Der nächste Schuss. Alles duckt sich, und dann traben zwei Mann mit je einer großen Kanne erstklassigem Bohnenkaffee ab und erreichen vor dem folgenden Einschlag den Unterstand.
Jetzt schnappen sich Kat und Kropp das Glanzstück: die große Pfanne mit den braungebratenen Ferkeln. Ein Heulen, eine Kniebeuge, und schon rasen sie über die fünfzig Meter freies Feld.
Ich backe meine letzten vier Puffer noch fertig; zweimal muss ich dabei auf den Boden – aber es sind schließlich vier Puffer mehr, und es ist mein Lieblingsessen.
Dann ergreife ich die Platte mit dem hohen Stapel und presse mich hinter die Haustür. Es zischt, kracht, und ich galoppiere davon, mit beiden Händen die Platte an die Brust gedrückt. Fast bin ich angelangt, da pfeift es anschwellend, ich türme wie ein Hirsch, fege um die Betonwand, Spritzer klatschen gegen die Mauer, ich falle die Kellertreppe hinunter, meine Ellenbogen sind zerschlagen, aber ich habe keinen einzigen Puffer verloren und die Platte nicht umgekippt.
Um zwei Uhr beginnen wir mit dem Essen. Es dauert bis sechs. Bis halb sieben trinken wir Kaffee – Offizierskaffee aus dem Proviantamt – und rauchen Offizierszigarren und Zigaretten – ebenfalls aus dem Proviantamt. Punkt halb sieben fangen wir mit dem Abendessen an. Um zehn Uhr werfen wir die Gerippe der Ferkel vor die Tür. Dann gibt es Kognak und Rum, ebenfalls aus dem gesegneten Proviantamt und wieder lange, dicke Zigarren mit Bauchbinden. Tjaden behauptet, dass nur eines fehle: Mädchen aus einem Offizierspuff.
Spätabends hören wir Miauen. Eine kleine graue Katze sitzt am Eingang. Wir locken sie heran und füttern sie. Darüber kommt auch uns wieder der Appetit. Kauend legen wir uns schlafen.
Doch die Nacht ist böse. Wir haben zu fett gegessen. Frisches Spanferkel wirkt angreifend auf die Därme. Es ist ein ewiges Kommen und Gehen im Unterstand. Zwei, drei Mann sitzen immer mit heruntergezogenen Hosen draußen herum und fluchen. Ich selbst bin neunmal unterwegs. Gegen vier Uhr nachts erreichen wir einen Rekord: alle elf Mann, Wache und Besuch, sitzen draußen.
Brennende Häuser stehen wie Fackeln in der Nacht. Granaten poltern heran und hauen ein. Munitionskolonnen rasen über die Straße. An der einen Seite ist das Proviantamt aufgerissen. Wie ein Schwärm Bienen drängen sich dort trotz aller Splitter die Kolonnenfahrer und klauen Brot. Wir lassen sie ruhig gewähren. Wenn wir was sagen würden, gäbe es höchstens eine Tracht Prügel für uns. Deshalb machen wir es anders. Wir erklären, dass wir die Wache sind, und da wir Bescheid wissen, kommen wir mit den Konserven an, die wir gegen Sachen tauschen, die uns fehlen.
Was macht es schon – in kurzer Zeit ist ohnehin alles zerschossen. Für uns selbst holen wir Schokolade aus dem Depot und essen sie tafelweise. Kat sagt, sie sei gut für einen allzu eiligen Bauch. —
Fast vierzehn Tage vergehen so mit Essen, Trinken und Bummeln. Niemand stört uns. Das Dorf verschwindet langsam unter den Granaten, und wir führen ein glückliches Leben. Solange nur noch ein Teil des Proviantamtes steht, ist uns alles egal, und wir wünschen bloß, hier das Ende des Krieges zu erleben.
Tjaden ist derartig fein geworden, dass er die Zigarren nur halb aufraucht. Er erklärt hochnäsig, er sei es so gewohnt. Auch Kat ist sehr aufgemuntert. Sein erster Ruf morgens ist: »Emil, bringen Sie Kaviar und Kaffee.« Es ist überhaupt erstaunlich vornehm bei uns, jeder hält den andern für seinen Burschen, siezt ihn und gibt ihm Aufträge. »Kropp, es juckt mich unter dem Fuß, fangen Sie doch mal die Laus weg«, damit streckt ihm Leer sein Bein hin wie eine Schauspielerin, und Albert schleift ihn daran die Treppen hinauf. »Tjaden!« – »Was?« – » Stehen Sie bequem, Tjaden, übrigens heißt es nicht: Was, sondern: Zu Befehl – also: Tjaden!« Tjaden begibt sich wieder auf ein Gastspiel zu Götz von Berlichingen*, der ihm nur so im Hand-gelenk sitzt.
