Von Marlow an wird es sogar noch schöner. Die große Abtei zu Bisham, deren Steinmauern vormals von den Rufen der Tempelritter widerhallten, wo einst Anna von Cleve und später die Königin Elisabeth Hof hielt, ist reich an romantischen Eigentümlichkeiten. Sie enthält ein mit Gobelins tapeziertes Schlafzimmer, und ein geheimes Gemach ist hoch oben zwischen dicken Mauern verborgen, wo der Geist der Lady Holy, die ihren kleinen Knaben zu Tode quälte, noch heute bei Nacht umgehen und versuchen soll, seine Geisterhände in einem Geisterbecken reinzuwaschen.
Hier ruht auch Warwick, der Königsmacher, und kümmert sich nun nicht mehr um solch kleinliche Dinge, wie die Könige und Königreiche dieser Welt. Auch Salisbury, der bei Poitiers so gute Dienste tat.
Unter den Buchen von Bisham fuhr Shelley, der damals in Marlow lebte (wo man sein Haus noch heute in der Weststraße sehen kann), in seinem Boote auf und ab und verfaßte seine »Revolution des Islam«.
Bei dem Wehr, von Hurley ein wenig weiter oben, habe ich oft gedacht: Hier könnte ich einen ganzen Monat bleiben, ohne daß mir die Zeit reichen würde, all die Schönheit der Landschaft in mich aufzunehmen. Das Dorf ist eines der ältesten am Flusse. Ein wenig weiter hinauf, in einer reizenden Biegung des Stromes, liegen die Trümmer der Medmenham-Abtei.
Die berüchtigten Mönche von Medmenham oder die »Höllenfeuergesellschaft«, wie sie gewöhnlich genannt wurden, bildeten eine Brüderschaft, deren Wahlspruch war: »Tu, was dir beliebt«; – und dieser Spruch ist heute noch auf dem zerfallenen Eingangstore zu lesen. Viele Jahre früher, ehe diese verrottete Abtei mit ihrer Verbrüderung von frechen Spöttern begründet wurde, stand auf demselben Platze ein Kloster von ernsthafterer Art, dessen Mönche einen anderen Typus vertraten als jene Epikureer, die fünfhundert Jahre später auf sie folgten. Die Zisterzienser, deren Abtei im dreizehnten Jahrhundert hier stand, trugen keine gewebten Kleider, sondern grobe Röcke und Kapuzen, aus Tierhäuten bereitet; sie aßen weder Fleisch noch Fisch, noch Eier. Sie schliefen auf Stroh und erhoben sich um Mitternacht, um Messe zu lesen. Ihre Tage verbrachten sie mit Arbeit, mit Lesen und Beten, und über ihrem ganzen Leben lag die tödlichste Stille ausgebreitet, denn keiner von ihnen sprach ein Wort.
Eine traurige Brüderschaft, die an diesem lieblichen Plätzchen, das Gott so schön erschaffen hatte, ein trauriges Leben führte!
Wie seltsam! Die Stimme der ganzen Natur ringsum, der sanfte Gesang des vorbeiflutenden Wassers, das Geflüster des Ufergrases, in dem der Wind spielt, sollte ihnen das alles nicht eine richtigere Lebensansicht beigebracht haben? Da lauschten sie den ganzen Tag in tiefsinnigem Schweigen und warteten auf eine Stimme vom Himmel, und den ganzen Tag lang und in der feierlichen Herrlichkeit der Nacht sprach diese Stimme in tausend und abertausend Tönen zu ihnen und dennoch hörten sie sie nicht.
Von Medmenham an ist der Fluß zunächst voll friedlicher Schönheit; von Greenlands an wird er etwas öde und eintönig, bis man über Henley hinaus ist.
Am Montag Morgen standen wir in Marlow ziemlich früh auf und wollten vor dem Frühstück noch ein Bad nehmen. Als wir davon zurückkamen, spielte sich unser Montmorency als ein furchtbarer Esel auf. Der einzige Gegenstand, worüber ich und Montmorency verschiedener Ansicht sind, das sind Katzen. Ich mag die Katzen, aber Montmorency mag sie nicht. Wenn ich einer Katze begegne, so bleibe ich stehen und schmeichle ihr: »Miezi, liebe Miezi«. Dann beuge ich mich zu ihr hinab und streichle sie sachte am Hinterkopf. Darauf krümmt die Katze wohlgefällig den Rücken, streckt ihren Schwanz bolzgerade in die Höhe, reibt ihre Nase an meinen Hosen und alles ist eitel Gefälligkeit und Frieden. Aber wenn Montmorency einer Katze begegnet, dann kommt die ganze Straße in Aufregung, und in zehn Sekunden werden da mehr wüste Ausdrücke verschwendet, als ein anderer ehrenwerter Mann sein ganzes Leben lang brauchen würde, wenn er sie ein wenig zu Rat hielte.
