Dirk Rasch
RETTET DEN
FUSSBALL!
Zwischen Tradition,Kommerz undRandale
VERLAG DIE WERKSTATT
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Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt
ISBN 978-3-7307-0147-8
INHALT Einleitung KAPITEL 1 Die Entwicklung des Profifußballs – vom „Hipp, hipp, hurra” zur globalen Marke Der Wertewandel Die Kommerzialisierung des Profifußballs Der Beginn – Die Einführung der Bundesliga 1963/64 Die Revolution – Ein Hubertushirsch und die Trikotwerbung Merchandising – Der Gartenzwerg lebt Quantensprünge – Die Massenmediale Vereinnahmung des Profifußballs Boomtown Bundesliga Entwicklung: Umsätze, Spieleretats, Gewinne und Verbindlichkeiten Marktbeherrschung und Langeweile statt Wettbewerb und SpannungZweite Bundesliga – Zwischen Solidarpakt und AufstiegsdruckDie 3. Liga – „Das Armenhaus des Profifußballs”Wirtschaftsfaktor BundesligaDie Klubs der europäischen Topligen – zwischen Insolvenz und Champions LeaguePrimera Division (Spanien): „Herr Faus hat keine Ahnung vom Fußball” (Lionel Messi)England: Über Oligarchen und ScheichsItalien: „Es ist gut, dass es mich gibt” (Silvio Berlusconi)Die Bundesliga und die europäischen Topligen – Ein Vergleich . .Die UEFA, das Financial Fair Play und GibraltarDie FIFA – „Gott hält sich nicht für Blatter” KAPITEL 2 15 Jahre auf der Achterbahn Zwischen Bismarck und Che Guevara„So ist das Geschäft” – Trainer, Trainerentlassungen und SpielertypenTicken Schiris anders? – Metzen, Gräfe und ein Linienrichter auf DopeEine Pfingsttour, Alfons Schuhbeck und eine Keilerei im VIP-Raum„Und plötzlich stand Django in der Tür” – Steuerfahndung beim VfL Osnabrück„Nicht nur Tore zählen. Soziale Verantwortung im Profifußball”Der Wettskandal – auch eine Osnabrücker TragödieThomas Cichon – Zwischen Wettsucht und ManipulationsversuchenThomas Reichenberger – „Er hat nichts damit zu tun”Über „asiatische Marionetten” KAPITEL 3 Rassismus und Gewalt – die hässliche Seite des Profifußballs „Verpiss dich” – Bedrohung, Hass und Gewalt„Hurra, hurra, die Deutschen, die sind da”Profifußball und Rassismus – ein europäisches Problem KAPITEL 4 Tradition so viel wie möglich – Kommerz so viel wie nötig „Der Fußball gehört uns” – FangruppierungenDie 50+1-Regel – Erfordernis oder Auslaufmodell? KAPITEL 5 Faszination Fußball – wie lange noch? Ein FazitVerteilung der TV-RechteerlöseObergrenzen für Gehälter: Eine Chance für mehr WettbewerbTransparenz und Begrenzung von AblösesummenNachwuchsförderungDie FIFA – Transparenz und AltersbegrenzungAnstoßzeiten, Stehplatzgarantie und TicketpreiseDie WM in Brasilien – ein etwas anderes ResümeeZum Schluss: Ein trauriger Nick Hornby
EINLEITUNG
Als ich sieben Jahre alt war, nahm mich mein Vater zum ersten Mal zu einem Fußballspiel mit. Ich lebte damals in Düsseldorf. Also war die dortige Fortuna unser Verein.
Es war ein Auswärtsspiel, und der Gegner hieß Westfalia Herne. Gespielt wurde im Stadion Schloss Strünkede vor ausverkauftem Haus. Zwar verlor die Fortuna, aber es war für mich ein Erlebnis mit Initialzündung. Ich hatte vor dem Spiel einen rot-weißen Fortuna-Schal geschenkt bekommen und war stolz, diesen erstmals zu tragen. Im Gästeblock gemeinsam mit Tausenden von Düsseldorfern die Fortuna-Spieler leidenschaftlich zu unterstützen, hingegen die Spieler und Fans des Gegners zu schmähen, war mein erstes faszinierendes Fußballerlebnis.
So wie Kultautor Nick Hornby in „Fever Pitch“ (1992) die Entstehung seiner Leidenschaft für den Fußball und im Besonderen für seinen Klub Arsenal FC beschreibt, erging es zeit- und raumversetzt auch mir mit dem damaligen Team von Fortuna Düsseldorf. Vor über 50 Jahren ist eine Fußballleidenschaft in mir entstanden, die zwar altersund erfahrungsbedingt nachgelassen hat, aber noch nicht gänzlich verschwunden ist.
