Shane schmunzelte. „Du bist gerade erst angekommen und denkst schon über Arbeit nach?“
„Ich muss“, erklärte Keira. „Der Auftrag ist wichtig für mich. Ich will ihn nicht versauen.“
„Und ihn nicht zu versauen, ist gleichbedeutend damit, sich nicht entspannen zu können?“
Keira war nicht in der Stimmung, jetzt über ihre Lebensentscheidungen zu diskutieren. Darüber hatte sie von Zach und ihrer Mutter gestern wahrlich genug gehört.
„Es bedeutet lediglich, dass ich jeden Tag ein wenig Zeit zum Schreiben brauche“, gab sie ein wenig eingeschnappt zurück.
Shanes Gesichtsausdruck behielt sein amüsiertes Schmunzeln. Er nahm noch einen großen Schluck Guinness. „Du bist einer von diesen puritanischen Typen, oder? Nur Arbeit, kein Vergnügen.“
Keira blickte ihn unbeeindruckt an. „Ich weiß nicht, wie du annehmen kannst, irgendetwas über mich zu wissen“, sagte sie. „Wir kennen uns gerade erst seit fünf Minuten.“
Shane grinste immer noch. Er antwortete nicht, als wäre das Thema bereits erledigt. Keira verkrampfte sich. Er sah gut aus, das stimmte wohl, aber wenn er so weitermachte, würde er ihr schon sehr bald fürchterlich auf die Nerven gehen. Sie wusste nicht, ob sie dreißig Tage lang Hänseleien und Trinkgelage aushalten würde, ohne einen anständigen Platz zum Schreiben.
Vielleicht war dieser Auftrag schwieriger, als sie erwartet hatte.
*
Keira schaffte es schließlich, sich zur Nacht zu verabschieden. Sie hatte irgendwann aufgehört, zu zählen, wie viele Guinness Orin und Shane getrunken hatten. Immerhin hatten sie beizeiten aufgehört, sie ebenfalls zum Trinken zu animieren. Dennoch schwirrte ihr der Kopf, als sie die Treppen zu ihrem Zimmer hinaufstieg.
Sie schloss die Tür hinter sich, aber die Musik und das Stimmengewirr von unten waren dadurch nicht weniger hörbar. Keira fühlte sich völlig überdreht und aufgekratzt. Sie warf einen Blick auf ihr Handy, aber da war noch immer keine Nachricht von Zachary. Er hatte auf jeden Fall genug Zeit gehabt, sie zu lesen. Was bedeutete, dass er sie mit Schweigen strafte. Wie erwachsen, dachte Keira.
Immerhin hatte sie Nachrichten von Nina und Bryn, die sie mit Fragen bombardierten. Sie schrieb Nina, die den Artikel editieren würde, um ihr zu sagen, dass ihr Zeitplan randvoll war und an Schreiben erst einmal nicht zu denken war. An Bryn schickte sie eine kurze optische Beschreibung von Shane und ein paar Feuer-Emojis.
Er ist aber ziemlich anstrengend. Einer dieser arroganten Typen, die meinen, es wäre reizvoll, wenn sie einen die ganze Zeit auf den Arm nehmen.
Bryns Antwort kam sofort. Es IST reizvoll.
Keira lachte und legte das Handy beiseite. Die Musik unten würde sie sicher noch eine Weile vom Schlafen abhalten, also konnte sie genauso gut schon mal ein wenig arbeiten. Sie holte den Laptop aus der Tasche und schrieb eine E-Mail an Elliot, mit einigen Ideen, wie man den Artikel angehen könnte. Dank der paar Guinness konnte sie sogar einen noch bissigeren Ton finden als sie gedacht hatte.
Falls du dich je gefragt hast, wie über Jahrzehnte verkleckerte Guinnessflecken im Teppich riechen, brauchst du bloß nach Lisdoonvarna ins St. Paddy's Inn zu kommen. Als exotische Amerikanerin wurde ich gleich nach meiner Ankunft mit einem Übermaß an irischer Gastfreundschaft erstickt. Ich sage erstickt, denn es war schier unmöglich, die Angebote, reichlich Alkohol zu trinken, abzulehnen. Daher riecht es hier überall in dem dunklen Schuppen nach abgestandenem Guinness. Man hat geradezu das Gefühl, alles, Teppiche, Gardinen, Tapeten, wirklich alles klebt vom Bier. Sagen wir mal so, es würde mich nicht wundern, wenn morgen früh aus der Dusche in meinem veralteten, winzigen Bad dunkelbraune, schäumende Flüssigkeit käme.
