der Presse . Man könnte fast meinen, der Drucker habe den Teufel beschwört und einen Pakt mit ihm geschlossen.«
»Womöglich hat er das ja«, erwiderte Corso.
»Die Formel wüßte ich gern.« Der Bibliophile deutete mit einer ausholenden Armbewegung auf den desolaten Raum und die Bücherreihen auf dem Boden. »Meine Seele, um das alles konservieren zu können.«
»Warum versuchen Sie es nicht?« Corso zeigte auf die Neun Pforten. »Angeblich steckt die Formel da drin.«
»Diesen Quatsch habe ich nie geglaubt - obwohl es vielleicht an der Zeit wäre, damit anzufangen. Finden Sie nicht? Nach dem Sprichwort: In der Not frißt der Teufel Fliegen.«
»Ist das Exemplar in Ordnung? Haben Sie irgend etwas Ungewöhnliches an ihm bemerkt?«
»Nein, nicht das geringste. Es fehlen keine Seiten, und die Stiche sind auch alle beisammen: neun an der Zahl und die Titelseite. Alles noch genau so wie am Anfang des Jahrhunderts, als mein Großvater es gekauft hat. Es stimmt mit den Katalogen überein und mit den anderen beiden Exemplaren: dem von Ungern in Paris und dem von Terral-Coy.«
»Ehemals Terral-Coy. jetzt befindet es sich in der Sammlung Varo Borja in Toledo.«
Diese Worte mußten den Bibliophilen alarmiert haben, denn Corso fiel auf, daß sein Blick plötzlich wieder mißtrauisch wurde.
»Sagten Sie Varo Borja?« Er war drauf und dran, noch etwas hinzuzufügen, aber er machte im letzten Moment einen Rückzieher. »Eine bemerkenswerte Sammlung. Und sehr bekannt.« Fargas wanderte erneut im Zimmer auf und ab und betrachtete dann die Bücher auf dem Gobelin. »Varo Borja«, wiederholte er nachdenklich. »Ein Experte für Dämonologie, nicht wahr? Steinreicher Antiquar. Er ist seit Jahren hinter dieser Ausgabe der Neun Pforten her, bereit, jeden Preis zu bezahlen ... Ich wußte nicht, daß er an ein anderes Exemplar gekommen ist. Und Sie arbeiten für ihn?«
»Gelegentlich«, gab Corso zu.
Der andere schüttelte verwundert den Kopf und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder den Büchern auf dem Boden zu. »Eigenartig, daß er ausgerechnet Sie schickt. Schließlich sind Sie .«
Er ließ den Satz unbeendet und heftete seinen Blick auf Corsos Tasche.
»Haben Sie das Buch dabei? Darf ich es einmal sehen?«
Sie gingen zu dem Tisch, und Corso legte sein Exemplar neben das von Fargas. Der Atem des Bibliophilen wurde kürzer, und sein Gesicht nahm wieder den Ausdruck ekstatischer Verzückung an.
»Sehen Sie sich die Bücher genau an.« Er sprach leise, als fürchte er, an ein Geheimnis zu rühren, das zwischen diesen Seiten schlummerte. »Sie sind perfekt, wunderschön und identisch. Zwei von den drei Exemplaren, die dem Feuer entronnen sind, seit dreihundertfünfzig Jahren zum erstenmal beieinander . « Seine Hände zitterten jetzt wieder, und er massierte sich die Pulsadern an den Handgelenken, um sein wallendes Blut ein wenig zu beruhigen. »Beachten Sie den Druckfehler auf Seite 72. Und das gebrochene »s« in der vierten Zeile auf Seite 87. Dasselbe Papier, derselbe Druck ... Ist das nicht phantastisch?«
»Doch.« Corso räusperte sich. »Und ich würde gern eine Weile hier bleiben. Um sie ernsthaft zu studieren.«
Fargas musterte ihn scharf. Er schien zu zweifeln.
»Wie Sie möchten«, sagte er endlich. »Aber wenn es sich bei Ihrem Exemplar um das von Terral-Coy handelt, steht seine
Echtheit außer Frage.« Er beobachtete Corso neugierig, als wolle er in seinen Gedanken lesen. »Das sollte Varo Borja eigentlich wissen.«
»Wahrscheinlich weiß er das auch.« Corso setzte ein neutrales Lächeln auf. »Aber ich werde dafür bezahlt, daß ich es überprüfe.« Er lächelte immer noch - nun war einer der heikelsten Punkte erreicht. »Apropos ... Wo wir schon von Bezahlung sprechen: Ich bin dazu autorisiert, Ihnen ein Angebot zu machen.«
Die Neugier des Bibliophilen schlug in Mißtrauen um.
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