Nun hatte ich des öfteren von einem Büßer namens Josephus Famulus sprechen hören. Auch zu ihm, so vernahm ich, kamen die Menschen gern zur Beichte, und viele gingen zu ihm lieber als zu mir, denn er sollte ein sanfter, freundlicher Mann sein, und es hieß, er verlange nichts von den Leuten und schelte sie nicht aus, er behandle sie als Brüder, höre sie nur an und entlasse sie mit einem Kuß. Das war nicht meine Art, du weißt es, und als ich die ersten Male von diesem Josephus erzählen hörte, war mir seine Weise eher töricht und allzu kindlich erschienen; aber jetzt, da es mir so sehr fraglich geworden war, ob denn meine eigene Art etwas tauge, hatte ich allen Grund, über die Art dieses Josef mich eines Urteils und Besserwissens zu enthalten. Was für Kräfte mochte dieser Mann haben? Ich wußte, er sei jünger als ich, aber doch auch schon dem Greisenalter nahe, das gefiel mir, zu einem Jungen hätte ich nicht so leicht Vertrauen gefaßt. Zu diesem aber fühlte ich mich hingezogen. Und so entschloß ich mich, zu Josephus Famulus zu pilgern, ihm meine Not zu bekennen und ihn um Rat zu bitten, oder wenn er keinen Rat gab, vielleicht Trost und Stärkung von ihm mitzubekommen. Schon der Entschluß tat mir wohl und erleichterte mich.
Ich trat denn die Reise an und pilgerte dem Ort entgegen, wo es hieß, daß er seine Klause habe. Unterdessen aber hatte Bruder Josef eben dasselbe erlebt wie ich und hatte dasselbe getan wie ich, jeder hatte sich auf die Flucht begeben, um beim andern Rat zu finden. Als ich ihn dann, noch ehe ich seine Hütte gefunden hatte, zu Gesicht bekam, erkannte ich ihn schon beim ersten Gespräch, er sah aus wie der Mann, den ich erwartet hatte. Aber er war auf der Flucht, es war ihm schlecht ergangen, so schlecht wie mir oder noch schlechter, und er war keineswegs gesonnen, Beichten anzuhören, sondern begehrte selber zu beichten und seine Not in eine fremde Hand zu legen. Dies war mir zu jener Stunde eine wunderliche Enttäuschung, ich war sehr traurig. Denn wenn auch dieser Josef, der mich nicht kannte, seines Dienstes müde geworden und am Sinn seines Lebens verzweifelt war – schien das nicht zu bedeuten, daß es mit uns allen beiden nichts war, daß wir beide unnütz gelebt hatten und gescheitert waren?
Ich erzähle dir, was du schon weißt, laß es mich kurz machen. Ich blieb jene Nacht bei der Siedlung allein, während du bei den Brüdern Herberge fandest, ich übte Versenkung und dachte mich in diesen Josef hinein und dachte mir: was wird er tun, wenn er morgen erfährt, daß er vergebens geflohen ist und vergebens sein Vertrauen auf den Pugil gesetzt hat, wenn er erfährt, daß auch der Pugil ein Flüchtling und Angefochtener ist? Je mehr ich mich in ihn hineindachte, desto mehr tat Josef mir leid, und desto mehr wollte es mir scheinen, er sei mir von Gott zugesandt, um ihn und mit ihm mich selbst zu erkennen und zu heilen. Nun konnte ich schlafen, die halbe Nacht war schon um. Am nächsten Tage pilgertest du mit mir und bist mein Sohn geworden.
Diese Geschichte habe ich dir erzählen wollen. Ich höre, daß du weinst. Weine nur, es tut dir wohl. Und da ich schon so ungebührlich gesprächig geworden bin, so tu mir die Liebe und höre auch dieses noch an und nimm es in dein Herz auf: der Mensch ist wunderlich, es ist wenig Verlaß auf ihn, und so ist es nicht unmöglich, daß zu einer Zeit jene Leiden und Anfechtungen dich von neuem überkommen und dich zu besiegen versuchen werden. Möge dir dann unser Herr einen ebenso freundlichen, geduldigen und tröstlichen Sohn und Pflegling zusenden, wie er ihn mir in dir gegeben hat! Was aber den Ast am Baum anbelangt, von dem der Versucher dich damals träumen ließ, und den Tod des armen Judas Ischariot, so kann ich dir eines sagen: es ist nicht bloß eine Sünde und Torheit, sich einen solchen Tod zu bereiten, obwohl es unserm Erlöser ein kleines ist, auch diese Sünde zu vergeben. Aber es ist auch überdies jammerschade, wenn ein Mensch in Verzweiflung stirbt. Die Verzweiflung schickt uns Gott nicht, um uns zu töten, er schickt sie uns, um neues Leben in uns zu erwecken. Wenn er uns aber den Tod schickt, Josef, wenn er uns von der Erde und vom Leibe losmacht und uns hinüberruft, so ist das eine große Freude. Einschlafen dürfen, wenn man müde ist, und eine Last fallen lassen dürfen, die man sehr lang getragen hat, das ist eine köstliche, eine wunderbare Sache. Seit wir das Grab gegraben haben – vergiß den Palmbaum nicht, den du darauf pflanzen sollst –, seit wir angefangen haben, das Grab zu graben, bin ich vergnügter und zufriedener gewesen, als ich es in vielen Jahren war.
