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Kaouther Adimi
Roman
Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Regina Keil-Sagawe
Die Übersetzung aus dem Französischen wurde vom SüdKulturFonds in Zusammenarbeit mit Litprom e. V. – Literaturen der Welt unterstützt.
Dieses Buch erscheint im Rahmen des Förderprogramms des französischen Aussenministeriums, vertreten durch die Kulturabteilung der französischen Botschaft in Berlin.
Titel der französischen Originalausgabe:
Les petits de Décembre
Copyright © 2019 by Editions du Seuil
E-Book-Ausgabe 2020
Copyright © der deutschen Übersetzung
2020 by Lenos Verlag, Basel
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Lenos Verlag, Basel
Coverfoto: Hibiki Nakata / Shutterstock
eISBN 978 3 85787 986 9
www.lenos.ch
Die Autorin
Kaouther Adimi, geboren 1986 in Algier, lebt und arbeitet seit 2009 in Paris. Sie veröffentlichte bisher vier Bücher, die zahlreiche Preise erhielten. Nach Des ballerines de papicha und Des pierres dans ma poche (dt. Steine in meiner Hand , Lenos 2017) war ihr dritter Roman Nos richesses (dt. Was uns kostbar ist , Lenos 2018) für den Prix Goncourt 2017 nominiert und wurde mit dem Prix Renaudot des lycéens und dem Prix du Style ausgezeichnet.
Die Übersetzerin
Regina Keil-Sagawe, geboren 1957 in Bochum, arbeitete nach ihrem Studium der Romanistik und der Germanistik als Universitätsdozentin und Kulturjournalistin. Seit rund dreissig Jahren übersetzt sie maghrebinische Belletristik, u. a. von Mahi Binebine, Boualem Sansal, Yasmina Khadra, Azouz Begag, Leïla Marouane, Albert Memmi, Driss Chraïbi, Cécile Oumhani und Youssouf Amine Elalamy; Lyrik u. a. von Habib Tengour und Mohammed Dib. Als Mitglied der Weltlesebühne e. V. organisiert und moderiert Regina Keil-Sagawe Übersetzungslesungen und leitet Workshops zu literarischen Übersetzungen. Sie lebt in Heidelberg.
Für Koteb, eines von den Kids .
Die Autorin Die Autorin Kaouther Adimi, geboren 1986 in Algier, lebt und arbeitet seit 2009 in Paris. Sie veröffentlichte bisher vier Bücher, die zahlreiche Preise erhielten. Nach Des ballerines de papicha und Des pierres dans ma poche (dt. Steine in meiner Hand , Lenos 2017) war ihr dritter Roman Nos richesses (dt. Was uns kostbar ist , Lenos 2018) für den Prix Goncourt 2017 nominiert und wurde mit dem Prix Renaudot des lycéens und dem Prix du Style ausgezeichnet.
Die Übersetzerin Die Übersetzerin Regina Keil-Sagawe, geboren 1957 in Bochum, arbeitete nach ihrem Studium der Romanistik und der Germanistik als Universitätsdozentin und Kulturjournalistin. Seit rund dreissig Jahren übersetzt sie maghrebinische Belletristik, u. a. von Mahi Binebine, Boualem Sansal, Yasmina Khadra, Azouz Begag, Leïla Marouane, Albert Memmi, Driss Chraïbi, Cécile Oumhani und Youssouf Amine Elalamy; Lyrik u. a. von Habib Tengour und Mohammed Dib. Als Mitglied der Weltlesebühne e. V. organisiert und moderiert Regina Keil-Sagawe Übersetzungslesungen und leitet Workshops zu literarischen Übersetzungen. Sie lebt in Heidelberg.
PLAN DER CITÉ DU 11-DÉCEMBRE-1960 IN DELY BRAHIM, ALGIER PLAN DER CITÉ DU 11-DÉCEMBRE-1960 IN DELY BRAHIM, ALGIER
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Das Ende
Nachwort
»Ein paar Kids proben den Aufstand, und im Nu ist das ganze System gestört«
Anmerkungen
Der Junge suchte.
