Sean Beaufort - Seewölfe - Piraten der Weltmeere 703

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Die «Stern von Indien» trieb im Sturm breitseits ab, die Anker über den Grund mit sich schleppend. Es war eine verteufelte Situation, denn die Arwenacks hatten die Ballaststeine außenbords befördert, um die Prunkgaleere zu leichtern und von der Untiefe zu lösen. Als sich wieder eine Welle heranschob und gegen die Bordwand donnerte, holte die Galeere weit nach Steuerbord über. Aber dann, kam sie doch endgültig frei, und ein gewaltiger Ruck ging durch den Rumpf. Das stehende Gut peitschte sekundenlang wie wild durch die Finsternis. Doch aus dem Schub des Abdriftens wurde gleichzeitig eine Vorwärtsbewegung auf die Anker zu. Die Riemen wühlten das Wasser auf. An beiden Seiten der «Stern» bildeten sich weiße, gischtende Streifen. Die Bewegung setzte sich fort, und wahrscheinlich würde es mit den Ankertrossen eine Wuhling geben…

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Impressum

© 1976/2021 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-125-8

Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de

Sean Beaufort

Sturmfahrt nach Madras

Der Sultan von Golkonda sucht seine unersetzbare Galeere

Die großen, dunklen Augen starrten in eine unbestimmte Ferne .

Der Mann in seiner kostbaren Jacke, die Finger mit funkelnden Ringen geschmückt, fühlte, wie ihn Zorn und Wut erfüllten. Er, der die Macht über zahllose Menschen und ein riesiges Stück Land verkörperte, war von einem der größten Schurken tödlich beleidigt und darüber hinaus auch noch bestohlen worden .

Noch beherrschte er sich .

Er dachte an die Fremden, die ihm geholfen hatten. Lebten sie überhaupt noch?

Niemand wußte es. Wenn es jemand wußte, würde es der nächste Bote ihm, dem Sultan von Golkonda, ohne Zögern berichten .

Eines stand fest: Wenn er je Drawida Shastri in seine Gewalt bekam, würde das Leben dieses Hundesohnes nichts mehr wert sein. Sein Kopf würde rollen …

Die Hauptpersonen des Romans:

Philip Hasard Killigrew– hat beschlossen, die erbeutete Prunkgaleere des Sultans möglichst „in einem Stück“ nach Madras zu bringen.

Ben Brighton– der Erste unterstützt seinen Kapitän bei diesem Plan, obwohl alles dagegen spricht.

Edwin Carberry– hat diese und jene Bedenken, aber am Ankerspill setzt er seine gewaltigen Kräfte ein.

Drawida Shastri– steht am Ende seines Weges, denn gegen das Henkersbeil ist er machtlos.

Hasard junior– hält sein Versprechen und bringt die Geliebte seines Herzens dem Vater zurück.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Kapitän Philip Hasard Killigrew wartete, bis der Moses Clint und Higgy an ihm vorbei in die Ruderdecks abenterten. Sie trugen frisch aufgefüllte Tranfunzeln und versuchten, genügend Licht in die stinkenden Decks zu bringen.

„Kutscher!“ rief Hasard, als er im flackernden Licht die ersten Jammergestalten erkennen konnte. Seine schlimmsten Erwartungen hatten sich bestätigt. „Ich glaube, wir brauchen deine Hilfe.“

„Sofort, Sir!“ ertönte die Stimme des ersten Kochs und Feldschers von irgendwo auf dem Deck.

Die „Stern von Indien“, die Prunkgaleere des Sultans von Golkonda, saß nach wie vor im Schlick und Schwemmgut fest. Die Schebecke hielt sich in Lee etwa gleichauf, und Hasard hoffte, daß seine Crew keine Schwierigkeiten hatte, alle seine Kommandos auszuführen.

„Habt ihr sie gezählt?“ schrie Ben Brighton vom tiefergelegenen Ruderdeck nach oben. „Bei mir sind’s sechs!“

„Und hier oben neunzehn. Alle in Ketten!“ dröhnte Edwin Carberry. „Die armen Rübenschweine. Los! Schneller, ohne langes Nachdenken, Kerls.“

Also befanden sich noch fünfundzwanzig angekettete Rudersklaven an Bord der Galeere. Hasard nickte voller Ingrimm.

Er rief: „Ich will die Kerle in ein paar Minuten ohne Ketten an Deck haben. Sie sollen sich erholen. Trinken, Essen, heißes Wasser. Und entlaust müssen sie auch werden.“

Der Himmel war schwarz. Man erkannte weder Mond noch Sterne, noch die Küste, die in ein paar Meilen Entfernung dalag. Auch von Nellore war nicht das winzigste Licht zu sehen. Nur die beiden Schiffe hatten reichlich Laternen gesetzt. Die Seewölfe hantierten mit Meißeln, Schlüsseln und Hämmern und schleppten einen Rudersklaven nach dem anderen an Deck.

Jeder sah mehr als bemitleidenswert aus.