Der Fußballsport spielte in meiner Familie stets eine dominante Rolle, der sich nicht alles, aber vieles unterzuordnen hatte. Als ich zehn Jahre alt war, zogen meine Eltern mit mir von Düsseldorf nach Kopenhagen. Für uns Migranten aus „Tyskland“, die noch in den 1960er Jahren wegen des Einmarsches deutscher Truppen 1940 in Dänemark nicht willkommen waren, war es besonders wichtig, sich schnell zu integrieren.
Also begab sich mein Vater umgehend auf die Suche nach einem populären Fußballklub in Kopenhagen. Er war davon überzeugt, dass wir uns auf diese Weise schneller mit der Stadt und ihren sympathischen Einwohnern identifizieren könnten. Auch ließ sich so eine neue, komplizierte, aber auch lustige Sprache (Käse heißt „Ost“, alter Käse „Gammel Ost“ und Bier „Öl“) schneller erlernen. Seine Wahl fiel auf KB København. Eine kluge Entscheidung, denn KB wurde in der laufenden Saison dänischer Meister.
Ich selbst war auch aktiver Fußballer. Als Jugendlicher spielte ich in diversen Auswahlmannschaften, danach im gehobenen Amateurbereich. In meinen Studienorten Freiburg und Göttingen habe ich versucht, mich bei den dortigen Profiklubs im Probetraining für einen Profivertrag zu empfehlen. Ich bin jedoch jeweils als zu verspielt ausgemustert worden.
Bereits mit 14 Jahren wollte ich der klassische „Zehner“ sein. Vor allem deswegen, weil damals mit Wolfgang Overath ausgerechnet ein Kölner Spieler für mich, den gebürtigen Düsseldorfer, zum fußballerischen Vorbild avancierte. Seine aus dem Stand geschlagenen Diagonalpässe habe ich stundenlang trainiert – allerdings mit dem rechten Fuß. Ihn später als Präsidentenkollegen anlässlich eines Punktspiels „seines“ FC gegen „meinen“ VfL (der VfL hat 2:1 gewonnen) kennengelernt zu haben, war ein besonderer Moment in meiner präsidialen Amtszeit beim VfL Osnabrück.
Auch weil der Fußballsport, wie kaum etwas Vergleichbares, so viele Facetten beinhaltet, ist es schwierig, sich seiner Faszination zu entziehen. Fußball war und ist (noch) trotz ausufernder Kommerzialisierung, trotz Wettskandal und auch trotz des Anstiegs der Gewalt innerhalb und mehr noch außerhalb der Stadien nach wie vor ein nicht zu vergleichendes soziales Phänomen, das Stadien füllt und die Menschen elektrisiert.
Warum ist das so? Welche Erklärungen gibt es dafür, dass sich Menschen, unabhängig von Geschlecht, Alter und sozialem Status, ihrem Verein bedingungslos hingeben? Warum lassen sich Fans von Schalke 04 in der sich im Stadion befindlichen Annakapelle trauen oder ihre Kinder taufen? Sollte man verstehen müssen, warum sich Fans des Hamburger SV auf einem klubeigenen Friedhof beerdigen lassen wollen, um über ihren Tod hinaus dem HSV die Treue zu halten?
In Osnabrück geht die Liebe der Fans zu ihrem VfL so weit, dass Paare ihre Kinder im Kreißsaal der Städtischen Kliniken zur Welt bringen wollen, da dieser in den Vereinsfarben des VfL lila-weiß gestrichen ist und das Neugeborene eine lebenslange Vereinsmitgliedschaft erhält. Warum entscheiden sich Mütter und Väter zu einem solchen Schritt? Wir werden keine Antworten finden. Und das ist gut so.
Ich bin 1997 als sogenannter Traditionalist Präsident des VfL Osnabrück geworden und bin es in modifizierter Form als heutiger Ehrenpräsident immer noch.
Zum Zeitpunkt meiner Wahl zum Präsidenten des VfL Osnabrück war ich Mitgeschäftsführer des Rasch-und-Röhring-Verlages in Hamburg. Einer unserer Autoren war Ralph Giordano. Dieser zeigte sich überrascht von meinem neuen präsidialen Ehrenamt. Er stellte mir als bekennender Fußballlaie die Frage, ob sich denn die politische und literarische Welt des Bücherverlegens mit der lauten und aggressiven Atmosphäre im Profifußball vereinbaren lässt.
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