Nach einem Weg, kaum angedeutet.
Tastend kam er voran.
Da verlor sich der Pfad.
Im Regen ertränkt.
Und der Regen, er fiel.
Mohammed Dib,
L’Enfant-jazz
PLAN DER CITÉ DU 11-DÉCEMBRE-1960 IN DELY BRAHIM, ALGIER
Algier im Februar. Sturmböen, Nieselregen, sinkende Temperaturen. Die Stadt ertrinkt, ertränkt ihre Einwohner gleich mit. Überall Schlamm, man hat Mühe zu laufen. Zögert, ob man überhaupt aus dem Haus gehen soll, nie ist man warm genug angezogen. In den Bussen ist es eisig, die Klassentüren knallen im Luftzug, weil die Fensterscheiben zerbrochen sind, und die auf den Terrassen ausgespannten Laken sind wasserdurchtränkt.
Der Himmel verhangen, mit Wolken grau und schwer vom Regen, der schon bald so manche Stadt im Land überfluten wird. In den Bäumen ein Knacken und Knarren, das die Passanten in Angst versetzt. Die Vögel verstummt. Patschnass kehren die Kinder von der Schule zurück, mit schlammverschmiertem Schuhwerk.
Im Stadtzentrum kommen die Autos nur mühsam voran. Die Polizisten haben durchsichtige Regenmäntel über ihre blauen Uniformen gestreift. Sie versuchen, den Verkehr in halbwegs geordnete Bahnen zu lenken. Aber sind sie wirklich zu etwas nutze? Sind sie hilfreicher als eine gewöhnliche Ampel? An der Antwort ist nichts zu deuteln, hundert Prozent der Algerier glauben, dass die Polizei das heillose Verkehrschaos in der Weissen Stadt eher verursacht denn behebt. Das wissen auch die Polizisten, deshalb sind sie ständig leicht gereizt. Zur Verkehrsregelung versetzt zu werden gilt als Strafe, als Demütigung. Der unbedeutendste Vorgesetzte kann seinen Untergebenen beim geringsten Verdruss dazu verdonnern, sich wochenlang an einem Kreisel die Beine in den Bauch zu stehen, mitten im Winter oder im Hochsommer bei drückender Hitze.
Auf Höhe der Schlucht der Wilden Frau hat sich eine riesige Schlange gebildet. Die Autofahrer sind nervös. Es wird geflucht, was das Zeug hält. Man kommt nur millimeterweise voran. Auf dem Rücksitz halten die Kinder durch die beschlagenen Scheiben hindurch Ausschau nach dieser berühmten Wilden Frau, die sie so fasziniert. Im 19. Jahrhundert soll sie hier mit ihren zwei Kindern gelebt haben, die sie nach dem Tod ihres Mannes alleine aufzog. Eines Tages, als besonders schönes Wetter war, brach die kleine Familie zum Picknick in das Wäldchen am Oued Kniss auf. Die Kinder trieben sich gar zu gern dort herum. Sie wussten, sie durften sich nicht in die Nähe der hochgefährlichen Schlucht begeben, aber es waren keine sehr artigen Kinder, sie tobten gern und balgten herum. Die Mutter, erschöpft, hielt kurz im Schatten eines Baums Siesta. Als sie aufwachte, waren die Kinder weg!
Nachbarn, Freunde, Gendarmen suchten die ganze Gegend ab. Bei Einbruch der Nacht unterbrach man die Suche. Die Mutter weigerte sich, nach Hause zu gehen, schrie sich weiter die Seele nach ihren lieben Kleinen aus dem Leib. Und verlor den Verstand. Niemand vermochte sie je dazu zu bewegen, den Wald zu verlassen.
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