Gordon winkt dem Bartender, bestellt Harry noch einen Scotch mit Soda und sich selbst auch einen. »Pass auf«, sagt er mit unbewegter Miene, »du weißt selbst, dass das schon Jahre hinter mir lag, als ich Katy kennengelernt habe, aber ich war immer noch wie verloren. Sie hat das alles geändert. Sie hat den ganzen Schmerz und die Angst und Schuld vertrieben und irgendwann ist es zu etwas anderem geworden, anders als Erinnerungen oder die Vergangenheit. Es ist in gewissem Sinne gestorben.«
»Die Liebe hat es besiegt.« Harry zieht eine Augenbraue hoch, angetan von seiner Einschätzung.
»Ja«, sagt Gordon. »Das hat sie wohl.«
Der Bartender kommt mit ihren Drinks, bietet ihnen an anzuschreiben und überlässt sie dann wieder sich selbst.
Harry hebt sein Glas. »Auf Katy.«
»Auf Katy.«
Sie stoßen an und trinken. Harry tut Gordon leid. Im Gegensatz zu ihm und Katy war Harry zweimal verheiratet gewesen und beide Male hatte es in Scheidung geendet. Seine erste Frau war vor ein paar Jahren gestorben und seine zweite hatte wieder geheiratet und schon seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr mit ihm. Er hat zwei erwachsene Kinder, die er ebenfalls seit Jahren nicht gesehen hat, sowie eine ganze Anzahl von Enkelkindern, die er überhaupt nicht kennt. »Es ist schön, dich zu sehen, Harry. Ich … musste dich sehen.«
»Gleichfalls. Ich hatte angefangen, mir Sorgen zu machen; hatte ja schon eine Weile nichts mehr von dir gehört. Auf die Gefahr hin, wie der pathetische alte Narr zu klingen, der ich bin – ich befürchte, du bist mein einziger Freund, Gordon.«
»Dann sind wir beide pathetische alte Narren, weil du auch der einzige Freund bist, den ich habe. Außer Katy bist du der einzige richtige Freund, den ich je gehabt habe.«
Die beiden Männer trinken eine Weile, ohne zu reden. Der Bartender sitzt auf einem Hocker und liest ein Taschenbuch, ein eselohriges Exemplar von Ira Levins Rosemarys Baby. Draußen lässt der Regen nicht nach. Sie können es nicht sehen, aber hören, wie er gegen die Wände peitscht, als sei er wütend, dass er nicht hereinkommen kann.
»Seit ich meine Katy verloren habe«, sagt Gordon zögernd, »sind seltsame Dinge passiert, Harry.«
»Was denn?«
»Manchmal könnte ich abends, wenn alles still ist, schwören, dass mir im Schlafzimmer jemand zuflüstert. Aber dann mache ich das Licht an und es ist niemand da.«
»Was sagt die Stimme denn?«
»Meinen Namen. Immer wieder meinen Namen.«
»Und kennst du die Stimme?«
»Nein«, sagt er, und seine Augen werden feucht. »Aber ich weiß, wer es ist.«
»Unsinn.« Harry wedelt mit der Hand, als wolle er die Luft zwischen ihnen klären. »Du musst aufhören, so viel zu kiffen. Du bist kein Teenager mehr.«
Irgendwo in weiter Ferne oder vielleicht auch nur tief in Gordons Kopf erklingt der himmlisch zarte Ton eines Saxofons, das eine langsame, sinnlich verträumte Melodie spielt. Er nippt wieder an seinem Drink und schließt die Augen.
Weiße und schwarze Luftballons fallen … Festlich gekleidete Menschen feiern und lachen, der Champagner fließt … und dort, auf der anderen Seite des Raums … eine Vision … die schönste Frau, die er je gesehen hat … Sie schaut … schaut ihn an … bevor sie mit einem scheuen Lächeln wegsieht … Er öffnet die Augen und es ist verschwunden, alles wieder weg. Seine Hände zittern. »Es tut mir leid, Harry. Alles. Ich – es tut mir leid.« »Hör auf. Du bist immer für mich da gewesen. Ich bin immer für dich da gewesen.« Blut spritzte über einen gesprungenen Badezimmerspiegel … »Du bist mir ein besserer Freund gewesen, als ich es dir jemals war.« »Wir treffen alle unsere eigenen Entscheidungen, Gordo. Du weißt das besser als die meisten.« »Es ist mehr als vierzig Jahre her, und wir haben über den Abend nicht ein einziges Mal geredet, Harry. Nicht ein einziges Mal.« Erstickte Schreie gellen durch einen dunklen Gang … »Warum sollten wir?« Harry rutscht unruhig auf seinem Stuhl umher. »Es gibt nichts zu diskutieren. Das ist lange her.« »Manchmal denke ich, dass das alles nur ein Traum gewesen ist. Geht dir das auch manchmal so?« Gordon sieht ihn hoffnungsvoll und hilflos an. »Denkst du manchmal, dass es nur ein betrunkener, von Drogen bedingter, halluzinierter Traum war?« »Natürlich. Ist das nicht auch wesentlich wahrscheinlicher und macht mehr Sinn?« »Aber glaubst du das?« »Darauf kommt es nicht an. Wir sind jetzt alte Männer. Wie man’s auch sieht, die Uhr tickt – schon seit langer Zeit, und bald wird sie stillstehen.« »Wir machen uns was vor, oder?«, fragt Gordon leise. »Es gibt kein Entkommen.« »Wir leben von geborgter Zeit. Aber tun das nicht alle?« Blut … so viel Blut … Gordon wischt sich über die Augen und trinkt aus. Die Visionen verblassen, aber seine Hände zittern immer noch. »Meinst du, dass der Regen bald aufhört?« Harry lehnt sich zurück in die dunkelrote Finsternis. Er gibt ihm keine Antwort. Aber Gordon weiß, dass er eine hat.
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