In dieser Art setzte sie ihren Bericht fort. Sie wusste, dass es gemein war, das B&B auf diese Weise niederzumachen und erst recht die netten Menschen, die sie bisher getroffen hatte, aber sie konnte einfach nicht anders.
Sie endete den Bericht und schickte ihn ab. Elliot antwortete beinahe sofort mit lobenden Worten.
Weiter so, Keira. Das ist goldrichtig!
Im nächsten Moment klingelte ihr Telefon. Es war Bryn. Keira seufzte, denn das bedeutete, dass es mit der Arbeit für heute vorbei war. Sie klappte den Laptop zu und nahm das Gespräch an, während sie ins Bett krabbelte.
„Was ist los?“, fragte sie ihre Schwester.
„Ich hatte gerade ein misslungenes Date“, erklärte Bryn. „Also dachte ich, ich rufe dich an, um mehr über diesen stattlichen Tourguide zu erfahren.“
Keira lachte. „Also, er hat zu viele Haare. Und sein Modebewusstsein ist fragwürdig.Aber mit ein bisschen Mühe würde er schon etwas hermachen.“
„An deiner Stelle würde ich ihn mir schnappen“, sagte Bryn.
Keira schnappte nach Luft. Selbst für Bryns Verhältnisse war das schon sehr direkt. „Aber was ist mit Zach?“, fragte sie lachend.
„Was ist mit ihm?“, fragte Bryn abfällig zurück.
Keira stöhnte auf. „Er ist mein Freund“, erinnerte sie Bryn. „Und selbst wenn Shane zum Friseur gehen würde und sich neu einkleidete, dann könnte ich immer noch keine fünf Minuten in seiner Gegenwart verbringen, ohne ihm den Hals umdrehen zu wollen.“
Bryn lachte. „Das wird die nächsten paar Wochen irgendwie anstrengend machen, oder nicht?“
„Das und die Tatsache, dass sich mein Zimmer direkt über einem Pub ohne Sperrstunde befindet, und wo eine Folkband drin zu wohnen scheint.“
„Klingt großartig“, gab Bryn zurück. „Mann, Keira, du arbeitest so hart, dass du nicht einmal merkst, in welch aufregender Situation du dich befindest! Du hast gerade gesagt, dass die Party nie aufhört und dabei gestöhnt.“
„Du hörst dich an wie Shane“, antwortete Keira. „Wenn ich nicht trinken, tanzen oder fröhlich sein will, dann muss ich das auch nicht!“
Sie und Bryn beendeten das Gespräch. Keira stellte fest, dass sie trotz des Lärms von unten die Augen kaum noch aufhalten konnte. Also krabbelte sie unter die dünne Decke und legte den Kopf auf das verbeulte Kissen. Noch immer hatte Zach auf keine ihrer lustigen Nachrichten reagiert. Sie versuchte, ihn anzurufen, aber er ging nicht dran.
Sie ging auf Instagram und sah Fotos von Zach auf Ruths Hochzeit. Er sah großartig aus in seinem Anzug, aber er wirkte so einsam. Er schien immer etwas abseits und allein zu stehen, was ihr ein schlechtes Gefühl gab, nicht bei ihm zu sein. Vielleicht hatte ihre Mutter doch nicht ganz unrecht gehabt. Allein auf eine Hochzeit zu gehen, war schon etwas peinlich.
Schon fast im Halbschlaf, sah sie sich selbst mit Zach auf der Hochzeit. Allerdings war es gar nicht Zach, sondern Shane, rasiert, im maßgeschneiderten Anzug. Er sah noch besser aus, als sie gedacht hatte.
Keira erwachte mit einem Schrecken. Die Lage war schon kompliziert genug, da musste sie nicht auch noch ein Auge auf ihren Reisebegleiter werfen!
Sie schob alle weiteren Gedanken beiseite und verfiel endlich in einen tiefen Schlaf.
„Hast du gut geschlafen?“, fragte Orin, als Keira früh am nächsten Morgen die Treppe herunter kam und damit praktisch direkt wieder im Pub stand.
Sie rieb sich die verschlafenen Augen. „Ja, danke.“ Die Lüge kam ihr sehr leicht über die Lippen. Es war besser, so zu tun, als gefielen ihr das wackelige Bett, die dünne Decke und das verbeulte Kissen, anstatt sich zu beschweren und Orin damit aufzuregen. Schließlich konnte sie später über alles schreiben und sich damit praktisch alles von der Seele reden.
„Setz dich und iss dein Frühstück“, sagte Orin, führte sie zu einem Tisch und stellte einen Kaffee vor ihr ab. Gleich darauf folgte eine Schale mit Haferbrei. Er setzte sich ihr gegenüber. „Ich habe das auf irische Art zubereitet. Ich hoffe, du magst das.“
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