Nach weiteren acht Tagen erhalten wir Befehl, abzurücken. Die Herrlichkeit ist aus. Zwei große Lastautos nehmen uns auf. Sie sind hoch bepackt mit Brettern. Aber noch oben darauf bauen Albert und ich unser Himmelbett mit dem blauseidenen Überwurf auf, mit Matratzen und zwei Spitzenoberbetten. Hinten drin am Kopfende liegt für jeden ein Sack mit besten Lebensmitteln. Wir fühlen manchmal darüber hin, und die harten Mettwürste, die Leberwurstbüchsen, die Konserven, die Zigarrenkisten lassen unsere Herzen jubilieren. Jeder Mann hat so einen Sack voll bei sich.
Kropp und ich haben aber außerdem noch zwei rote Samtfauteuils* gerettet. Sie stehen im Bett, und wir räkeln uns darauf wie in einer Theaterloge. Über uns bauscht sich die Seide des Überwurfs als Baldachin. Jeder hat eine lange Zigarre im Mund. So schauen wir hoch von oben in die Gegend.
Zwischen uns steht ein Papageienkäfig, den wir für die Katze gefunden haben. Sie wird mitgenommen und liegt drinnen vor ihrem Fleischnapf und schnurrt.
Langsam rollen die Wagen über die Straße. Wir singen. Hinter uns spritzen die Granaten Fontänen aus dem nun ganz verlassenen Dorf.
* * *
Einige Tage später rücken wir aus, um eine Ortschaft aufzuräumen. Unterwegs begegnen uns die fliehenden Bewohner, die ausgewiesen sind. Sie schleppen ihre Habseligkeiten* in Karren, in Kinderwagen und auf dem Rücken mit sich. Ihre Gestalten sind gebeugt, ihre Gesichter voll Kummer, Verzweiflung, Hast und Ergebenheit. Die Kinder hängen an den Händen der Mütter, manchmal führt auch ein älteres Mädchen die Kleinen, die vorwärts taumeln und immer wieder zurücksehen. Einige tragen armselige Puppen mit sich. Alle schweigen, als sie an uns vorübergehen.
Noch sind wir in Marschkolonne, die Franzosen werden ja nicht ein Dorf beschießen, in dem Landsleute sind. Aber wenige Minuten später heult die Luft, die Erde bebt, Schreie ertönen – eine Granate hat den hintersten Zug zerschmettert. Wir spritzen auseinander und werfen uns hin, aber im selben Moment fühle ich, wie mir die Spannung entgleitet, die mich sonst immer bei Feuer unbewusst das Richtige tun lässt, der Gedanke »Du bist verloren« zuckt auf mit einer würgenden, schrecklichen Angst – und im nächsten Augenblick fegt ein Schlag wie von einer Peitsche über mein linkes Bein. Ich höre Albert schreien, er ist neben mir.
»Los, auf, Albert!« brülle ich, denn wir liegen ungeschützt auf freiem Felde.
Er taumelt hoch und läuft. Ich bleibe neben ihm. Wir müssen über eine Hecke; sie ist höher als wir. Kropp fasst in die Zweige, ich packe sein Bein, er schreit auf, ich gebe ihm Schwung, er fliegt hinüber. Mit einem Satz bin ich hinter ihm her und falle in einen Teich, der hinter der Hecke liegt.
Wir haben das Gesicht voll Wasserlinsen und Schlamm, aber die Deckung ist gut. Deshalb waten* wir hinein bis zum Halse. Wenn es heult, gehen wir mit dem Kopf unter Wasser.
Nachdem wir das ein dutzendmal gemacht haben, wird es mir übel. Auch Albert stöhnt: »Lass uns weg, ich falle sonst um und ersaufe.«
»Wo hast du was gekriegt?« frage ich.
»Am Knie, glaube ich.«
»Kannst du laufen?«
»Ich denke – «
»Dann los.«
Wir gewinnen den Chausseegraben und rennen ihn gebückt entlang. Das Feuer folgt uns. Die Straße hat die Richtung auf das Munitionsdepot. Wenn das hochgeht, findet nie jemand von uns einen Knopf wieder. Wir ändern deshalb unsern Plan und laufen im Winkel querfeldein.
Albert wird langsamer. »Lauf zu, ich komme nach«, sagt er und wirft sich hin.
Ich reiße ihn am Arm auf und schüttele ihn. »Hoch, Albert, wenn du dich erst hinlegst, kannst du nie mehr weiter. Los, ich stütze dich.«
Endlich erreichen wir einen kleinen Unterstand. Kropp schmeißt sich hin, und ich verbinde ihn. Der Schuss sitzt kurz über dem Knie. Dann sehe ich mich selbst an. Die Hose ist blutig, ebenso der Arm. Albert bindet mir seine Päckchen um die Löcher. Er kann sein Bein schon nicht mehr bewegen, und wir wundern uns beide, wie wir es überhaupt bis hierher geschafft haben. Das hat nur die Angst gemacht; wir würden fortgelaufen sein, selbst wenn uns die Füße weggeschossen wären – dann eben auf Stümpfen.
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