“Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr sagen. Haben Sie mit Ihrer Mutter darüber gesprochen?”
“Nein. Nicht ausführlich. Wir sind nicht genau die besten Freundinnen.”
“Sie war ein Wrack in den Tagen bis zur Beerdigung. Niemand konnte etwas zu ihr sagen. Sie ging vom untröstlichen Weinen bis hin zu Wutausbrüchen.
Mackenzie nickte, aber sagte nichts. Sie konnte sich nur zu genau an die Wutausbrüche ihrer Mutter erinnern. Das war eine der Hauptfaktoren, warum man sie später in die Psychiatrie gebracht hatte.
“Gab es irgendeine Art von Geheimhaltung, als die Leiche im Leichenschauhaus ankam?”, fragte sie.
“Nicht, dass ich mich erinnern kann. Keine dubiosen Geschäfte so weit ich weiß. Es war nur eine weitere Routine, einer gelieferten Leiche. Aber wissen Sie, … ich erinnere mich daran, dass immer ein Polizist in der Nähe war. Er war dabei, als die Leiche geliefert wurde und blieb eine Weile in der Nähe der Arztpraxis, als wenn er auf etwas wartete. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ihn auch auf der Beerdigung gesehen habe. Ich meine, Benjamin White war ein respektierter Mann … besonders bei anderen Beamten im Team. Aber dieser Beamte … er war die ganze Zeit da. Wenn ich mich recht erinnere, hat er sich bei der Beerdigung im Hintergrund gehalten, als wenn er Zeit alleine bräuchte, um etwas zu verarbeiten oder so. Aber das ist ewig lange her. Siebzehn Jahre ist eine lange Zeit. Erinnerungen beginnen zu verschwinden, wenn Sie so alt wie ich sind.”
“Kennen Sie vielleicht den Namen des Polizisten?”, fragte sie.
“Nein, kenne ich nicht. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er irgendwann mal Papiere unterschrieben hat. Vielleicht wenn Sie auf die Originalen Daten zurückgreifen können?”
“Vielleicht”, sagte Mackenzie.
Er sagt die Wahrheit und es tut ihm leid für mich, dachte Mackenzie. Hier gibt es ansonsten nichts … außer vielleicht ein paar Präparator Fähigkeiten zu lernen.
“Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Waggoner”, sagte sie.
“Natürlich”, sagte er und brachte sie zurück nach oben. “Ich hoffe wirklich, dass Sie das aufklären können. Ich dachte immer, dass da etwas faul an dem Fall war. Und auch wenn ich Ihren Vater nicht so gut kannte, ich habe immer nur Gutes über ihn gehört.”
“Ich weiß das zu schätzen”, sagte Mackenzie.
Mit einem endgültigen Danke ging Mackenzie mit Jack an ihrer Seite nach draußen. Sie winkte Bernice, die wieder beim Unkraut im Garten war und stieg in ihr Auto. Es war drei Uhr nachmittags, aber es fühlte sich viel später an. Sie nahm an, der Flug von DC nach Nebraska gefolgt von einer fast anschließenden sechstündigen Fahrt, forderten ihren Tribut.
Es war dennoch zu früh, um Feierabend zu machen. Sie konnte den Tag damit beenden, dass sie einen Ort besuchte, von dem sie angenommen hatte, das sie dort einmal enden würde und dennoch noch nie einen Fuß hineingestzt hatte: die Belton Polizeistation.
Die Belton Polizeistation erinnerte sie zu sehr an die Station, an der sie so viel Zeit während ihrer Zeit als Kriminalbeamtin und Detektivin im südlichen Nebraska verbracht hatte, ehe das Büro sie gerufen hatte. Es war kleiner, aber schien dieselbe Art von erstickendem Gefühl zu haben. Es war wortwörtlich wie ein großer Schritt in ihre Vergangenheit.
Nachdem sie von einer Frau am Empfangsschalter durch den Hauptbereich geführt wurde, ging Mackenzie in einen kleinen Raum im Hinteren des Gebäudes. Ein Schild an der Seite der Tür las ARCHIV. Es war fast erschreckend, wie läppisch der Prozess war. Sie hatte der Frau an der Vordertheke ihr Abzeichen gezeigt, sie hatte einen Anruf gemacht, Klarheit bekommen und sie dann durchgewunken.
Und das war’s. Auf ihrem Weg zum Archiv, begegneten ihr zwei Beamte auf dem Flur, nickten ihr zu und schauten sie merkwürdig an, aber das war es auch schon. Niemand hielt sie auf und niemand fragte, was sie hier wollte. Und um ehrlich zu sein, war das in Ordnung für sie. Je weniger Ablenkungen, umso schneller konnte sie hier wieder raus.
