Johann von Goethe - [Einleitung zu:] Thomas Carlyle, Leben Schillers
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Thomas Carlyle
[Einleitung zu:] Thomas Carlyle, Leben Schillers
Als gegen Ende des vergangenen Jahres ich die angenehme Nachricht erhielt, dass eine mir freundlich bekannte Gesellschaft, welche bisher ihre Aufmerksamkeit inländischer Literatur gewidmet hatte, nunmehr dieselbe auf die ausländische zu wenden gedenke, konnte ich in meiner damaligen Lage nicht ausführlich und gründlich genug darlegen, wie sehr ich ein Unternehmen, bey welchen man auch meiner auf das geneigteste gedacht hatte, zu schätzen wisse.
Selbst mit gegenwärtigem öffentlichen Ausdruck meines dankbaren Antheils geschieht nur fragmentarisch was ich im bessern Zusammenhang zu überliefern gewünscht hätte. Ich will aber auch das wie es mir vorliegt nicht zurückweisen, indem ich meinen Hauptzweck dadurch zu erreichen hoffe, dass ich nämlich meine Freunde mit einem Manne in Berührung bringe, welchen ich unter diejenigen zähle, die in späteren Jahren sich an mich thätig angeschlossen, mich durch eine mitschreitende Theilnahme zum Handeln und Wirken aufgemuntert, und durch ein edles, reines wohlgerichtetes Bestreben wieder selbst verjüngt, mich, der ich sie heranzog, mit sich fortgezogen haben. Es ist der Verfasser des hier übersetzten Werkes, Herr Thomas Carlyle, ein Schotte, von dessen Thätigkeit und Vorzügen, so wie von dessen näheren Zuständen nachstehende Blätter ein Mehreres eröffnen werden.
Wie ich denselben und meine Berliner Freunde zu kennen glaube, so wird zwischen ihnen und ihm eine frohe wirksame Verbindung sich einleiten und beide Theile werden, wie ich hoffen darf, in einer Reihe von Jahren sich dieses Vermächtnisses und seines fruchtbaren Erfolges zusammen erfreuen, so dass ich ein fortdauerndes Andenken, um welches ich hier schliesslich bitten möchte, schon als dauernd gegönnt, mit anmuthigen Empfindungen voraus geniessen kann.
in treuer Anhänglichkeit und Theilnahme.Weimar April
1830.
J. W. v. Goethe.Es ist schon einige Zeit von einer allgemeinen Weltliteratur die Rede und zwar nicht mit Unrecht: denn die sämmtlichen Nationen, in den fürchterlichsten Kriegen durcheinander geschüttelt, sodann wieder auf sich selbst einzeln zurückgeführt, hatten zu bemerken, dass sie manches Fremde gewahr worden, in sich aufgenommen, bisher unbekannte geistige Bedürfnisse hie und da empfunden. Daraus entstand das Gefühl nachbarlicher Verhältnisse, und anstatt dass man sich bisher zugeschlossen hatte, kam der Geist nach und nach zu dem Verlangen, auch in den mehr oder weniger freyen geistigen Handelsverkehr mit aufgenommen zu werden.
Diese Bewegung währt zwar erst eine kurze Weile, aber doch immer lang genug, um schon einige Betrachtungen darüber anzustellen, und aus ihr bald möglichst, wie man es im Waarenhandel ja auch thun muss, Vortheil und Genuss zu gewinnen.
Gegenwärtiges, zum Andenken Schillers, geschriebene Werk kann, übersetzt, für uns kaum etwas Neues bringen; der Verfasser nahm seine Kenntnisse aus Schriften, die uns längst bekannt sind, so wie denn auch überhaupt die hier verhandelten Angelegenheiten bey uns öfters durchgesprochen und durchgefochten worden.
Was aber den Verehrern Schillers, und also einem jeden Deutschen, wie man kühnlich sagen darf, höchst erfreulich seyn muss, ist: unmittelbar zu erfahren, wie ein zartfühlender, strebsamer, einsichtiger Mann über dem Meere, in seinen besten Jahren, durch Schillers Productionen berührt, bewegt, erregt und nun zum weitern Studium der deutschen Literatur angetrieben worden.