Unter Deck klirrten die letzten Ketten. Noch mehr Elendsgestalten schleppten sich über die feuchten Planken. Die Zwillinge wuchteten aus der Kombüse ein Faß zum Achterdeck. Sven Nyberg trug zwei große Pützen voll heißem Wasser und leerte sie in das Faß.

„Geht nicht zu nahe an die Rübenschweine ran“, sagte der Profos drohend. „Sonst ist im Nu jeder von euch verlaust, verwanzt und verfloht.“

„Von uns geht keiner ran“, antwortete der Erste. „Das Vergnügen überlassen wir dir, Mister Profos.“

Auf der Schebecke wurden beide Beiboote aufgeklart. Aber es dauerte noch eine Weile, bis man sie aussetzen würde. Der Reserveanker des Dreimasters kam frei und wurde auf die Back gemannt.

Der Kutscher und die Zwillinge versuchten, die erschöpften Rudersklaven aufzuklären, daß die schlimmste Zeit vorbei sei. Die Männer tranken gierig, und ebenso gierig schlangen sie das Essen herunter. Es war weitaus reichhaltiger und besser, als sie je erwartet hatten.

Daß die Zwillinge jeden von ihnen festhielten und der Kutscher ihnen das verfilzte Haar abschnitt, ließen sie ebenso widerstandslos über sich ergehen wie die Versuche, sie mit warmem Wasser und Seife zu behandeln. Der Erste entdeckte nahe der Sultanskammer einige Truhen voller sauberer Tücher und schleppte genügend davon aufs triefende Achterdeck.

„Weg mit den alten Lappen“, sagte der entschlossen. „Über Bord. Hier gibt’s neue Wäsche.“

Der Seewolf verließ das Ruderdeck, ging zum Schanzkleid und holte ein paarmal tief Luft.

„Dieser Shastri“, sagte er kopfschüttelnd. „Es war schon zu unserer Zeit schlimm genug auf dieser Galeere. Aber er hat die Männer ebenso geschunden wie das Schiff. Der Sultan wird seine helle Freude haben.“

„Wir auch“, murmelte Ben Brighton und dachte an die Arbeit, die noch vor ihnen lag. Das „Seeungeheuer“ des Old Donegal schien sich auf der riffähnlichen Insel geradezu festgesaugt zu haben.

„Du kannst weiter an ihnen herumschrubben“, sagte der Kutscher eine halbe Stunde später zu Hasard junior. „Ich habe bei den armem Kerlen genug mit den Kratzern, Geschwüren und Striemen zu tun.“

In langen Abständen fuhren feuchte Böen über die See und die Schiffe hin. Die Wellen – im Licht der Deckslaternen nur undeutlich zu erkennen – waren nicht hoch und kräftig genug, um die „Stern“ auch nur zu erschüttern. Um die Planken schäumten die Gischt, vermischt mit aufgelöstem Schlick. Mehr war von Deck aus nicht wahrzunehmen.

Die Seewölfe halfen zusammen und gingen nicht gerade behutsam mit den eingeschüchterten Sklaven um, die nur ganz langsam zu begreifen schienen, was da mit ihm passierte.

Ab und zu schrie einer von ihnen auf, nämlich dann, wenn eine Salbe oder Tinktur aus der Arzneikiste des Kutschers in den Wunden brannte.

Mit einem Tritt beförderte der Profos einen Haufen verfilzten Haars außenbords. Die Strähnen schienen zu leben, und am liebsten hätte er es verbrannt. Aber dann hätte der Gestank selbst die halbtoten Inder umgeworfen.

Hasard und Philip schleppten zum drittenmal zwei Körbe mit Essen heran.

Sie blieben zwischen den Sträflingen stehen, und Hasard rief: „Noch jemand Hunger? Es ist genug da! Packt zu, ihr tapferen Ruderer aus Madras!“

Sie verstanden sein Hindi und rissen den Zwillingen das harte Brot, die wenigen frischen Früchte und den Reisbrei mit Fischstücken darin aus den Körben. Den Reis stopften sie sich mit den schmutzigen Fingern zwischen die Lippen.

„Soll ich sie vielleicht auch noch rasieren?“ fragte Dan O’Flynn, der wieder die vollen Pützen aus der Kombüse schleppte.

„Können sie bei Tageslicht selbst“, entschied Hasard. „Wir müssen zusehen, daß wir die Galeere flottkriegen.“

Es dauerte länger als eine Stunde, bis die fünfundzwanzig Rudersklaven wieder menschenähnlich aussahen. Die weißen und mit farbigen Streifen verzierten Tücher, mit denen sie sich mehr recht als schlecht abtrockneten, blieben einigermaßen sauber. Als sich die ausgemergelten Männer die frischen Dhotis um die knochigen Hüften geknotet hatten, erkannte niemand die Rudersklaven mehr. Nur die Bärte störten noch, zumal Seifenreste und Reiskörner in den struppigen Haaren hingen.

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