Jetzt gingen sie freundlich nebeneinander, wenn auch nicht mehr Hand in Hand. Die des Palastschülers war auf das Hifthorn geglitten, das der Bischofsneffe mit aufmerksamen Blicken betrachtete. «Das hier kommt aus dem Gebirge», sagte er.
«So», machte der Behelmte. «Aus welchem Gebirge?»
«Aus unserm, Landsmann. Ich kenne dich an deiner Sprache, wie du mich ebendaran erkannt haben wirst, da du mich, wofür ich dir danke, den Neckereien der Palastschule entzogest. Daß du es wissest, ich bin Graciosus» – der kluge Räter hatte diesen seinen hübschen Namen den Spöttern am Reiterbilde weislich verschwiegen – «oder auf deutsch Gnadenreich, und du bist Wulfrin, Sohn Wulfs, wenn dieses Hifthorn dein Erbteil ist, wie ich vermute.»
Wulfrin runzelte die Stirn. Es mochte ihm nicht willkommen sein, von der Heimat zu hören. Dann musterte er Gnadenreich und fand einen anmutenden wohlgebildeten Jüngling, eine Gott und Menschen gefällige Erscheinung, nicht anders als der Name lautete. Er klopfte ihn auf die runde Schulter, deren Schmiegsamkeit zu dieser beschützenden Liebkosung einlud, und sagte: «Es macht warm.» In der Tat strahlte nicht nur die römische Märzsonne, sie brannte sogar.
«Ja, es macht warm», wiederholte er, hob den Helm und wischte mit der Hand einen Schweißtropfen. «Leeren wir einen Becher?» und ohne die Antwort zu erwarten, bog er nach wenigen Schritten in den offenen Hofraum eines klösterlichen Gebäudes und warf sich dort auf eine Steinbank, wo Graciosus in Züchten sich neben ihn setzte. «Ich darf mich nicht weiter verziehen», sagte der Höfling, «als das Horn reicht, wann Herr Karl die Schule zusammenruft. Auch liebe ich dieses junge Geschöpf», scherzte er und zeigte auf eine Palme, welche in geringer Entfernung auf dem Vorsprunge eines Hügels, von leichten Windstößen bewegt, sich im blauen Himmel fächerte und etwa sechzehn Jahresringe zählen mochte. «Hier heißt es ad palmam novellam und Pförtner Petrus schenkt einen herben. He, Petrus!» Dieser, ein Alter mit struppigem Bart, feurigen Augen und zwei riesigen Schlüsseln am Gurte, brachte Kanne und Becher.
«Palma novella ist auch ein Frauenname», bemerkte Graciosus und netzte den Mund.
«Mag sein», versetzte Wulfrin. «In Hispanien, wenn mir recht ist, läuft derlei Getauftes oder Ungetauftes herum. Ich habe mich nicht damit befaßt. Ich mache mir nichts aus Weibern.»
«Deine rätische Schwester heißt auch nicht anders», sagte Gnadenreich unschuldig.
«Meine – rätische – Schwester?»
«Nun ja, Wulfrin, das Kind der Judicatrix, meiner Nachbarin auf Malmort am Hinterrhein. Du hast sie nie von Angesicht gesehen, die Frau Stemma, das zweite Weib deines Vaters?»
«Das dritte», murrte Wulfrin. «Ich bin von der zweiten.»
«Das weißt du besser. Auch das jähe Ende deines Vaters weißt du, bei seinem Auftritt in Malmort. Palma ist nachgeboren.»
«Es sei», versetzte Wulfrin verdrossen. «Warum auch sollte es nicht sein? Rührt mich aber nicht. Was mich kümmern konnte, hat mir der Knecht des Vaters, der Steinmetz Arbogast, umständlich berichtet. Ich habe es mit ihm beredet und erörtert mehr als einmal und noch zuletzt am Wachfeuer vor Pertusa, wenige Augenblicke bevor den treuen Kerl der maurische Pfeil meuchelte. Das ist nun fertig und abgetan. Wisse: als Siebenjähriger bin ich daheim ausgerissen – der Vater hatte mir das sieche Mütterlein ins Kloster gestoßen – und über Stock und Stein zu König Karl gerannt. Dorthin hat mir der Arbogast mein Erbe gebracht, das Wulfenhorn, dieses hier. Der Wulfenbecher, der dazu gehört, obschon er heidnisch ist – das Horn ist biblischen Ursprungs – blieb auf Malmort und mag dort bleiben, bis ich freie, und das hat Weile. Sie werden ihn aufgehoben haben. Du hast ihn wohl gesehen, wenn du dort ein- und ausgehst.»
Graciosus nickte.
