‚Stillgestanden!‘ denkt der Zar. ‚Zum Stillgestanden reicht’s. Aber sobald Bewegung hineinkommt, ist die Ordnung hin. So ist Rußland. Wer weiß, was für Unordnungen ich wieder erleben werde beim Pferdewechseln auf den Poststationen.‘
Mit Kummer denkt der Zar daran, daß er die schönen Pferde des Kaiserlichen Marstalles bald wird vertauschen müssen gegen die weniger schönen der Kaiserlichen Post. Denn wohl kann einer eine weite Reise machen in demselben Schlitten, nicht aber mit denselben Pferden.
„Hören Sie“, sagt er zum Adjutanten, „das nächste Mal, wenn ich eine Reise vorhabe, richten wir es anders ein. Wir schicken die nötige Anzahl von Pferden und auch meine Kutscher voraus. Die werden mich auf den Poststationen erwarten. Es wird dann auch so leicht nicht wieder vorkommen, daß das Gefolge hinter mir zurückbleibt, weil die Pferde ungleich sind und man mir natürlich die besten gibt. Wenigstens durch Rußland will ich anständig reisen.“
Der Adjutant, der sich im Wasok allein mit seinem Herrn noch gar nicht heimisch fühlt, nickt alleruntertänigst mit dem Kopf. Was er nickt, ist Zustimmung. Was er denkt, ist es nicht.
‚Väterchen‘, denkt er, ‚du sprichst von den Vorbereitungen einer künftigen Reise. An die Reise glaube ich, an viele künftige Reisen, aber an die Vorbereitungen dazu glaube ich nicht. Du befiehlst, und wir dürfen uns beeilen. Du läßt dir nicht Zeit zu langsamen Entschlüssen und uns nicht zu bedächtigen Vorbereitungen. Ich glaube, wenn du einmal tot sein wirst, auch dann noch werden wir dich im Galopp auf den Friedhof fahren. Oh, ich bin noch auf einiges gefaßt während dieser Reise. – Woronoff, der Schuft! Wie schadenfroh er grinste, als er mir den Befehl überbrachte.‘
„Ein herrlicher Winter!“ sagt der Zar. „Bei solcher Schlittenbahn ist das Reisen ein Vergnügen. Schauen Sie, wir haben die Stadt schon hinter uns. Und diese Ebene vor uns – welche Unendlichkeit! Wenn man einmal ausruhen will, braucht man bloß zu verreisen, möglichst weit.“
‚Dich kenne ich‘, denkt der Adjutant. ‚Wenn du von deinem ersten Reiseschläfchen aufwachst, fragst du wie ein Kind: Sind wir nicht bald da?‘
„Nur fürchte ich sehr“, redet der Zar weiter, „wir kommen bis Berlin nicht mit dem Schlitten. Auf den deutschen Winter ist kein Verlaß. Und die Königlich Preußischen Postwagen – eine Tortur. Auf alles verstehen sich die Deutschen, nur darauf nicht, sich das Reisen angenehm und bequem zu machen. – Das nächste Mal also verzichten wir auf die Überraschung und bitten, uns eine Hofequipage entgegenzuschicken.“
„Alles jederzeit ganz genau so, wie Eure Kaiserliche Majestät es befehlen“, murmelt der Adjutant.
Ein Stoß des Schlittens, verursacht durch irgendeine Unebenheit des Weges, gibt dem letzten Wort eine übertriebene Betonung. Der Murmelnde hat es, vom Stoß am Zwerchfell erschüttert, herausgebellt: „Befehlen!“
„Sehen Sie“, lacht der Zar, „es stimmt doch nicht ganz, was Sie da sagen. Dieses Loch im Wege, zum Beispiel, hatte ich bestimmt nicht befohlen.“
Der Adjutant lächelt. Was soll man auch sonst darauf erwidern? –
Die Poststation kommt in Sicht, und bald vollzieht sich der erste Pferdewechsel.
Schnell sind die Pferde des Zaren, langsamer die der Post. Schneller als beide ist das Gerücht. Die Pferde haben Beine, aber das Gerücht hat Flügel. So schnell der Zar auch reist, das Gerücht eilt ihm voraus. Irgendwo auf einer der Poststationen werden die richtigen Pferde nicht zur Stelle sein, und es wird ein paar Stunden Aufenthalt geben. Auch wird der Zar nicht alle Nächte im Schlitten schlafen wollen, es wird ihn nach einem ordentlichen Bett und nach richtiger Nachtruhe verlangen. Unterwegs werden Deputationen ihn erwarten, und er wird ihnen Gehör schenken und Zeit opfern müssen. Städte werden zu seinen Ehren flaggen und Bürgermeister Reden halten. Und wenn er auch die Reden kurzerhand abbricht und weiterzufahren befiehlt, das Gerücht wird wiederum einen Vorsprung gewonnen haben und auf der nächsten Poststation früher eintreffen als er selbst.
