Der Propst sah Ingilbert scharf an. Er hatte zu bemerken gemeint, daß der Sohn wie sein Vater vom Golddurst besessen sei. Ingilbert war ja einmal ums andere in die Hütte hereingekommen, als wolle er es verhindern, daß der Vater den Ring weggebe.
»Du, Ingilbert, das ist ein schmaler, gefährlicher Weg«, sagte er. »Ich fürchte, das Pferd wird auf den glatten Stämmen ausgleiten.«
»Ich werde das Pferd führen, dann braucht der ehrwürdige Herr Propst keine Angst zu haben«, sagte Ingilbert, und damit griff er auch schon nach den Zügeln des Pferdes.
Als sie mitten auf dem Moor waren mit nichts als lockerem Schlamm und Moos nach allen Seiten, fing aber Ingilbert an, das Pferd zurückzutreiben. Es sah aus, als wollte er es von dem schmalen Steg abdrängen.
Das Pferd bäumte sich, und der Propst, der sich nur schwer im Sattel halten konnte, rief seinem Begleiter zu, er solle doch um Gottes willen die Zügel loslassen.
Ingilbert aber schien nichts zu hören, und der Propst sah, wie er mit düsterem Gesicht und zusammengebissenen Zähnen mit dem Pferd kämpfte, um es in den bebenden Sumpf hineinzutreiben. Es war der sichere Tod für den Reiter und das Pferd.
Da steckte der Propst die Hand in die Tasche und zog einen kleinen Beutel aus Ziegenleder heraus. Den schleuderte er Ingilbert mitten ins Gesicht.
Dieser ließ die Zügel los, um den Beutel aufzufangen; dadurch wurde das Pferd frei und raste erschrocken über die Brücke weiter. Ingilbert aber blieb stehen und machte keinen Versuch, ihm zu folgen.
Nach einem solchen Erlebnis ist es nicht verwunderlich, daß der Propst ein wenig wirr im Kopf war, und daß es Abend wurde, bis er den Weg ins Dorf hinunter fand. Ebensowenig ist es merkwürdig, daß er nicht auf der Olsbystraße, die der beste und kürzeste Weg war, aus dem Walde herauskam, sondern viel zu weit nach Süden abgebogen war und sich nun gerade am Ausgang des Waldes, dem Gutshof Hedeby gegenüber, befand.
Während er drinnen im Waldesdunkel umhergeritten war, hatte er gedacht, das erste, was er tun müsse, falls er glücklich nach Hause komme, sei, den Vogt herbeizurufen und ihn zu bitten, mit ihm in den Wald zu gehen, um Ingilbert den Ring wieder abzunehmen. Als er nun aber an Hedeby vorbeiritt, überlegte er einen Augenblick, ob er nicht da hineinreiten und dem Rittmeister Löwensköld mitteilen sollte, wer es gewesen war, der sich erdreistet hatte, in das Grab hinunterzusteigen und den Königsring zu stehlen.
Man könnte ja meinen, eine so natürliche Sache verlange keine lange Überlegung; aber der Propst zweifelte doch etwas, weil zwischen seinem Vater und dem Rittmeister einst nicht das beste Einvernehmen geherrscht hatte. Der Rittmeister war in ebenso hohem Grad ein Mann des Friedens, wie sein Vater ein Mann des Krieges gewesen war. Der Rittmeister hatte sich gleich nach dem mit den Russen geschlossenen Frieden aus dem Kriegsdienst abgemeldet und von da an seine Kraft dafür eingesetzt, dem Wohlstand des Landes wieder aufzuhelfen, der während der Kriegsjahre heruntergekommen war. Er war ein Gegner von Alleinherrschaft und Kriegsruhm, ja, er pflegte über Karl XII. selbst sowie auch über manches andere, was der alte Vater hochstellte, tadelnde Reden zu führen. Außerdem war der Sohn ein eifriger Teilnehmer im Reichstagskrieg gewesen, aber eben immer als Anhänger der Friedenspartei. Jawohl, er und der Vater hatten genug Grund zum Streiten gehabt.
Als der Ring des Generals vor sieben Jahren gestohlen worden war, hatten der Propst und viele andere mit ihm gemeint, der Rittmeister lasse es sich nicht besonders angelegen sein, ihn wieder zu erlangen. Und das war der Grund, warum der Propst nun bei sich selbst dachte: »Es hat keinen Wert, wenn ich mir die Mühe mache, hier auf Hedeby vom Pferd zu steigen. Der Rittmeister fragt nicht danach, ob es der Vater Bård Bårdsson oder Ingilbert ist, der den Ring am Finger trägt. Es ist am besten, ich rede gleich mit dem Lehnsmann Carelius über den Diebstahl.«
Gerade aber, als der Propst noch weiter überlegte, sah er, wie das Gittertor, das die Einfahrt nach Hedeby abschloß, ganz sacht aufging und weit offenstehen blieb.