Ich tadle den Hund nicht; in der Regel begnüge ich mich, ihm eins an die Ohren zu hauen oder Steine nach ihm zu werfen, denn ich denke, es liegt dies nun einmal in seiner Natur. Foxterriers kommen mit mindestens viermal so viel Erbsünden auf die Welt als andere Hunde; und wir Christen brauchen Jahre um Jahre geduldiger Anstrengung, um eine nennenswerte Milderung der Sitten eines Foxterriers hervorzubringen. Ich erinnere mich, wie ich eines Tages in die Vorhalle des Haymarket Warenlagers trat und da eine Menge Hunde, die auf ihre drinnen in den Läden befindlichen, Einkäufe machenden Herren warteten, herumlungern sah. Da waren ein Bullenbeißer, ein paar Spitzhunde, ein Bernhardiner, einige Jagdhunde und Neufundländer, ein Rattenfänger, ein französischer Pudel mit dichtem Haar rings um den Kopf, aber sonst ganz kahl geschoren, eine Bulldogge, einige winzig kleine Schoßhündchen und ein paar Yorkshirehunde.
Da saßen und lagen sie alle friedfertig, gutmütig und in tiefe Gedanken versunken. Eine feierlich friedliche Stille schien in dieser Halle zu herrschen. Ein Zug von Ruhe und Ergebung, eine sanfte Trauer erfüllte den Raum. Nun trat eine reizende junge Dame herein; sie hatte einen sanft dreinschauenden kleinen Foxterrier an der Leine, welchen sie zwischen der Bulldogge und dem Pudel angebunden zurückließ. Das Hündchen legte sich nieder und schaute sich ungefähr eine Minute lang um. Dann richtete es seinen Blick in die Höhe und schien, nach dem Ausdruck seines Gesichts zu urteilen, an seine Mutter zu denken; hierauf gähnte es; dann schaute es wieder auf die andern Hunde, die alle so still, so ernst und würdevoll dalagen.
Es schaute die Bulldogge an, die zu seiner Rechten fest schlief. Es schaute den Pudel an, der aufrecht und vornehm zu seiner Linken sah. Und plötzlich, ohne jedwede Kriegserklärung, ohne auch nur im mindesten herausgefordert worden zu sein, biß es den Pudel in eines seiner Vorderbeine, und ein schmerzliches Geheul drang durch die vorher so friedliche Halle. Das Ergebnis dieses ersten Versuchs mußte dem Hündchen sehr befriedigend erschienen sein; denn es beschloß, in der Weise fortzufahren und etwas Leben in die Gesellschaft zu bringen. Es sprang über den Pudel weg und machte einen lebhaften Angriff auf einen Spitzer; dieser erwachte und fing sofort mit dem Pudel Streit an. Dann kam das liebe Hündchen wieder an seinen Platz zurück, packte die Bulldogge am Ohr und versuchte, sie zu vertreiben. Die Bulldogge ihrerseits, ein merkwürdig unparteiisches Vieh, schnappte ohne Unterschied nach allem, was sie erreichen konnte, den Aufseher der Vorhalle mit inbegriffen, was dem lieben, kleinen Hündchen das Feld frei ließ, um eine ununterbrochene Fehde mit einem ebenso streitlustigen Yorkshirehunde zu genießen.
Einem Kenner der Hundenatur braucht nicht erst gesagt zu werden, daß mittlerweile alle anwesenden Hunde so grimmig miteinander fochten, als ob sie Haus und Hof zu verteidigen hätten. Die großen Hunde fochten ohne Unterschied miteinander, die kleinen unter sich und füllten die Zeit, die ihnen dazwischen frei blieb, damit aus, die großen in die Beine zu beißen. Die ganze Halle war in einem Höllenaufruhr und der Lärm wahrhaft ohrenzerreißend. In der Straße draußen sammelten sich die Leute an und fragten, ob da Gemeindeversammlung gehalten werde, oder, wenn das nicht, wer denn ermordet worden sei, und warum? Männer kamen mit Stangen und starken Stricken herbei und versuchten, die Hunde auseinander zu bringen, einige liefen fort, um die Polizei zu holen.
Während der Aufruhr am wildesten tobte, kam die reizende junge Dame wieder heraus und nahm ihr liebes, kleines Hündchen wieder in die Arme. Es hatte eben den Yorkshirehund auf einen Monat lahm gebissen und schaute jetzt so unschuldig drein wie ein neugeborenes Lämmchen; dann küßte sie es und fragte es, ob man es denn gemordet habe, und was diese großen, wüsten Hunde ihm getan hätten; es schmiegte sich fest an sie und schaute sie an mit einem Blick, der zu sagen schien: »O, wie froh bin ich, daß du endlich gekommen bist, mich aus dieser schändlichen Gesellschaft fortzubringen!«
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