„Du hast recht, Kutscher. Man muß nur die Anfangsschwierigkeiten überwinden. Dimidium facti qui coepit habet.“
„Könnt ihr das nicht in unserer Sprache sagen?“ fragte der Profos erbittert. „Ich verstehe immer nur Delirium.“
„Kein Wunder“, sagte der Kutscher trocken. „Von deiner Erleuchtung als Schiwa bist du noch weit entfernt. Du mußt erst das große Nirwana überwinden, um aus dem Delirium zu gelangen. Der Sir wollte mit den Worten nur ausdrücken, daß frisch gewagt halb gewonnen ist.“
„Als Schiwa könnte ich dich elenden Erdenwurm jetzt mühelos vernichten“, tönte Carberry. „Nur ein Hauch von mir, und du bist weg.“
„Ja, deine Fahne ist umwerfend“, gab der Kutscher zu. „Wieder an der Buddel genuckelt, wie? Eines Tages wird man dich wegen Desertion von Schnapsgeruch verurteilen und es als Fahnenflucht begründen.“
Carberry blieb nichts anderes übrig, als zähneknirschend die Waffen zu strecken. Auch seine Drohung, das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, verhallte ungehört, denn die Mannen beschäftigten sich ausgiebig mit der Ladung.
„He! Du sprichst mit dem großen Fruchtbarkeitsgott“, nölte Mac Pellew, der sich berufen fühlte, diesmal sein Eddielein in Schutz zu nehmen. „Er ist hier der große Yogi und Asket.“
„Asket ist gut“, sagte der Kutscher mit einem leisen Kichern. „Ich werde ihn gelegentlich an die Askese erinnern, wenn er wieder ein Faß Bier vor sich stehen hat.“
„Hört damit auf“, zischte Hasard, „und laßt die verschiedenen Gottheiten aus dem Spiel. Man könnte es uns verübeln.“
Carberry stand aber doch hoch im Kurs, wie er feststellen mußte. Die beiden Hof beamten begegneten dem Profos mit allergrößtem Respekt, und sobald er sie nur wohlwollend ansah, legten sie die Hände an die Stirn und verneigten sich ehrfürchtig. Bei den anderen wurden die Hände nur bis zur Brust gefaltet, und auch die Verneigung fiel nicht so tief aus.
Somit wurde dem Profos stets die höchste Ehre zuteil, und daher war sein Blick auch manchmal hochmütig und erhaben auf den Kutscher gerichtet, der zwar Lateinisch faseln konnte, von der Reinkarnation aber noch sehr weit entfernt war. Ganz zu schweigen von der großen Erleuchtung, die den Profos längst heimgesucht hatte.
„Wieviel mag das insgesamt sein?“ fragte Ferris Tucker leise. „Das Magazin ist randvoll mit Fäßchen, Stoßzähnen, Ballen und Kisten.“
Hasard hatte vorhin schon versucht, die Menge zu überschlagen.
„Zwischen dreißig und vierzig tons, schätze ich, eher mehr. Wenn wir das an Bord nehmen, ist unser Indien-Törn beendet. Wir werden dann nach England zurücksegeln und unsere Mission als erfolgreich abschließen, falls wir noch Zusagen des Maharadschas erhalten sollten.“
Er sah in enttäuschte und erstaunte Gesichter.
„Was – schon wieder zurück?“ fragte Jung Hasard, und sein Bruder Philip sagte: „Wir sind ja noch nicht mal richtig da. Das ging aber verdammt schnell. Ich dachte, wir …“
„Da habt ihr falsch gedacht“, belehrte Hasard seine Söhne. „Wir haben die Aufgabe, Handelsbeziehungen anzuknüpfen, und wenn das erfolgreich verläuft, kehren wir nach England zurück, erstatten der guten Lissy unseren Bericht und verholen uns in die Karibik. Oder soll das Zeug hier vergammeln? Wir haben den Weg geebnet, jedenfalls in Bombay, und nach uns wird die Gesellschaft, die später für den Ostindien-Handel zuständig sein wird, alles übernehmen.“
Für die meisten erfolgte dieser Wechsel zu abrupt. Sie hatten zwar keine konkreten Vorstellungen von dem, was in den nächsten Tagen und Wochen geschehen sollte, aber an Heimkehr dachte niemand. Unbewußt hatten sie sich alle auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet.
„Ich dachte, wir klappern noch ein paar andere Städte ab“, murmelte Carberry.
