»Reden Sie!«
Dann sagte sie ohne alle Anstrengung:
»Wir kommen an; erwecken Sie mich.«
Ich erweckte sie, und in der That kündigte fünf Minuten später das Pfeifen der Locomotive an, daß wir auf der Station ankamen.
Sie fühlte sich viel besser.
Wir stiegen im Hotel de l'Orange, dem besten in der Stadt, ab; und da man noch die Badesaison nicht beendet hatte, war es fast ganz voll.
Es waren mir noch zwei Zimmer übrig, die mit einander in Verbindung standen; nur stand vor der Verbindungsthür auf jeder Seite ein Bett. Auf der einen Seite war vermöge des Schlosses und auf der anderen vermöge des Riegels für die Sicherheit des Reifenden gesorgt.
Es versteht sich von selber, daß sich die Thür nach der Seite öffnete, wo das Schloß sich befand.
Ich zeigte meiner Reisegefährtin die Topographie des Gasthauses. Ich ließ die Herrin des Hauses heraufkommen, damit sie ihr selber die Versicherung gebe, daß kein Fallstrick mit dieser Nähe in Verbindung stehe, und ließ ihr die Wahl zwischen den beiden Zimmern.
Sie wählte die Seite des Riegels, indem sie mich nur bat, mein Bett an die Wand zu stellen, anstatt es an der Thür zu lassen, was ich auch eiligst that.
Es war um zehn Uhr Abends, meine Reisegefährtin trank eine Tasse Milch und legte sich zu Bette. Ihr Kopf war ruhig und frei, aber sie empfand einige Magenschmerzen.
Ich speiste solider zu Abend, nahm einen Band von Michelet aus meinem Reisesack, legte mich nieder und begann zu lesen.
Nachdem ich eine Stunde gelesen, und in dem Augenblick, als ich eben mein Licht gelöscht hatte, hörte ich leise an die Verbindungsthür klopfen.
Ich glaubte mich geirrt zu haben; aber auf die Aufforderung folgten die beiden mit leiser Stimme ausgesprochenen Worte:
»Schlafen Sie?«
»Noch nicht; aber es scheint, als ob Sie auch nicht schlafen.«
»Ich habe Schmerzen.«
In der That war die Stimme verändert.
»Was fehlt Ihnen?«
»Ich habe furchtbare Magenkrämpfe.«
»Mein Himmel!«
»Beunruhigen Sie sich deshalb nicht, das begegnet mir zuweilen; es ist schmerzlich, hat aber nichts Beunruhigendes.«
»Wollen Sie, daß ich rufe?«
»Nein, der Aether selbst nützt dabei nicht.«
»Und ich, vermag ich mehr, als der Aether?«
»Vielleicht.«
»Wie denn?«
»Versuchen Sie, mich einzuschläfern.«
»Durch die Thür?«
»Ja.«
»Ich Zweifle, daß es mir gelingen wird, ich will es versuchen.«
Ich versuchte, meinen Willen in jenes Zimmer eintreten zu lassen, aus welchem mich die Schamhaftigkeit der Kranken ausschloß; aber ich erlangte nur einen halben Erfolg.
»Nun?« fragte ich sie.
»Ich fühle, daß ich betäubt werde; aber bei dieser Betäubung leide ich fortwährend.«
»Ich müßte Ihre Brust berühren können, wie ich Ihren Kopf berührt habe; dann würde der Schmerz aufhören.«
»Glauben Sie es?«
»Ich glaube es.«
»Nun, wenn, Sie die Thür öffnen wollen, den Riegel habe ich eben aufgezogen.«
Ich zog ein Pantalon an, und von dem Lichte ihrer Wachskerze geleitet, welches durch die Spalten der Thür drang, ging ich zu dem Schlüssel, den ich umdrehte, und als ich oben und unten die Riegel geöffnet hatte, gingen die beiden Flügelthüren auf.
Mein erster Blick war prüfend; spielte meine Nachbarin eine Komödie, oder litt sie wirklich Schmerzen?
Sie war blaß; ihr Mund war in den Winkeln verzogen und die Gesichtsmuskeln wurden von leichten Kampf»haften Zuckungen bewegt.
Ich faßte ihre Hand, sie war kalt, feucht und zitternd; sie litt wirklich.
»Finden Sie es nicht sehr seltsam, daß ich, anstatt einem Mädchen des Gasthauses zu klingeln und irgend ein beruhigendes Mittel zu verlangen, Sie rufe und Sie verhindere zu schlafen?«
»Durchaus nicht, im Gegentheil finde ich es sehr einfach, sehr natürlich.«
»Ich will Ihnen Eins gestehen.«
»Bah! sollten Sie mich vielleicht lieben?«
»Sie wissen wohl, daß ich Sie liebe, und zwar sehr, aber das ist es nicht. Warten Sie, ich leide.«
Und das Gesicht der Kranken nahm in der That einen Ausdruck des Schmerzes an, den man nicht verkennen konnte.
Ich legte meinen Arm unter ihren Kopf und hob ihn auf, sie erstarrte, ein Schauder überlief ihren ganzen Körper, sie kehrte zur Unbeweglichkeit zurück.
»Es ist vorüber,« sagte sie.
»Sie wollten mir Etwas sagen, mir ein Geständniß ablegen.«
»Ja, ich wollte Ihnen gestehen, daß mein Schlummer im Waggon nicht nur eine Ruhe, sondern auch ein liebliches Gefühl hatte, wie ich es nie empfunden. Schläfern Sie mich also ein, ich bitte Sie, und ich bin gewiß, daß meine Schmerzen aufhören werden.«
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