11. April: Heftiges, ununterbrochenes Bombardement. 60–70 Verletzte wurden nach Sønderborg gebracht. Man rechnet mit 10 Amputationen.
12.–13. April: In der Nacht zwischen den beiden Tagen unablässige Kanonade. Die Schüsse lassen sich nicht zählen, sie klingen wie die Salven eines Bataillons. 98 Verletzte wurden nach Sundeved gebracht.
Abb. 16 und 17: Abbildungen aus dem Handbuch der Kriegschirurgischen Technik (1877) des deutschen Chirurgen Friedrich von Esmarch. Die Studien dafür nahm Esmarch u.a. in Düppel vor.
14.–15. April: Ich amputierte bis 1.30 nachts. Viele Verletzte.
17. April: In der Nacht besonders grässliche Kanonade.«
Einen Bericht, den Reymert nach seiner Rückkehr aus dem Krieg für norwegische Militärstellen schrieb, verfasste er in einem mehr beschreibenden Ton. Er berichtete, wie die am schwersten Verwundeten eigentlich aussahen. So hatte es einen Soldaten gegeben, dessen gesamtes Gesicht weggeschossen war. »Beide Kiefer waren zerschmettert, alle weichen Teile und die Zunge waren verschwunden, bei jedem Atemzug kam Blut, das gleichsam in seinem Schlund zu kochen schien. Die Weichteile des Gesichts hingen zerfetzt an der elastischen Haut über seiner Brust …«
Henri Dunant wollte eine internationale humanitäre Organisation gründen, um gerade die Schmerzen solcher armen Menschen zu lindern. Um zu verstehen, was van de Velde in Düppel tat, muss man die Geschichte Dunants und seiner Initiative verstehen, die zur Gründung des Roten Kreuzes führte.
Man schrieb das Jahr 1859. Der junge Schweizer Geschäftsmann Henri Dunant hatte ökonomische Schwierigkeiten, weil seine Investitionen in Ländereien in Algerien aufgrund der Trockenheit keinen Ertrag brachten. Er musste den französischen Kaiser Napoleon III. sprechen, vielleicht konnte der Kaiser ihm helfen, ein groß angelegtes Bewässerungsprojekt zu finanzieren. Dunant wollte Napoleon überzeugen, dass Nordafrika zu einer Speisekammer für Frankreich werden könnte.
Doch den Kaiser zu sprechen war nicht so einfach. Frankreich befand sich im Krieg mit Österreich. Man hatte sich mit italienischen Separatisten aus Sardinien verbündet, die ein geeintes Italien und damit eine Loslösung von der österreichischen Herrschaft wollten.
Dunant, ein Zivilist in weißem Anzug, reiste den Heeren nach, und so kam es, dass er am 24. Juni 1859 Zeuge wurde, wie 200000 Soldaten bei Solferino aufeinandertrafen. Dunant besaß großes Talent zum Schreiben, und das Buch, das er über seine Erlebnisse auf dem Schlachtfeld verfasste – Eine Erinnerung an Solferino – sollte Weltgeschichte schreiben.
Die Hitze bei Solferino war unerträglich. Die Soldaten erstickten beinahe in ihren Uniformen. Es herrschte ein furchtbarer Wassermangel, und das Einzige, was die Soldaten an diesem Junitag zu trinken bekommen hatten, war Branntwein. Gleichzeitig waren sie ausgehungert von den tagelangen Märschen. Die Schlacht war nicht geplant und entwickelte möglicherweise deshalb eine derartige Grausamkeit: Man wurde von einem furchterregenden Feind überrascht und schlug blindwütig um sich. Beide Parteien wollten das hügelige Gelände um Solferino besetzen, doch aufgrund mangelhafter Aufklärung hatten die Armeen sich erst entdeckt, als es zu spät war. Fünfzehn wahnsinnige Stunden dauerte die Schlacht, die schließlich mit einem französisch-italienischen Sieg endete.