„Mit mehr als vierzig tons Ladung im Bauch?“
„Der Maharadscha hat gesagt, die Ladung liege auf Abruf bereit. Wir können sie also holen, wann immer wir wollen.“
„Wenn wir das allzulange hinauszögern, dürften die Gewürze ihr markantes Aroma verlieren“, sagte der Seewolf. „Dann sind sie auch nichts mehr wert. Ich dachte, ihr freut euch auf die Karibik.“
„Das schon, aber die läuft uns ja nicht weg.“
Dan O’Flynn war ganz sachlich. „Wann stauen wir, Sir?“
Hasard überlegte nicht lange. Sie würden noch einmal mit dem Maharadscha sprechen, die Kontakte vertiefen und abwarten, was sich daraus entwickelte.
„Morgen früh. Bis wir alles sorgfältig für den langen Törn verstaut haben, werden zwei Tage vergehen, einschließlich Verproviantierung und Trinkwasseraufnahme. In spätestens drei Tagen können wir dann lossegeln.“
„Na dann“, sagte Carberry lustlos. „Gerade jetzt, wo ich so schön in Fahrt und auf dem Wege der Erleuchtung bin.“
„In drei Tagen kann noch eine Menge passieren“, tröstete ihn Mac Pellew. Aber er schien selbst nicht daran zu glauben. Er zog ein Gesicht wie ein erfolgloser Leichenbestatter.
Eine halbe Stunde später kehrten sie an Bord zurück.
Um die Mittagszeit war die Hitze in Bombay kaum auszuhalten. Die Sonne stand senkrecht über der Schebecke und heizte sie mit aller Gewalt wie einen glühenden Ofen auf.
Der Monsunregen hatte zwar vor einiger Zeit eingesetzt, doch jetzt gab es eine knochentrockene Zwischenperiode, in der kein einziger Tropfen Regen fiel.
Bombay, von den Indern Mumbai genannt, schien um diese Zeit wie ausgestorben zu sein. Die Leute hielten sich im Schatten ihrer Häuser auf, und selbst in dem prächtigen Palast des Ischwar Singh regte sich nichts.
Auf der Reede lagen zwei portugiesische Galeonen und ein paar hundert Yards von der Schebecke entfernt eine portugiesische Karavelle.
Auf den Schiffen schien ebenfalls alles Leben ausgestorben zu sein.
Old O’Flynn und die Zwillinge waren schon einmal hiergewesen und hatten ein portugiesisches Schiff in Brand gesteckt, das sie unter Feuer genommen und ihren Zweimaster versenkt hatte.
Aber das wußte hier niemand, und außerdem kümmerten sich die Portus nicht um die Engländer, seit sie gemerkt hatten, daß sie unter dem persönlichen Schutz des Maharadschas standen.
Von Ischwar Singh hing alles ab, und keiner, der hier Handel trieb, wollte es mit ihm verderben. Dazu war das Geschäft zu lukrativ. Außerdem waren die meisten indischen Potentaten unberechenbar, und ihre Launen pflegten sehr schnell zu wechseln.
In dieser Hitze taten auch die Arwenacks nichts. Die meisten hockten faul und träge herum. Nur ein paar Unentwegte bummelten durch die menschenleeren Gassen von Bombay.
Arwenack hockte schlafend an Deck. Der Aracanga-Papagei Sir John hatte es ebenfalls vorgezogen, auf der Rahrute vor sich hinzudösen, und die Wolfshündin Plymmie lag hechelnd unter dem achteren Niedergang, wo sie im Schatten vor der sengenden Sonne Schutz suchte.
„Regnen müßte es“, sagte Carberry schläfrig zu Stenmark. „So stark regnen wie in den letzten Tagen. Das erfrischt wenigstens ein bißchen. Bei dieser Affenhitze wird man ganz dösig im Schädel.“
Smoky, der ihm schräg gegenüber unter einem aufgespannten Sonnensegel saß, nickte kläglich.
„Du sagst es, Schiwa-Carberry. Aber der Regen war so lauwarm, daß er auch keine Abkühlung brachte.“
„Wie wär’s denn mit einem kleinen Bad?“ fragte Stenmark. „Das würde schon ein bißchen abkühlen.“
„Dann haben wir wieder einen Hai am Achtersteven hängen“, murmelte Carberry und dachte an Tuti Ischwar, den jungen Prinzen von Bombay, den fast die Haie auf Reede zerrissen hätten. „Wo Haie sind, bade ich nicht unbedingt gern.“
„Ich gehe jedenfalls schwimmen“, verkündete Stenmark. „Haie habe ich heute weit und breit noch keine gesehen. Die sind auch nur durch die blutigen Abfälle angelockt worden.“
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