Mir wenigstens war es rührend, zu sehen, wie dieser, rein und ruhig denkende Fremde, selbst in jenen ersten, oft harten, fast rohen Productionen unsres verewigten Freundes, immer den edlen, wohldenkenden, wohlwollenden Mann gewahr ward und sich ein Ideal des vortrefflichsten Sterblichen an ihm auferbauen konnte.
Ich halte deshalb dafür dass dieses Werk, als von einem Jüngling geschrieben, der deutschen Jugend zu empfehlen seyn möchte: denn wenn ein munteres Lebensalter einen Wunsch haben darf und soll, so ist es der: in allem Geleisteten das Löbliche, Gute, Bildsame, Hochstrebende, genug das Ideelle, und selbst in dem nicht Musterhaften, das allgemeine Musterbild der Menschheit zu erblicken.
Ferner kann uns dieses Werk von Bedeutung seyn, wenn wir ernstlich betrachten: wie ein fremder Mann die Schillerischen Werke, denen wir so mannigfaltige Kultur verdanken, auch als Quelle der seinigen schätzt, verehrt und dies, ohne irgend eine Absicht, rein und ruhig zu erkennen giebt.
Eine Bemerkung möchte sodann hier wohl am Platze seyn: dass sogar dasjenige, was unter uns beynahe ausgewirkt hat, nun, gerade in dem Augenblicke welcher auswärts der deutschen Literatur günstig ist, abermals seine kräftige Wirkung beginne und dadurch zeige, wie es auf einer gewissen Stufe der Literatur immer nützlich und wirksam seyn werde.
So sind z. B. Herders Ideen bey uns dergestalt in die Kenntnisse der ganzen Masse übergegangen, dass nur wenige, die sie lesen, dadurch erst belehrt werden, weil sie, durch hundertfache Ableitungen, von demjenigen was damals von grosser Bedeutung war, in anderem Zusammenhange schon völlig unterrichtet worden. Dieses Werk ist vor kurzem ins Französische übersetzt; wohl in keiner andern Ueberzeugung als dass tausend gebildete Menschen in Frankreich sich immer noch an diesen Ideen zu erbauen haben.
In Bezug auf das dem gegenwärtigen Bande vorgesetzte Bild sey folgendes gemeldet: Unser Freund, als wir mit ihm in Verhältniss traten, war damals in Edinburgh wohnhaft, wo er in der Stille lebend, sich im besten Sinne auszubilden suchte, und, wir dürfen es ohne Ruhmredigkeit sagen, in der deutschen Literatur hiezu die meiste Förderniss fand.
Später, um sich selbst und seinen redlichen literarischen Studien unabhängig zu leben, begab er sich, etwa zehen deutsche Meilen südlicher, ein eignes Besitzthum zu bewohnen und zu benutzen, in die Grafschaft Dumfries. Hier, in einer gebirgigen Gegend, in welcher der Fluss Nithe dem nahen Meere zuströmt, ohnfern der Stadt Dumfries, an einer Stelle welche Craigenputtock genannt wird, schlug er mit einer schönen und höchst gebildeten Lebensgefährtin seine ländlich einfache Wohnung auf, wovon treue Nachbildungen eigentlich die Veranlassung zu gegenwärtigem Vorworte gegeben haben.
Gebildete Geister, zartfühlende Gemüther, welche nach fernem Guten sich bestreben, in die Ferne Gutes zu wirken geneigt sind, erwehren sich kaum des Wunsches, von geehrten, geliebten, weitabgesonderten Personen das Portrait, sodann die Abbildung ihrer Wohnung, so wie der nächsten Zustände, sich vor Augen gebracht zu sehen.
Wie oft wiederholt man noch heutiges Tags die Abbildung von Petrarch’s Aufenthalt in Vaucluse, Tasso’s Wohnung in Sorent! Und ist nicht immer die Bieler Insel, der Schutzort Rousseau’s, ein seinen Verehrern nie genugsam dargestelltes Local?
In eben diesem Sinne hab’ ich mir die Umgebungen meiner entfernten Freunde im Bilde zu verschaffen gesucht, und ich war um so mehr auf die Wohnung Hrn. Thomas Carlyle begierig, als er seinen Aufenthalt in einer fast rauhen Gebirgsgegend unter dem 55ten Grade gewählt hatte.
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