Mitten im Kampfgeschehen befand sich dieser weiß gekleidete Mann; ein Mann, der ähnlich wie van de Velde leicht zu erschüttern war. In seinen Erinnerungen schrieb Dunant:
»Fest geschlossene Kolonnen werfen sich mit unwiderstehlicher Heftigkeit übereinander wie ein zerstörender Mahlstrom, der auf seinem Weg alles umreißt; französische Regimenter rennen in verteilter Schusslinie gegen die österreichischen Massen an, die unablässig erneuert werden, sie werden immer zahlreicher und immer bedrohlicher und halten den Angriff energisch aus, als wären es Mauern aus Eisen; ganze Divisionen werfen ihr Gepäck ab, um mit größerer Leichtigkeit und gefälltem Bajonett dem Feind entgegenstürmen zu können; ein Bataillon wird zurückgetrieben, aber ein anderes folgt ihnen unmittelbar auf den Fersen. Jede einzige Erderhebung, jeder einzelne Hügel, jeder einzelne Felskamm ist Schauplatz eines hartnäckigen Kampfes.«
Nach der Schlacht hinterließ das Schlachtfeld einen besonderen Eindruck auf Henri Dunant. Drei Tage wanderte der erschütterte Schweizer zwischen Toten, Sterbenden und Verletzten umher.
»Als die Sonne am 25. aufgeht, beleuchtet sie eines der abscheulichsten Schauspiele, das die menschliche Fantasie hervorzubringen vermag. Überall ist das Schlachtfeld mit den Leichen von Menschen und Pferden übersät … Die armen Verletzten, die man den ganzen Tag über aufsammelt, sind bleich, fahl und vollkommen entkräftet, einige, nämlich die, die stark verstümmelt wurden, haben trübe Augen und scheinen nicht zu verstehen, was man zu ihnen sagt.«
Es herrschte Wassermangel und es wurden verzweifelt Ärzte und Krankenpfleger benötigt. Der Sanitätsdienst wurde teilweise in der Schlacht aufgerieben, die Leiden schienen kein Ende nehmen zu wollen. Dunant versuchte, nach bestem Wissen zu helfen. Er kniete neben den Schwerverwundeten, die ihn anflehten, bis zu ihrem letzten Atemzug an ihrer Seite zu bleiben, damit sie nicht allein sterben mussten.
Dunant versuchte auch, Helfer unter der örtlichen Bevölkerung zu organisieren, und er überzeugte die Franzosen sogar, österreichische Ärzte aus der Kriegsgefangenschaft zu entlassen, damit auch sie helfen konnten. Doch trotz aller Anstrengungen war die Hilfe unzureichend. Allerdings erlebte Dunant auch einen Lichtblick in dieser entsetzlichen Situation: Viele Menschen aus der Bevölkerung, insbesondere Frauen, zögerten nicht, die Verwundeten zu pflegen, und die Italiener taten es ohne Rücksicht auf die Nationalität der Verwundeten. Die spontane Hilfe wurde unter der Devise ›tutti fratelli‹ geleistet – wir alle sind Brüder.
Das Erlebnis von Solferino ließ Dunant nicht los, und 1862 schrieb er Eine Erinnerung an Solferino . Er finanzierte das Erscheinen des Textes selbst und schickte das Buch seinen Freunden. Dann begann er in Europa herumzureisen, um Regierungsführern und Fürsten sein Werk zu überreichen und darüber zu sprechen, was er gesehen hatte.
Er wollte eine neutrale internationale Institution aus Ärzten und Krankenschwestern schaffen, die überall auf den Kriegsschauplätzen zum Einsatz kommen sollten. Diese Ärzte und Helfer sollten in den Kampfzonen frei agieren und arbeiten können.
Eine Erinnerung aus Solferino erschütterte die Leser, und Dunant bekam Unterstützung. Er war nicht der Erste, der sich dafür einsetzte, dass in Kriegszonen eine weitaus bessere Krankenpflege notwendig war. Zur berühmtesten Verfechterin dieser Forderung wurde Florence Nightingale, eine Britin, die aus einer reichen Familie stammte und ihr Leben der Krankenpflege widmete. Sie war ebenso schockiert wie Dunant bei Solferino, als sie die Zustände für die Verwundeten während des Krimkrieges sah.
Dunant ließ sich von Nightingale und der humanistisch-progressiven Autorin Harriet Beecher-Stowe inspirieren, doch das eigentlich Revolutionäre an seinem Plan war die Idee einer internationalen Institution.
Zusammen mit vier einflussreichen Genfer Bürgern gründete Dunant am 17. Februar 1863 das Internationale Komitees der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege, noch im gleichen Jahr kamen Delegierte aus vierzehn Ländern, darunter Preußen – nicht aber Dänemark – nach Genf, um die Möglichkeiten zur Gründung einer internationalen Organisation zu diskutieren. Es wurde beschlossen, dass die Entsandten der Organisation in Kriegszonen ein weißes Armband mit einem roten Kreuz (eine Umkehrung der Schweizer Flagge) als Symbol der Neutralität tragen sollten.
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