»Könnte,« sprach Lothar, nach seiner skurrilen Art lächelnd, »könnte meine angenehme Geschichte von den seltsamen Drangsalen des Geheimen Kanzleisekretärs Tusmann nicht wenigstens einen Berliner Almanach zieren? Ich würde nicht unterlassen, die Lokalität noch lokaler zu machen, einige zelebre Namen hinzuzufügen und mir so den Beifall wenigstens des literarisch-ästhetischen Theaterpublikums erwerben [1] Diese Äußerung Lothars zeigt, was er schon damals im Sinne trug. Seine Erzählung, ›die Brautwahl‹, erschien nämlich in der Tat abgedruckt in dem ›Berliner Taschenbuch für das Jahr 20‹, und es sind wirklich zelebre Namen aus der Berliner Kunstwelt genannt und manche Lokalitäten hinzugefügt. Wie gerecht aber der Tadel der Freunde, beweiset der Umstand, daß die Redaktion jenes Taschenbuchs den Verfasser dringend hat, sich künftig doch im Gebiet der Möglichkeit zu halten. D. H.
. Doch nun im Ernste gesprochen, Leute! Habt ihr nicht, während ich las, manchmal recht herzlich gelacht, und sollte das nicht die Strenge eurer Kritik beugen? – Vergleichst du, Ottmar, meine Geschichte mit einer bunten, willkürlich zusammengefügten Mosaik, so sei wenigstens nachgiebig genug, dem Dinge, das du wunderlich toll nennst, eine kaleidoskopische Natur einzuräumen, nach welcher die heterogensten Stoffe, willkürlich durcheinander geschüttelt, doch zuletzt artige Figuren bilden. Wenigstens für artig sollt ihr nämlich manche Figur in meiner ›Brautwahl‹ erkennen, und an die Spitze dieser artigen Personen stelle ich den liebenswürdigen Baron Bensch, der durchaus der Familie des Münzjuden Lippold entsprossen sein muß. – Doch schon viel zu viel von meinem Machwerk, das euch nur als ein bizarrer Scherz für den Augenblick aufregen sollte. Übrigens gewahrt ihr, daß ich meinem Hange, das Märchenhafte in die Gegenwart, in das wirkliche Leben zu versetzen, wiederum treulich gefolgt bin.«
»Und diesen Hang«, begann Theodor, »nehme ich gar sehr in Schutz. Sonst war es üblich, ja Regel, alles, was nur Märchen hieß, ins Morgenland zu verlegen und dabei die Märchen der Dscheherezade zum Muster zu nehmen. Die Sitten des Morgenlandes nur eben berührend, schuf man sich eine Welt, die haltlos in den Lüften schwebte und vor unsern Augen verschwamm. Deshalb gerieten aber jene Märchen meistens frostig, gleichgültig und vermochten nicht den innern Geist zu entzünden und die Phantasie aufzuregen. Ich meine, daß die Basis der Himmelsleiter, auf der man hinaufsteigen will in höhere Regionen, befestigt sein müsse im Leben, so daß jeder nachzusteigen vermag. Befindet er sich dann, immer höher und höher hinaufgeklettert, in einem phantastischen Zauberreich, so wird er glauben, dies Reich gehöre auch noch in sein Leben hinein und sei eigentlich der wunderbar herrlichste Teil desselben. Es ist ihm der schöne prächtige Blumengarten vor dem Tore, in dem er zu seinem hohen Ergötzen lustwandeln kann, hat er sich nur entschlossen, die düstern Mauern der Stadt zu verlassen.«
»Vergiß,« sprach Ottmar, »vergiß aber nicht, Freund Theodor, daß mancher gar nicht die Leiter besteigen mag, weil das Klettern einem verständigen gesetzten Manne nicht ziemt, mancher schon auf der dritten Sprosse schwindlicht wird, mancher aber auch wohl die auf der breiten Straße des Lebens befestigte Leiter, bei der er täglich, ja stündlich vorübergeht, gar nicht bemerkt! – Was aber die Märchen der Tausendundeinen Nacht betrifft, so ist es seltsam genug, daß die mehrsten Nachahmer gerade das übersehen, was ihnen Leben und Wahrheit gibt und was eben auf Lothars Prinzip hinausläuft. All die Schuster, Schneider, Lastträger, Derwische, Kaufleute etc., wie sie in jenen Märchen vorkommen, sind Gestalten, wie man sie täglich auf den Straßen sah, und da nun das eigentliche Leben nicht von Zeit und Sitte abhängt, sondern in der tieferen Bedingung ewig dasselbe bleibt und bleiben muß, so kommt es, daß wir glauben, jene Leute, denen sich mitten in der Alltäglichkeit der wunderbarste Zauber erschloß, wandelten noch unter uns. So groß ist die Macht der Darstellung in jenem ewigen Buch.«
Der Abend wurde kühler und kühler. Des kaum genesenen Theodors halber fanden es daher die Freunde geraten, in den Gartensaal zu treten und statt jedes starken nervenreizenden Getränks in aller Demut und Milde Tee zu genießen.
Als die Teemaschine auf dem Tische stand und wie gewöhnlich ihr Liedchen zischte und summte, sprach Ottmar: »Wahrhaftig, keinen bessern Anlaß hätte ich finden können, euch eine Erzählung vorzulesen, die ich schon vor langer Zeit aufschrieb, und die gerade mit einem Tee beginnt. Zum voraus bemerke ich, daß sie in Cyprians Manier abgefaßt ist.«
Ottmar las:
Diese Äußerung Lothars zeigt, was er schon damals im Sinne trug. Seine Erzählung, ›die Brautwahl‹, erschien nämlich in der Tat abgedruckt in dem ›Berliner Taschenbuch für das Jahr 20‹, und es sind wirklich zelebre Namen aus der Berliner Kunstwelt genannt und manche Lokalitäten hinzugefügt. Wie gerecht aber der Tadel der Freunde, beweiset der Umstand, daß die Redaktion jenes Taschenbuchs den Verfasser dringend hat, sich künftig doch im Gebiet der Möglichkeit zu halten.
D. H.