Das sah recht merkwürdig aus; aber es gibt ja viele Gittertüren, die in dieser Weise von selbst aufgehen, wenn sie nicht ordentlich zugemacht worden sind, und der Propst dachte nicht weiter über diese Sache nach. Immerhin aber hielt er es für ein Zeichen, daß er in Hedeby einkehren sollte.
Der Rittmeister nahm ihn freundlich auf, ja fast besser, als es bei ihm der Brauch war.
»Es ist schön, daß du bei mir eingekehrt bist, verehrter Freund«, sagte er. »Ich habe mich danach gesehnt, dich zu sprechen, und habe heute schon mehrere Male in die Propstei hinübergehen wollen, um dir etwas ganz Merkwürdiges mitzuteilen.«
»Da wärest du, Freund Löwensköld, vergeblich gekommen«, entgegnete der Propst. »Schon in aller Frühe wurde ich zu einem Sterbenden auf die Olsbyalm gerufen und komme von da eben erst zurück. Das ist ein abenteuerlicher Tag für mich alten Mann gewesen.«
»Dasselbe kann ich auch sagen, obgleich ich kaum von meinem Sessel aufgestanden bin. Ich kann dir versichern, geschätzter Freund, obgleich ich bald ein Fünfziger bin und in den harten Kriegsfahrten sowie auch später noch allerhand mitgemacht habe, so ist mir doch nie etwas Merkwürdigeres widerfahren als das, was ich heute erlebt habe.«
»Wenn es so ist, dann will ich das Wort jetzt dir überlassen, Freund Löwensköld«, sagte Propst. »Auch ich habe dir eine ganz sonderbare Geschichte zu erzählen. Doch will ich nicht behaupten, es sei das Merkwürdigste, was mir je widerfahren ist.«
»Na ja«, sagte der Rittmeister. »Es ist ja möglich, daß du gar nichts Wunderbares an meiner Geschichte findest. Gerade deshalb wollte ich mich mit dir darüber aussprechen. – Du hast doch wohl schon von Gathenhielm reden hören?«
»Von dem schrecklichen Seeräuber und gewissenlosen Kaperkapitän, der von König Karl zum Admiral ernannt wurde? Wer hätte von dem nicht reden hören?«
»Heute mittag«, fuhr der Rittmeister fort, »kamen wir auf die alte Zeit zu sprechen. Meine Söhne und der Hauslehrer fragten mich darüber aus, wie es damals war, denn von so etwas will die Jugend immer gern reden hören. Aber nach all den schweren, harten Jahren, die wir nach König Karls Tod hier in Schweden haben durchmachen müssen, wo wir durch den Krieg und den Geldmangel großen Mangel an allem litten, danach, mein lieber Freund, nein, danach fragen sie nie. Bei Gott im Himmel droben, sollte man nicht meinen, sie rechneten für gar nichts, was es heißt, niedergebrannte Städte wieder aufzubauen, Eisenwerke und Fabriken anzulegen, Wälder zu roden und neue fruchtbare Äcker zu schaffen! Ich glaube, meine Söhne schämen sich meiner und meiner Zeitgenossen, weil wir aufhörten, mit Kriegsheeren auszuziehen und fremde Länder zu verwüsten. Sie scheinen zu glauben, wir seien schlechtere Männer als unsere Väter, und die alte schwedische Kraft sei von uns gewichen.«
»Da hast du ganz recht, Freund Löwensköld«, sagte der Propst. »Diese Vorliebe der Jugend für das Kriegshandwerk ist tief bedauerlich.«
»Nun, ich gab also dem Wunsche nach«, fuhr der Rittmeister fort, »und da sie etwas von einem großen Kriegshelden hören wollten, erzählte ich ihnen von Gathenhielm und seinem grausamen Verfahren gegen Kaufleute und friedliche Reisende, weil ich dachte, ich würde dadurch Entsetzen und Abscheu bei ihnen hervorrufen. Und als mir dies auch gelang, bat ich sie, nun auch zu bedenken, daß dieser Gathenhielm ein echter Sohn der Kriegszeit gewesen ist, und fragte sie, ob sie wohl wünschten, die Erde von solchen Teufelsbraten bevölkert zu sehen?
Ehe jedoch meine Söhne mir auf diese Frage Antwort gegeben hatten, ergriff der Hauslehrer das Wort und bat mich, ihm zu erlauben, nun auch eine Geschichte von Gathenhielm zu erzählen. Und da er sagte, diese Geschichte bestätige nur, was ich schon vorher von Gathenhielms Wildheit und Raserei gesagt habe, gab ich die Erlaubnis.
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