Zehn Minuten später
RE:
Meister Leo, das macht mich wahnsinnig, dass Sie so sicher sind zu wissen, wie ich aussehe! Das ist ziemlich impertinent von Ihnen. So, das hat auch einmal gesagt werden müssen. Eine Frage noch: Wenn Sie dieses konturenscharfe Fantasiebild von mir betrachten, Leo, gefalle ich Ihnen da wenigstens?
Acht Minuten später
AW:
Gefallen, gefallen, gefallen. Ist das wirklich so wichtig?
Fünf Minuten später
RE:
Ja, das ist total wichtig, Herr Moraltheologe. Zumindest für mich. Ich mag 1.) Gefallen finden. Und ich mag 2.) gefallen.
Sieben Minuten später
AW:
Reicht es nicht, wenn Sie 3.) sich selbst gefallen?
Elf Minuten später
RE:
Nein, dafür bin ich viel zu unbescheiden. Außerdem gefällt man sich ein bisschen leichter, wenn man anderen gefällt. Sie wollen 4.) vermutlich nur Ihrer Mailbox gefallen, stimmt's? Die ist geduldig. Dafür müssen Sie nicht einmal Zähne putzen. Haben Sie übrigens noch welche? Oder ist das auch nicht so wichtig?
Neun Minuten später
AW:
Endlich habe ich wieder für die Anregung von Emmis Blutkreislauf gesorgt. Um das Thema vorläufig abzuschließen: Das Fantasiebild von Ihnen gefällt mir außerordentlich gut, sonst würde ich nicht so oft daran denken, liebe Emmi.
Eine Stunde später
RE:
Sie denken also oft an mich? Das ist schön. Ich denke auch oft an Sie, Leo. Vielleicht sollten wir uns wirklich nicht treffen. Gute Nacht!
Am nächsten Tag
Betreff: Prost
Hallo Leo, verzeihen Sie die späte Störung. Sind Sie zufällig online? Trinken wir ein Glas Rotwein? Jeder für sich allein natürlich. Es ist schon mein drittes Glas, müssen Sie wissen. (Wenn Sie prinzipiell keinen Wein trinken, dann lügen Sie mich bitte an und sagen Sie, Sie trinken gerne ab und zu ein Glas oder eine Flasche Wein, also alles mit Maß und ohne Ziel. Ich kann nämlich zwei Arten von Männern nicht ausstehen: Betrunkene und Asketen.)
RE:
Ein viertes trinke ich noch, bevor ich bewusstlos werde. Ihre letzte Chance für heute.
RE:
Schade. Sie haben was versäumt. Ich denke an Sie. Gute Nacht.
Am nächsten Tag
Betreff: Schade
Liebe Emmi, das tut mir wirklich Leid, dass ich unsere romantische Mitternachtseinlage vor dem jeweiligen Computer versäumt habe. Ich hätte sofort ein Glas mit Ihnen, auf Sie und gegen die virtuelle Anonymität getrunken. Hätte es auch Weißwein sein dürfen? Ich trinke lieber weiß als rot. Nein, ich muss Sie zum Glück nicht anlügen: Ich bin weder oft betrunken noch immer ein Asket. Also zehnmal eher bin ich betrunken als ein Asket, zehnmal eher und zwanzigmal öfter. Marlene zum Beispiel (erinnern Sie sich?), Marlene hat keinen Tropfen Alkohol getrunken. Sie hat ihn nicht vertragen. Und was noch schlimmer war: Sie hat keinen Tropfen Alkohol vertragen, den ich getrunken habe. Verstehen Sie? Das sind so die Dinge, wo man beginnt, emotionell gegeneinander zu leben. Zum Trinken gehören immer zwei oder keiner. Also, wie gesagt: Ewig schade, dass ich Ihr verlockendes Angebot gestern Nacht nicht annehmen konnte. Ich bin leider viel zu spät nach Hause gekommen. Auf ein anderes Mal, Ihr Online-Trinkkamerad in spe, Leo.
