1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 MacGil stand nachdenklich da; er wusste nicht, wie lange. An Tagen wie diesem wünschte er sich, nicht König zu sein.
*
MacGil stieg von seinem Thron herab. Seine Stiefel hallten durch die Stille, als er den Raum durchquerte. Er öffnete die alte Eichentür selbst, zog an der Eisenklinke, und betrat eine Seitenkammer.
Er genoss die Ruhe und Abgeschiedenheit in diesem gemütlichen Zimmer, wie schon immer, mit seinen Mauern kaum zwanzig Schritte in jede Richtung voneinander entfernt, und doch mit einer hoch aufragenden, gewölbten Decke. Das Zimmer war zur Gänze aus Stein gefertigt, mit einem kleinen runden Buntglas-Fenster an einer Wand. Licht floss durch seine gelben und roten Glasstücke herein und erleuchtete einen einzelnen Gegenstand in dem ansonsten leeren Raum.
Das Schicksalsschwert.
Da lag es, im Zentrum der Kammer, waagrecht auf eisernen Stützen ruhend, wie eine Verführerin. Wie er es schon als Junge getan hatte, trat MacGil nahe an das Schwert heran, umkreiste es, untersuchte es. Das Schicksalsschwert. Das Schwert aus Legenden, die Quelle der Macht und der Kräfte seines gesamten Königreichs, von einer Generation zur nächsten. Wer immer die Kraft hatte, es zu erheben, würde der Auserwählte sein, der Eine, dessen Schicksal es war, das Königreich sein Leben lang zu regieren, es von allen Bedrohungen zu befreien, innerhalb wie außerhalb des Rings. Es war wunderbar gewesen, mit dieser Legende aufzuwachsen, und sobald er zum König gesalbt war, hatte MacGil selbst versucht, es zu erheben, da es nur MacGil-Königen gestattet war, es überhaupt zu versuchen. Die Könige vor ihm, jeder Einzelne von ihnen, hatten versagt. Er war sich sicher gewesen, dass er anders sein würde. Er war sich sicher gewesen, dass er der Auserwählte war.
Aber er lag falsch. Wie alle anderen MacGil-Könige vor ihm. Und sein Versagen hatte seither einen Schatten über sein Königtum gelegt.
Als er es nun betrachtete, untersuchte er seine lange Klinge, aus einem geheimnisvollen Metall gefertigt, das noch niemand entziffern konnte. Der Ursprung des Schwerts war noch rätselhafter; den Gerüchten zufolge stieg es inmitten eines Bebens aus der Erde hoch.
Während er es betrachtete, verspürte er erneut den Stich des Versagens. Er mochte ein guter König sein; der Auserwählte war er jedoch nicht. Sein Volk wusste das. Seine Feinde wussten das. Er mochte ein guter König sein, doch egal was er tat, er würde nie der Auserwählte sein.
Wäre er es gewesen, so dachte er, hätte es wohl weniger Unruhe an seinem Hof gegeben, weniger Verschwörungen. Seine eigenen Leute würden ihm mehr vertrauen und seine Feinde würden nicht einmal an einen Angriff denken. Ein Teil von ihm wünschte sich, das Schwert möge einfach verschwinden, und die Legende mit ihm. Doch er wusste, das würde nicht geschehen. Darin lag der Fluch—und die Macht—einer Legende. Stärker noch als eine Armee.
Als er zum tausendsten Mal darauf starrte, musste MacGil sich wieder einmal fragen, wer es wohl sein würde. Wer in seiner Blutlinie würde bestimmt sein, es zu führen? Als er daran dachte, was vor ihm lag—seine Aufgabe, einen Erben zu nennen—fragte er sich, wer von ihnen, wenn überhaupt, dazu bestimmt war, es zu erheben.
„Das Gewicht der Klinge ist schwer“, erklang eine Stimme.
MacGil wirbelte herum, überrascht, in dem kleinen Zimmer nicht allein zu sein.
Da, in der Tür, stand Argon. MacGil erkannte die Stimme, bevor er ihn sah, und war zugleich verärgert, dass er sich nicht zuvor gezeigt hatte, und erfreut, dass er jetzt bei ihm war.
„Du bist spät dran“, sagte MacGil.
„Eure Vorstellung von Zeit trifft auf mich nicht zu“, antwortete Argon.
MacGil wandte sich wieder dem Schwert zu.
„Hast du je gedacht, dass ich es erheben könnte?“, fragte er nachdenklich. „An dem Tag, als ich König wurde?“
„Nein“, antwortete Argon geradeheraus.
MacGil blickte zu ihm hinüber.