Sein Weg führt durch die drei Ostseeprovinzen des Reichs, durch Estland, Livland, Kurland. Und vor ihm her eilt das Gerücht: „Der Kaiser kommt!“
„Der Kaiser“ – so sagen die Balten. Sie sagen nicht „der Zar“. Das klänge ihnen zu russisch. Sie sind keine Russen, sie, die als kleine Könige auf ihren großen Gütern leben, mit ihren lettischen und estnischen Untertanen. Sie sind Deutsche. Und das hindert nicht, daß sie ihm, der über viele Völkerschaften herrscht, den schuldigen Respekt erweisen, als treuen Vasallen ihrem Lehnsherrn. Mehr als Treue, mehr als Respekt, mehr als alleruntertänigster Gehorsam ist das, was sie ihm entgegenbringen. Er bevorzugt sie, er zeichnet sie aus, er erhebt sie in die höchsten Stellen. Sie genießen, viel beneidet, seine besondere Gunst. Aber das allein ist es nicht, was ihre Herzen ihm entgegenschlagen macht. Es ist etwas in seinem Wesen, das mit Stolz erfüllt, ihm untertänig sein zu dürfen. Das ist es: daß dieser „Selbstherrscher aller Russen“ ein Herr ist. Herren sind sie selbst auch. Und darum verstehen sie ihn und fühlen sich von ihm verstanden. Und darum freuen sie sich, wenn es heißt: „Der Kaiser kommt!“
Wer hat die Kunde gebracht, wer hat sie weitergegeben? Kommt er zu uns? Wird er bei uns Aufenthalt nehmen? Nein? – Nur auf der Durchreise? Schade! – Wann kommt er? Haben wir Zeit zu Vorbereitungen, daß wir ihm, solange er durch unser Land fährt, jede Höflichkeit erweisen, ihm, soweit es in unseren Kräften steht, das Reisen bequem und angenehm machen könnten? – – – Was!!! Ist er schon so nah??? –
Die Posthalter geht es am ersten an. Sie stürzen in ihre Ställe – „He, ihr Postillione, ihr Pferdeknechte und Stalljungen! Tummelt euch! Zwölf Pferde werden gebraucht, die besten vier für Seine Majestät. Die Bürsten her, die Striegel! Das Lederzeug geölt, das Eisen blankgeputzt! Der Kaiser liebt die Sauberkeit, und Ordnung will er sehen. Setzt euch die Postillionsmütze nicht wieder schief auf den Kopf! – Vorn muß der Adler sein, nicht hinten. Und jetzt noch einmal Futter in die Krippen! Heut wird mit Hafer nicht gespart. Und bindet euch noch einen Knoten in die Peitschenschnur. Der Kaiser fährt schnell. Langsamer als im Galopp mag er gar nicht fahren. Zeigt, daß auch Postpferde laufen können, wenn es gilt, den Kaiser zu ziehen!“
Der Hauptmann vom Hauptmannsgericht hat’s auch gehört. Er schickt seine Referendare und Assessoren aus, auf den Gütern die Gutspolizei mobil zu machen. – „Herunter von den Öfen, ihr Bauern, ihr Winterschläfer! Hinaus auf die Landstraße! Hier den Schnee müßt ihr vom Wege fortschaufeln, weil er zu hoch liegt. Dort müßt ihr ihn vom Felde heranholen, weil der Wind die Stelle leergefegt hat, daß der nackte Sand zum Vorschein kommt, der das Gleiten der Kufen behindert. Macht hurtig, ehe es dunkel wird! Der Kaiser kann noch in dieser Nacht hier durchkommen.“
Und die Gutsbesitzer hören es.
„Man kann doch den Kaiser nicht mit Postpferden fahren lassen“, sagen die Gutsbesitzer. „Wer von uns fährt denn jemals mit Postpferden, wenn er mit eigenen fahren kann? Es versteht sich von selbst, daß wir ihm unsre Pferde zur Verfügung stellen, und natürlich die besten. Zwar soll einmal ein Ukas herausgekommen sein, der das verbietet. Aber warum? Hat man Angst, daß wir dem Kaiser junge wilde Pferde geben, die mit ihm durchgehen? – Nun, wenn wir die richtigen Pferde haben, so werden wir wohl auch die richtigen Kutscher dazu haben. Dem Kutscher setzt man die Postillionsmütze auf. Dann ist die Form gewahrt, und niemand fragt nach dem Ukas. Es wäre eine Schande für uns, wenn der Kaiser durch unser Land schlechter fahren sollte, als wir selber fahren.“ – „Kutscher, he! Vier Pferde aus dem Stall und auf die Poststation!“ –
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