«Verstehe: beide, Horn und Kelch, sind zwei Altertümer, mit Tugenden und Kräften begabt. Den Becher gab einem Wölfling ein Elb oder eine Elbin von denen im Hinterrhein. Solang eines Wolfes Weib ihn ihrem Wolfe kredenzt und den darein gegrabenen Spruch ohne Anstoß hersagt, einmal vorwärts und einmal rückwärts, gefällt und mundet sie dem Wolfe. Über das Hifthorn sind die Meinungen geteilt. Nach den einen ist es gleichfalls ein elbisches Geschenk, und vor dem Burgtor bei der Rückkehr geblasen, zwingt es die Wölfin zu bekennen, was immer sie in Abwesenheit des Gatten gesündigt hat. Andere dagegen behaupten, daß ein Wolf im Gelobten Lande das Horn mit seinem Schwert aus dem erstarrten Pech und Schwefel des Toten Meeres grub. So ist es ein im Getümmel zur Erde gestürztes Harschhorn, von denen, welche die himmlischen Haufen bliesen zum Gericht über Sodom und Gomorra.» Wulfrin blickte dem Räter ins Gesicht, der ihm – Schlauheit oder Einfalt – zwei gläubige Augen entgegenhielt.
Eben wurde vom Winde ein Bruchstück der Seelenmesse aus Ara Cöli hergetragen. Zornig und drohend sangen sie dort: «Dies irae, dies illa, dies magna et amara valde!»
«Schöne Bässe», lobte Wulfrin. «Um wieder auf den Becher zu kommen, so glaube ich nicht an seine Kraft. Sicherlich hat die Mutter nicht unterlassen, seinen Spruch herzubeten, vorwärts und rückwärts. Es hat nichts gefruchtet. Sie welkte und der Vater verstieß sie.» Er tat einen Seufzer.
«Und das Horn?» fragte Schelm Graciosus.
Der Höfling wog es in den Händen und lächelte. Graciosus lächelte gleichfalls.
«Übrigens ist es das beste Hifthorn im Heere. Das ruft! Höre nur!» und er setzte es an den Mund.
«Um aller Heiligen willen, Wulfrin, laß ab!» schrie Graciosus ängstlich. «Willst du die Stadt Rom in Aufruhr bringen?»
«Du hast recht, ich dachte nicht daran.» Wulfrin ließ das Horn in die tragende Kette zurückfallen.
«Dieses Hifthorn», sagte jetzt Graciosus bedächtig, «wurde mir beschrieben. Auch hat es der Knecht Arbogast in Stein gemeißelt auf dem Grabmal im Hofe von Malmort, wo er den Comes, deinen Vater, abbildete und die Wittib daneben.»
«So?» grollte Wulfrin. «Konnte der Vater nicht allein liegen?»
Graciosus ließ sich nicht einschüchtern. «An den Herrn des Hifthorns habe ich einen Auftrag», sagte er.
«Du bist voller Aufträge. Von wem hast du diesen?»
«Von der Richterin.»
«Welche Richterin?» Entweder war Wulfrin von harten Begriffen oder seine Laune verschlechterte sich zusehends.
«Nun, die Judicatrix Stemma, deine Stiefmutter.»
«Was hab’ ich mit der Alten zu schaffen! Warum lächelst du, Männchen?»
«Weil du so mit ihr umgehst, die noch schön und jung ist.»
«Ein altes Weib, sage ich dir.»
«Ich bitte dich, Wulfrin! Dein Vater freite sie als eine Sechzehnjährige. Dein Geschwister ist nicht älter. Zähle zusammen! Doch jung oder alt, sie gab mir den Auftrag und ich darf ihn nicht unausgerichtet heimbringen.»
Der Höfling verschluckte einen Fluch. «Du verdirbst mir den Krätzer, er schmeckt wie Galle.» Erbost stieß er den Becher von der Bank und setzte den Fuß darauf. «So sprich!»
«Frau Stemma», begann Gnadenreich in bildlicher Rede, «will sich vor dir die Hände in ihrer Unschuld waschen.»
«Ein Becken her!» spottete Wulfrin, als riefe er in die Gasse hinaus nach einem Bader.
«Wulfrin, stünde sie vor dir, du straftest deine Lippen! Keine in Rätien hat edlere Sitten. Was sie verlangt, ist gebührlich. Auf der Schwelle ihres Kastells, vor ihrem Angesichte, jählings ist dein Vater erblichen. Das ist schrecklich und fragwürdig. Frau Stemma läßt dir sagen, sie wundere sich, daß sie dich rufen müsse, sie habe dich längst, täglich, stündlich erwartet, seit du zu deinen mündigen Jahren gekommen bist. Nur ein Sorgloser, ein Fahrlässiger, ein Pflichtvergessener – nicht meine Worte, die ihrigen – verschiebe und versäume es, sie zur Rechenschaft zu ziehen.»
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