Er war nicht der Einzige, der mir im Lauf der Jahre diese Frage stellte. Aber er war der Erste. Ich konnte diese Frage damals nicht beantworten. Heute weiß ich, dass sich die beiden Parallelwelten nicht nur miteinander vereinbaren lassen, sondern sie ergänzen sich auf wundersame Weise. Bücher stehen für Sinnlichkeit und Erkenntnis und werden zumeist individuell konsumiert. Der Profifußball als Kultur- und Sozialphänomen hingegen ermöglicht jedem, unabhängig von Bildung, Alter und sozialem Status, seine Emotionen gemeinsam, wenn es sein muss, auch mal moderat-aggressiv, mit anderen auszuleben.
Zu einer solchen Erkenntnis ist auch einer der renommiertesten Geisteswissenschaftler dieses Landes gelangt. Walter Jens, der 2013 verstorbene Professor für Rhetorik und Literaturwissenschaft, Autor zahlreicher Bücher und langjähriger Freund von Ralph Giordano, war nicht nur Geisteswissenschaftler und Gesellschaftskritiker, sondern auch leidenschaftlicher Fußballfan. Als solcher war er sich nicht zu schade, seinen Tempel der Wissenschaft in Tübingen bisweilen zu verlassen und sich seinem geliebten Fußballsport zu widmen. Die Liebe ging so weit, dass der in Hamburg-Eimsbüttel aufgewachsene Jens den für einen Literaturprofessor sehr ungewöhnlichen Satz formuliert hat: „Wenn ich den letzten Goethe-Vers vergessen habe, werde ich den Eimsbütteler Sturm noch aufzählen können – Dehrle Ahlers, Otto Rohwedder, Herbert Panse, Kalli Mohr und Hanno Maack.“
Ich bin sicher, hätten sich zu Lebzeiten der Intellektuelle Walter Jens und z. B. das ehemalige Dortmunder Fußballidol Lothar Emmerich, der so Kultiges wie: „Gib mich die Kirsche“ formulieren konnte, kennengelernt, sie hätten sich einiges zu erzählen gehabt.
Auch deswegen ist der Fußballsport ein Sozial- und Kulturphänomen von schwer vergleichbarer Faszination. Das Fußballstadion, da lege ich mich fest, ist der einzige Ort, an dem sich Hochschulprofessoren, Beamte, Rechtsanwälte, Unternehmer, Arbeiter und Lothar Emmerich auf Augenhöhe begegnen.
Aber die seit meinem achten Lebensjahr „schönste Nebensache der Welt“ hat Dellen bekommen. Wie diese aussehen, woher sie stammen und ob es möglich ist, sie zu beheben und zukünftig zu vermeiden, soll das wesentliche Thema des vorliegenden Buches sein. Es ist ein Plädoyer für die Erhaltung der Bodenständigkeit des Profifußballs mit all seinen emotionalen Facetten. Es ist aber auch ein Appell an die Kritiker des kommerzialisierten Fußballs, die wirtschaftlichen Realitäten zur Kenntnis zu nehmen, sie bis zu einer Obergrenze zu tolerieren und sich der ökonomischen Vernunft nicht zu verschließen.
Weder den „Marktradikalen“ noch den „Hardcoretraditionalisten“ allein darf es überlassen bleiben, wie der Profifußball in Zukunft zu strukturieren und zu organisieren ist.
Man muss nicht mit prophetischen Gaben ausgestattet sein, um zu erkennen, dass der Profifußball mittel- bis langfristig an Attraktivität verlieren wird, wenn er sich nicht vermehrt auch an den Wünschen der Fans orientiert.
Denn Ablösesummen für Spieler jenseits der 50 Mio. € und Jahresgehälter für Spieler und Trainer von über zehn Mio. €, oder auch die Vergabe der übernächsten Weltmeisterschaft ins „fußballverrückte“ Katar durch die Altherrenriege der FIFA sind Belege dafür, wie sehr man in den Führungsetagen des Profifußballs abgehoben ist und wie sehr man sich von den Fans und deren Identifikationssehnsüchten entfernt hat.
Die überzogene Kommerzialisierung des Profifußballs und auch das Gewalt und Angst verbreitende Auftreten einiger Fangruppierungen, berauscht von ihrem Anspruch „der Fußball gehört uns“, werden dem Fußball viel von seiner Faszination nehmen. Das darf nicht kritiklos hingenommen werden. Hierüber vor allem will ich schreiben.
Ich habe in den 15 Jahren meiner Amtszeit nicht verstanden und auch nicht verstehen wollen, warum viele den Profifußball so ernst, verbissen und aggressiv begleiten. Umso wichtiger erschien es mir, sich im Haifischbecken Profifußball eine gewisse Lockerheit zu erhalten. Dies fiel mir nicht allzu schwer, weil mich in den 15 Jahren auch richtig gute Typen begleitet haben. Darunter witzige, komische und tragikomische. An sie erinnere ich mich gern. Die erlebten Geschichten mit ihnen müssen auch erzählt werden.
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