Christa Winsloe - Mädchen in Uniform

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Die vierzehnjährige Manuela von Meinhardis, Tochter eines Offiziers, wird nach dem Tod der Mutter auf ein Stift für verarmte höhere Töchter nach Potsdam geschickt. Der Erziehungsstil des Internats ist von preußischem Drill und dem Fehlen menschlicher Nähe geprägt. Die Auswirkungen dieses Preußentums auf das sensible junge Mädchen sind verheerend. Wärme und Verständnis geht allein von der jungen Lehrerin Fräulein von Bernburg aus, in die sich Manuela glühend verliebt. Die Internatsleiterin droht die junge Lehrerin zu entlassen. In ihrer Verzweiflung will sich Manuela in den Tod stürzen. Christa Winsloe (1888–1944) wurde als Tochter eines Offiziers in Darmstadt geboren. Sie kam 1903 ins Kaiserin-Augusta-Stift nach Potsdam, ein Internat für Offizierstöchter. Die Mädchen wurden dort mit militärischem Drill erzogen. 1909 zog sie nach München, um an der Königlichen Kunstgewerbeschule Bildhauerei zu erlernen. Ihr erster Bühnenerfolg wurde wenig später unter dem Titel Mädchen in Uniform (1931) verfilmt und machte die Autorin für kurze Zeit weltweit berühmt. Sie ging erst nach Italien und später in die Vereinigten Staaten. Schließlich kehrte Christa Winsloe nach Europa zurück, wo sie sich in Südfrankreich niederließ. Unter ungeklärten Umständen wurde sie bei Cluny am 10. Juni 1944 erschossen.

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Christa Winsloe

Mädchen in Uniform

Roman

Saga

Erstes Kapitel

Manuela war ein ersehntes Kind, ein im voraus heiß geliebtes Kind. Manuela sollte geboren werden. Manuela sollte ein Mädchen sein. Ehe sie auf die Welt kam, stand ein Haus bereit. Ein schon ungeduldig werdender Vater. Eine Mutter, tief vertraut mit diesem Kinde, noch ehe sie es in den Armen hielt. Zwei Brüder waren gewisse Kameraden. Etwas gönnerisch, aber stolz auf sie – nun da sie wirklich da war.

Manuela mußte am Sonntag geboren werden – es mußte auch Weihnachten sein. Als die beiden Brüder vom Weihnachtskindertheater heimkehrten, lag sie in der Wiege. Sie war angekommen wie ein Weihnachtsgeschenk. Die beiden Brüder wunderten sich nicht. Soeben hatten sie ja das Christkind in der Wiege liegen sehen, im Stall von Bethlehem. So, daß der fünfjährige Bertram zum zehnjährigen Alfred in einer Vorstellungsverwirrung meinte: „Tragen wir sie in den Stall, das wird ihr Spaß machen.“ Nur der Einwand, daß weder Kühe noch ein Esel im Stall seien, sondern lauter Pferde, die es in Bethlehem gar nicht gab, ließ ihn von dem Vorhaben abstehen.

Obwohl jeder sagte, das Kind sei schön, entsprach das nicht der Wahrheit. Denn die dunklen Augen, deren Weißes blau war, entbehrten der Augenbrauen. Man stülpte dem Säugling ein Häubchen auf, um die Kahlheit des Schädels zu decken.

Ängstlich streichelte Frau Käte das haarlose Köpfchen, und als sich dann endlich einzelne seidige, dunkle Haare zeigten, wurde ein Familienfest daraus, und Herr von Meinhardis fand, man müsse eine Flasche Moselwein aufmachen.

Die ersten Jahre vergingen wie ein einziger Schlaf. Lela konnte über den Rand ihrer Wiege nicht hinaussehen. Nur manchmal öffnete sie groß ihre Kirschenaugen, wenn im Hof Vaters Pferde trappelten. Oder wenn die Brüder lärmend von der Schule kamen, ihren Ranzen in die Ecke warfen und „Mutter!“ riefen.