„Du wusstest, ich würde es nicht schaffen. Du hast es gesehen, nicht wahr?“
„Ja.“
MacGil dachte darüber nach.
„Es macht mir Angst, wenn du direkt antwortest. Das sieht dir nicht ähnlich.“
Argon schwieg, und schließlich verstand MacGil, dass er nichts weiter sagen würde.
„Ich ernenne heute meinen Nachfolger“, sagte MacGil. „Es fühlt sich widersinnig an, an einem solchen Tag einen Erben zu nennen. Es entzieht einem König die Freude an der Vermählung seines Kindes.“
„Vielleicht soll eine solche Freude gedämpft sein.“
„Aber ich habe noch so viele Jahre des Regierens vor mir“, sagte MacGil flehend.
„Vielleicht nicht so viele, wie Ihr denkt“, erwiderte Argon.
MacGil blickte Argon mit zusammengekniffenen Augen verwundert an. War dies eine Botschaft?
Doch Argon fügte dem nichts hinzu.
„Sechs Kinder. Welches soll ich wählen?“, fragte MacGil.
„Warum fragt Ihr mich? Ihr habt Euch bereits entschieden.“
MacGil sah ihn an. „Du siehst viel. Ja, das habe ich. Und doch möchte ich wissen, was du denkst.“
„Ich denke, Ihr habt weise gewählt“, sagte Argon. „Doch bedenkt: ein König kann nicht aus dem Grabe heraus regieren. Wen Ihr auch glaubt, gewählt zu haben, das Schicksal hat seine Art, selbst zu bestimmen.“
„Werde ich leben, Argon?“, fragte MacGil ernsthaft, stelle die Frage, die er beantwortet haben wollte, seit er in der Nacht zuvor aus einem furchtbaren Alptraum aufgewacht war.
„Ich träumte letzte Nacht von einer Krähe“, fügte er hinzu. „Sie kam und stahl meine Krone. Dann trug mich eine Weitere hinfort. Während wir flogen, sah ich mein Königreich unter mir ausgebreitet. Es wurde schwarz, während ich darüberzog. Verdorrt. Eine Wüste.“
Er blickte zu Argon hoch, seine Augen feucht.
„War es ein Traum? Oder etwas mehr?“
„Träume sind immer etwas mehr, nicht wahr?“, fragte Argon.
Ein ungutes Gefühl ergriff MacGil.
„Wo liegt die Gefahr? Verrate mir nur so viel.“
Argon trat nahe an ihn heran und starrte in seine Augen, mit einer Intensität, dass MacGil das Gefühl hatte, als würde er in eine andere Welt starren.
Argon lehnte sich vor und flüsterte:
„Stets näher, als man denkt.“
Thor lag versteckt in einer Ladung Strohballen auf einem Wagen, der ihn über die Landstraße rüttelte. Er hatte in der Nacht zuvor die Straße erreicht und geduldig abgewartet, bis ein Wagen vorbei kam, der groß genug war, damit er unbemerkt aufsteigen konnte. Es war bereits dunkel gewesen, und der Wagen trottete gerade langsam genug vor sich hin, dass er im gemütlichen Laufschritt aufholen und hinten hineinspringen konnte. Er war im Heu gelandet und grub sich darin ein. Zum Glück hatte ihn der Fahrer nicht entdeckt. Thor konnte nicht sicher sein, ob der Wagen wirklich nach Königshof fahren würde, aber er fuhr in die richtige Richtung und ein Wagen von dieser Größe, und mit diesen Kennzeichnungen, konnte nicht an viele andere Orte wollen.
Und so fuhr Thor durch die Nacht. Er lag stundenlang wach und dachte an seine Begegnung mit dem Sybold. Mit Argon. An sein Schicksal. Sein altes Zuhause. Seine Mutter. Er fühlte sich, als hätte das Universum ihm eine Antwort geschickt, ihm deutlich gesagt, sein Schicksal läge woanders. Er lag mit den Händen hinter dem Kopf verschränkt da und starrte auf den Nachthimmel hinauf, der durch Risse im Leinen sichtbar war. Er betrachtete das Universum, so hell, seine roten Sterne so weit entfernt. Er war außer sich vor Freude. Zum ersten Mal in seinem Leben war er auf der Reise. Er wusste nicht, wohin, aber er war unterwegs. Auf die eine oder andere Weise würde er den Weg nach Königshof finden.
Als Thor die Augen öffnete, war es Morgen. Licht flutete herein und er stellte fest, dass er eingenickt war. Er setzte sich auf und blickte sich hastig um, sich selbst rügend, dass er eingeschlafen war. Er hätte wachsamer sein sollen—er hatte Glück, dass er nicht entdeckt worden war.
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