20 Minuten später
RE:
Viel zu spät nach Hause gekommen? Leo, Leo, wo treiben Sie sich in der Nacht herum? Sagen Sie bloß, da kündigt sich eine Marlene-Nachfolgerin an. Wenn das der Fall ist, müssen Sie mich umgehend und im Detail über diese Frau informieren, damit ich sie Ihnen ausreden kann. Meine Intuition sagt mir nämlich, dass Sie sich momentan nicht binden sollten, Sie sind noch nicht bereit für die nächste Beziehung. Sie haben ohnehin mich. Und Ihre Fantasievorstellung von mir kommt Ihrem Frauenideal sicher näher als irgendeine dahergelaufene Bekanntschaft aus einer vermutlich in rotem Plüsch gehaltenen Bar (für einsame graupelbärige Professorentypen) um zwei Uhr nachts, oder wie spät es auch immer war. Also bleiben Sie künftig bitte daheim, trinken wir ab und zu gegen Mitternacht simultan ein Glas Wein aufeinander (ja, es darf ausnahmsweise auch Weißwein sein). Und danach sind Sie müde und gehen schlafen, damit Sie am nächsten Tag wieder fit für neue E-Mails an Ihre Fantasiegöttin Emmi Rothner sind. Machen wir es so?
Zwei Stunden später
AW:
Liebe Emmi, ach, ist das angenehm, wieder einmal so einen richtig bezaubernden Ansatz einer Eifersuchtsszene erleben zu können. Ich weiß schon: Das war natürlich italienisch konstruiert, aber ich habe es trotzdem genossen. Was meine Frauenbekanntschaften anbelangt, so schlage ich vor, dass wir es so halten wie mit Ihrem Ehemann und den beiden Kindern und deren sechs Streifenhörnchen. Dies alles gehört einfach nicht hierher! Uns zwei gibt es hier nur für uns zwei. Wir werden so lange in Kontakt bleiben, bis einem von uns die Luft ausgeht oder die Lust vergeht. Ich glaube nicht, dass ich es sein werde. Schönen Frühlingstag, Ihr Leo.
Zehn Minuten später
RE:
Da fällt mir gerade ein: Was ist aus unserem Verabredungs- und Erkennungsspiel geworden? Wollen Sie nicht mehr? Muss ich mir wegen dieser übernächtigten Plüschbar-Tussi wirklich Sorgen machen? Also, wie wäre es mit übermorgen, Sonntag, 25.3., ab 15 Uhr im überfüllten Großen Messecafé Huber? Machen wir es! Emmi.
20 Minuten später
AW:
Doch, liebe Emmi. Gerne werde ich Sie erkennen. Allerdings ist mein kommendes Wochenende schon verplant. Ich fliege morgen Abend für drei Tage nach Prag, ganz »privat« sozusagen. Aber am nächsten Sonntag können wir unserem Gesellschaftsspiel gerne frönen.
Eine Minute später
RE:
PRAG MIT WEM???
Zwei Minuten später
AW:
Nein, Emmi, wirklich nicht.
35 Minuten später
RE:
Okay, wie Sie wollen (oder nicht wollen). Kommen Sie mir dann aber nicht mit Liebeskummer zurück! Prag ist wie geschaffen für Liebeskummer, vor allem Ende März: Alles grau in grau, und am Abend isst man in einem Lokal, das mit dem dunkelsten braunen Holz der Welt verkleidet ist, vor den Augen eines unterbeschäftigten depressiven Kellners, der aufgehört hat zu leben, nachdem er bei einem Staatsbesuch Breschnjew bedient hat, weiße Knödel und trinkt braunes Bier. Danach geht gar nichts mehr. Warum fliegen Sie nicht nach Rom? Da kommt Ihnen der Sommer entgegen. Also ich würde mit Ihnen nach Rom fliegen. Unser Erkennungsspiel wird übrigens noch warten müssen. Ich bin ab Montag eine Woche Skifahren. Selbstverständlich sage ich Ihnen, meinem vertrauten Schreibkumpanen, mit wem: mit einem Stück Ehemann und zwei Stück Kindern. (Und ohne Streifenhörnchen!) Auf Wurlitzer passen die Nachbarn auf. Wurlitzer ist unser fetter Kater. Er sieht aus wie ein Wurlitzer, hat aber nur eine Platte drauf. Und er hasst Skifahrer, deshalb bleibt er daheim. Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Abend. Emmi.
Fünf Stunden später
RE:
Sind Sie schon zu Hause oder noch in der Dingsa-Plüschbar?
Gute Nacht, Emmi.
Vier Minuten später
AW:
Ich bin schon zu Hause. Ich habe darauf gewartet, dass mich Emmi endlich kontrolliert. So, jetzt kann ich in Ruhe schlafen gehen. Da ich morgen zeitig unterwegs bin, wünsche ich Ihnen und Ihrer Familie jetzt schon eine angenehme Skiwoche. Gute Nacht. Wir lesen uns! Leo.
Drei Minuten später
RE:
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