Mutter war sie, die immer da war. Sie, die kam, wenn Lela schrie, sie, die beruhigte, wenn Lela weinte. Lela – das war der Name, den das Kind bildete, nachdem es sich selbst als ein Wesen, gesondert von ihnen allen, erkannt hatte. Der feierliche Name Manuela war für ihr winzig kleines Mäulchen zu schwer. Sie nannte sich Lela, und dabei blieb es dann auch.

Später hat Lela ein Bettchen mit hohen Gittern, damit sie nicht hinausfallen kann. Es ist dunkel im Raum, nur durch die Türritze dringt von außen her ein Lichtstrahl. Der Raum ist hoch.

Lelas seidenweiche Haare sind fest zurückgebürstet und mit einem Band zusammengebunden. Fast schmerzt es. Draußen geht man hin und her. Unruhe im Haus. Rufen und Antworten und wieder Stille. Lela soll schlafen. Sie liegt auf dem Rücken. Mitten auf der Brust, von ihren beiden Händen umklammert, schläft ihr schwarzer Bär. Seine Schnauze hat schreckliche Schnurrbarthaare, wie Papa, wenn man ihn küßt. Aber Lela liebt „Bär“ doch und erst recht, wenn die anderen sagen, er sei abscheulich. Neben Bär rechts und links, mit den Köpfchen auf Lelas Achseln, schlafen die beiden Schnuckis. Zwei weiße Kaninchen. Das heißt, sie waren einmal weiß. Schnucki Nummer eins hat keine Ohren mehr, und die Lederschnauze ist kahl. Mutti hat mit roter Tinte ein Kreuz darauf gemacht, damit man weiß, was vorne ist. Schnucki zwei ist noch neu und mehr zum Streicheln da. Es hat „richtiges“ Fell. Es ist nicht leicht, alle drei auf einmal zu umarmen.

Jetzt trappeln draußen Pferde, und ein Wagen hält knirschend auf dem Sand. Lelas Herz klopft. Sie preßt die Augen zu. Sie weiß, jetzt werden Mutti und Papa die Treppe hinuntergehn, und dann werden sie beide draußen in den Wagen steigen, und dann wird eine Wagentür zuschlagen, und dann ist alles tot und das Haus leer.

Lela krampft die kleinen Finger in das schwarze Plüschfell ihres Bären. „Mutti soll kommen, Mutti muß kommen und mir gute Nacht sagen.“ Heimlich betet sie, obwohl sie weiß, daß man den lieben Gott mit solchen Kleinigkeiten eigentlich nicht belästigen darf – sie betet: „Lieber Gott, mach, daß Mutti noch mal ’reinkommt!“

Da öffnet sich behutsam die Tür. Lela hält fest die Augen geschlossen. Eine sanfte Stimme sagt: „Sie schläft.“ Vorsichtig beugt die Mutter sich nieder. Lela ist plötzlich in schweren Blumenduft eingehüllt. Die kühlen Blüten an Mutters nackter Schulter streifen ihr Gesicht. Lela öffnet ein ganz klein wenig die Augen. Ein weißes Atlaskleid – eine glitzernde Brillantbrosche. Mutters schlanker Arm steckt in langen weißen Glacéhandschuhen, die sich unnatürlich anfühlen. Zart zeichnet die Hand ein Kreuz auf Lelas Stirn: „Gott segne dich, mein Liebling.“

Es knistert und rauscht eine Schleppe. Die Tür knarrt ein wenig. Auch durch die Türritze kommt jetzt kein Licht mehr. Lela reißt die Augen weit auf in der Finsternis.

Die Straße ist naß. Das Pflaster ist holprig. Die Laternen flackern und klirren im Wind. Menschenleer die Straße. Nur die eisenbeschlagenen Hufe lärmen. Im Wagen riecht es nach altem Leder. Wenn der Laternenschein einen Augenblick die Insassen streift, glitzert eine Ordensschnalle. Bunte Bänder dicht aneinandergereiht. Roter Kragen und silberne Borte. Hell geputzte Knöpfe.