Das Archiv bestand aus einem kleinen Eichentisch in der Nähe des Raumes, der von zwei Stühlen eingerahmt war. Der Rest des Raumes bestand aus Aktenschränken an der Wand, von denen einige alt und zerrüttet aussahen, andere eher neuer. Sie war überrascht, wie gut die Akten dort organisiert waren. Die älteren Schränke bewahrten Akten bis zum Jahr 1951 auf. Aus Neugier und ihrer Bewunderung für gut erhaltene Aufzeichnungen und Akten zog sie einen der Schränke auf und schaute hinein. Gut erhaltene Seiten, Akten und andere Materialien waren ordentlich hinein gelegt, dennoch war es klar vom Geruch des alten Papiers und dem Aufwirbeln von Staub, dass sie lange nicht mehr angesehen worden waren.
Sie machte den Schrank zu und schaute dann die Aufschriften auf der Vorderseite der anderen Schränke an, bis sie gefunden hatte, was sie brauchte. Sie zog den Schrank auf und begann durch die Akten zu suchen. Das Gute daran ein Polizist in so einer kleinen Stadt zu sein, war, dass es normalerweise nicht viele Fälle gab, die es wert waren, archiviert zu werden. Als sie sich den Fall ihres Vaters näher angeschaut hatte, hatte sie entdeckt, dass es in dem Jahr, in dem er gestorben war, nur zwei Selbstmorde in ganz Belton gegeben hatte.
Daher war es ziemlich einfach für sie, die Akte ihres Vaters zu finden. Sie zog sie heraus und runzelte die Stirn, als sie sah, wie dünn die Akte war. Sie schaute sogar zurück in den Schrank, um zu sehen, ob es noch eine weitere Akte gab, die sie vielleicht übersehen hatte, aber da war nichts.
Mit der einzelnen dünnen Akte setzte Mackenzie sich an den kleinen Tisch in die Mitte des Raumes und begann durch die Akten zu sehen. Es gab mehrere Fotos des Tatorts, die sie alle gesehen hatte. Sie las auch die Notizen in dem Fall. Sie kannte diese ebenfalls. Sie hatte sogar Fotokopien in ihrer eigenen Sammlung von Aufzeichnungen über diesen Fall. Aber die Originaldokumente zu sehen – sie in der Hand zu halten – machte das ganze irgendwie noch realer.
Es gab ein paar Dokumente in der Akte, von denen sie keine eigenen Kopien hatte. Darunter war eine Kopie des Berichts des Gerichtsmediziners, vollständig mit Jack Waggoners Namen unterzeichnet. Sie schaute ihn an und fand Arbeit und Notizen zufriedenstellend und blätterte auf die nächste Seite. Sie war sich nicht sicher, nach was sie suchte, aber es gab nichts zu sehen. Aber als sie zum Ende der Akte kam, kam sie zur Seite zwei des Abschlussberichts, wo eine Notiz sagte, dass der Fall ungelöst war.
Unten gab es zwei gekritzelte Unterschriften, zusammen mit dem gedruckten Namen jedes Beamten. Einer war Dan Smith. Der andere war Reggie Thompson.
Mackenzie blätterte zurück zum Gerichtsmediziner Bericht, um die Namen der Beamten zu sehen, die ebenfalls unterschrieben hatte. Es gab nur einen Namen: Reggie Thompson. Thompsons Name auf beiden Dokumenten war ein gutes Anzeichen, dass er der Beamte war, der den Fall bearbeitet hatte, sogar im Büro des Gerichtsmediziners.
Sie blätterte durch die Akten, um sicherzugehen, dass sie nichts übersehen hatte. Aber wie sie angenommen hatte, war da nichts. Sie legte die Akte zurück in den Schrank und verließ den Raum. Als sie zurück in den Flur kam, nahm sie sich Zeit. Sie schaute sich die Plakate an den Wänden an jeder Tür an. Die meisten Türen waren offen, ohne das jemand darin saß. Erst als sie zum Ende des Flurs kam, fast schon in dem kleinen Großraumbereich und dem Empfangstisch, fand sie ein besetztes Büro.
Sie klopfte an die halb geöffnete Tür und erhielt ein fröhliches “Kommen Sie rein”, als Antwort.
Mackenzie trat in das Büro und wurde von einer rundlichen Frau begrüßt, die hinter einem Tisch saß. Sie tippte etwas in ihren Computer und hörte auch nicht auf, als sie Mackenzie anschaute.
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