Ich habe lange geschwatzt, mein Sohn, du wirst müde sein. Geh schlafen, geh in deine Hütte. Gott mir dir!«
Am folgenden Tage kam Dion nicht zum Morgengebet und rief auch nicht nach Josef. Als dieser bange wurde und leise in Dions Hütte und an sein Lager trat, fand er den Alten entschlafen und sein Gesicht von einem kindlichen, leise strahlenden Lächeln erhellt.
Er begrub ihn, er pflanzte den Baum auf das Grab und erlebte noch das Jahr, in welchem der Baum die ersten Früchte trug.
Einer der von Vishnu, vielmehr dem als Rama menschgewordenen Teile von Vishnu, in einer seiner wilden Dämonenschlachten mit dem Sichelmondpfeil getöteten Dämonenfürsten war in Menschengestalt wieder in den Kreislauf der Gestaltungen eingetreten, hieß Ravana und lebte als kriegerischer Fürst an der großen Ganga. Dieser war Dasas Vater. Dasas Mutter starb frühe, und kaum hatte deren Nachfolgerin, ein schönes und ehrgeiziges Weib, dem Fürsten einen Sohn geboren, so war ihr der kleine Dasa im Wege; statt seiner, des Erstgeborenen, dachte sie ihren eigenen Sohn Nala einst zum Herrscher weihen zu sehen, und so wußte sie Dasa seinem Vater zu entfremden und war gesonnen, ihn bei der ersten guten Gelegenheit aus dem Wege zu räumen. Einem von Ravanas Hofbrahmanen jedoch, Vasudeva dem Opferkundigen, blieb ihre Absicht nicht verborgen, und der Kluge verstand sie zu vereiteln. Ihm tat der Knabe leid, auch schien ihm der kleine Prinz von seiner Mutter eine Anlage zur Frömmigkeit und ein Gefühl für das Recht geerbt zu haben. Er hatte ein Auge auf Dasa, daß ihm nichts geschähe, und wartete nur auf eine Gelegenheit, ihn der Stiefmutter zu entziehen.
Es besaß nun der Rajah Ravana eine Herde dem Brahma geweihter Kühe, welche heilig gehalten und von deren Milch und Butter dem Gott häufige Opfer gebracht wurden. Ihnen waren im Lande die besten Weiden vorbehalten. Es kam eines Tages einer der Hirten dieser dem Brahma geweihten Kühe, um eine Fracht Butter abzuliefern und zu melden, daß in der Gegend, wo bisher die Herde geweidet, eine kommende Dürre sich anzeige, so daß sie, die Hirten, einig geworden seien, sie weiter fort gegen das Gebirge hin zu führen, wo es auch in der trockensten Zeit an Quellen und frischem Futter nicht mangeln werde. Diesen Hirten, den er seit langem kannte, zog der Brahmane ins Vertrauen, es war ein freundlicher und treuer Mensch, und als am nächsten Tage der kleine Dasa, Ravanas Sohn, verschwunden war und nicht mehr gefunden werden konnte, waren Vasudeva und der Hirte die einzigen, welche um das Geheimnis seines Verschwindens wußten. Der Knabe Dasa aber war von dem Hirten mit in die Hügel genommen worden, dort trafen sie auf die langsam wandernde Herde, und Dasa schloß sich ihr und den Hirten gerne und freundlich an, wuchs als ein Hirtenknabe auf, half hüten und treiben, lernte melken, spielte mit den Kälbern und lag unter den Bäumen, trank süße Milch und hatte Kuhmist an den nackten Füßen. Ihm gefiel das wohl, er lernte die Hirten und Kühe und ihr Leben kennen, lernte den Wald kennen und seine Bäume und Früchte, liebte den Mango, die Waldfeige und den Varingabaum, fischte die süße Lotoswurzel aus grünen Waldteichen, trug an Festtagen einen Kranz aus den roten Blüten der Waldflamme, lernte vor den Tieren der Wildnis auf der Hut zu sein, den Tiger zu meiden, sich mit dem klugen Mungo und dem heiteren Igel zu befreunden, in dämmriger Schutzhütte die Regenzeiten zu überdauern; da spielten die Knaben Kinderspiele, sangen Verse oder flochten Körbe und Schilfmatten. Dasa vergaß seine vorige Heimat und sein voriges Leben nicht ganz, doch war es ihm bald ein Traum geworden.
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