„Was ist, Käte, warum seufzt du?“ kommt’s aus der Wagenecke.

„Ach, du weißt doch, mir sind diese Hofbälle eigentlich eine Qual.“

„Glaubst du, mir machen sie Spaß?“ fragt der Major von Meinhardis gekränkt. „Gott weiß, wen ich da wieder zu Tisch führe. Na, und das Essen. Diese Massenfütterungen sind furchtbar. Alles wird kalt serviert. Ein weißer, weichlicher Fisch, und dann Filet – immer Filet.“

Drüben schweigt es. Im Dunkel stiehlt sich ein trüb belustigtes Lächeln über Frau Kätes zartes Gesicht. Aber schon ist sie wieder ernst. Es wäre ja gut gewesen, still zu Hause zu bleiben, bei den Kindern. Zu stricken, einen Brief an Großmama zu schreiben und früh zu Bett zu gehen. Nicht all die fremden Menschen sehen zu müssen. Sie fürchtet sich ein wenig. Es ist dort alles sehr laut. Die Männer, die müde sind vom Dienst, pulvern sich mit Alkohol auf und haben bald rote Gesichter über ihren engen Kragen. Sie tanzen sich heiß und drücken einen an sich. Man wird schwindlig beim Walzer. Dennoch langweilen sich die meisten. Zu Hause ...

Lelas Mutter ist noch fremd in dieser Garnisonstadt Dünheim mit ihrem kleinen Hof. Offiziere werden wie Schachfiguren von unsichtbarer Hand gepackt und woanders hingesetzt. Weggenommen und weitergeschoben, ohne daß man ahnt, warum und wieso. Man zahlt ihnen die Umzugskosten, aber niemand fragt danach, ob sie Freunde verlassen, ob ihrer Frau das neue Klima bekommt – ob sie dort weit von ihrer Heimat ist, ob die Kinder in der neuen Schule weiterkommen oder nicht. Man wird „versetzt“, und dort sitzt man. So klammert sich das Herz einer Frau an die alte Heimat, weil man ihr nie Zeit läßt, sich eine neue zu schaffen. Überall ist’s wie auf Abbruch. Einmal – sicher wie der Tod – kommt die Versetzung. Bis dahin „macht man alles mit“, wo man gerade ist. Das Regiment ist die unweigerlich festgesetzte Gesellschaft. Ob du sie magst oder nicht, die Frau des Kommandeurs, des Majors, des Oberleutnants sind deine Freundinnen. Die werden eingeladen und laden ein und niemand anders. Du kannst unmöglich mit der Frau eines Arztes oder eines Bankiers verkehren – du kommst auch gar nicht in Versuchung, denn es ist durch Konvention gesorgt, daß du sie nicht kennenlernst.

Dann fährst du zum Hofball. Hofball ist Dienst. Da kann man nicht absagen. Wenn man todkrank ist, kann man allenfalls vorher bitten, nicht eingeladen zu werden. Aber einer Einladung – einem Befehl nicht Folge leisten, das gibt’s nicht. „Lieber zu Hause bleiben ...“ Frau Käte wagt es ja gar nicht zu sagen. Welch lächerliches Argument: lieber stricken, lieber einen Brief schreiben – lieber bei den Kindern bleiben. Und sie muß doch nach Pöchlin schreiben. Sie hat für die letzte Wurstsendung von Großmama noch nicht gedankt. Und der Sack Kartoffeln für den Winter und der Zentner Äpfel. Der Schinken reicht mindestens vierzehn Tage. Die Jungens kriegen davon aufs Brot für die Schule. Was die beiden jetzt viel essen. Eigentlich wie erwachsene Männer. Dabei sind sie erst acht und dreizehn Jahre. Aber sie wachsen eben. Alis Hosen sind schon wieder zu kurz. Die kann dann Berti tragen – aber Ali muß einen neuen Anzug haben. Diesen Monat geht’s nicht mehr – wenn nicht Großmama ... Freilich, Großmama hat auch Sorgen. In Pöchlin gibt es alles – nur kein Geld.

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