Aber Jurand, sich Zbyszkos Umarmung entziehend, streckte seinen Stab aus, zum Zeichen, daß er zu Danusia heranzutreten wünsche, da faßten ihn Tolima und Zbyszko unter den Armen, um ihn zur Tragbahre zu geleiten, und er kniete bei dem Leichnam nieder, er fuhr mit der Hand von der Stirne bis zu den kreuzweise gefalteten Händen der Toten und nickte einige Male mit dem Kopfe, wie wenn er sagen wolle, daß dies seine Danusia sei, keine andere – und daß er sein Kind erkenne. Dann umschlang er sie mit dem einen Arm, während er den andern, verstümmelten emporhob, die Anwesenden aber verstanden ihn, denn diese stumme Anklage vor Gott war beredter als alle Aeußerungen des Schmerzes. Zbyszko, dessen Gesicht nach dem plötzlichen Schmerzesausbruch wieder eine starre Miene angenommen hatte, kniete jetzt schweigend, einem Steinbild ähnlich, an der andern Seite der Bahre, und rings umher ward es so stille, daß man das Zirpen der Grillen und das Summen der Fliegen vernehmen konnte. Schließlich besprengte Pater Kaleb die Tote, Zbyszko sowie Jurand mit Weihwasser und begann das »Requiem aeternam«. Nach Beendigung des Gesanges betete er lange Zeit laut, und den Umstehenden dünkte, daß sie die Stimme eines Propheten vernahmen, da er zu Gott flehte, daß durch die Leiden des unschuldigen Kindes das Maß der Sünde voll sei, und daß nun der Tag des Gerichtes, der Strafe und des Verderbens für die Ungerechten kommen möge.
Dann setzten sie sich wieder in Bewegung gen Spychow, doch legten sie Danusias Leichnam nicht auf den Wagen, sondern trugen ihn auf der mit Blumen geschmückten Bahre dem Zuge voraus.
Das Geläute der Glocken hatte nicht aufgehört, es schien sie zu rufen und einzuladen, und sie schritten singend über die weiten, von der goldenen Abendröte beleuchteten Triften, wie wenn die Dahingeschiedene sie zu ewigem Glanze, zu ewigen lichten Höhen führe. Der Abend hatte schon begonnen, und die Herden waren von der Weide zurückgekehrt, als der Zug anlangte. Die Kapelle, worin die sterbliche Hülle Danusias niedergesetzt wurde, erstrahlte von Fackeln und Wachskerzen. Auf Befehl des Pater Kaleb beteten sieben Jungfrauen abwechselnd die Litanei an der Leiche bis zum Anbruch des Tages. Bis zum Anbruch des Tages verließ auch Zbyszko die Dahingeschiedene nicht, und am Morgen legte er sie in einen Sarg, der während der Nacht von geschickten Handwerksleuten aus Eichenholz gezimmert und in dessen Deckel, gerade wo das Haupt der Toten ruhen sollte, goldglänzender Bernstein eingefügt worden war.
Jurand befand sich nicht in der Kapelle. Gleich nach seiner Rückkunft in die Burg hatten ihm die Füße den Dienst versagt, und als man ihn auf sein Lager gebracht hatte, war er plötzlich nicht mehr fähig, sich zu bewegen, wußte er weder, wo er sich befand, noch was mit ihm vorging. Umsonst sprach Pater Kaleb zu ihm, umsonst fragte er, was ihm fehle, Jurand hörte ihn nicht, verstand ihn nicht; auf dem Rücken liegend, hob er nur die Lider und lächelte mit strahlendem, glückseligem Antlitz. Zuweilen bewegte er auch die Lippen, wie wenn er mit jemand spräche. Die bei ihm Anwesenden sagten sich dann, daß er wohl mit seiner in das ewige Heil eingegangenen Tochter zu sprechen glaube und ihr zulächle. Sie sagten sich auch, daß es zu Ende mit ihm gehe, und er sich schon in die ewige Glückseligkeit entrückt glaube, aber darin täuschten sie sich, denn unempfindlich und taub für alles, was um ihn her vorging, verharrte er so ganze Wochen hindurch, ohne daß das Lächeln von seinem Gesichte schwand. Als Tolima schließlich mit dem Lösegeld für Macko wieder aufbrach, befand sich Jurand noch am Leben.
Inhaltsverzeichnis
Nach dem Begräbnis Danusias war zwar Zbyszko nicht erkrankt, nicht bettlägerig geworden, aber eine Art von Erstarrung hielt seine Sinne gefangen. Anfangs, während der ersten Tage, stand es noch nicht so schlimm mit ihm, denn er ging umher, er besprach sich im Geiste mit seinem toten Weibe, oder er begab sich zu Jurand und setzte sich an dessen Lager nieder. Auch berichtete er dem Priester von der Gefangenschaft Mackos, und sie beschlossen, Tolima nach Preußen und Marienburg zu senden, damit er in Erfahrung bringe, wo der alte Ritter sich befand, und ihn loskaufe, zugleich aber auch für Zbyszko die Summe bezahle, welche mit Arnold von Baden und dessen Bruder vereinbart worden war. In den unterirdischen Gewölben in Spychow fehlte es nicht an Silber, das Jurand teils aus seinen Besitzungen zugeflossen, teils von ihm erbeutet worden war, und Pater Kaleb nahm als wahrscheinlich an, daß die Kreuzritter, sofern sie das Geld erhielten, den alten Mann freilassen und nicht verlangen würden, daß der junge Kämpe sich persönlich bei ihnen einstelle.
»Gehe nach Plock,« sagte der Priester zu Tolima bei dessen Aufbruch, »und lasse Dir dort von dem Fürsten einen Geleitsbrief geben, sonst könnte der erste beste Komtur Dich ausrauben und gefangen nehmen.«
»Ei, ich kenne sie ja gut,« entgegnete der alte Tolima. »Sie sind im stande, sogar auch diejenigen zu berauben, welche Geleitsbriefe haben.«
Und er machte sich auf den Weg. Aber es währte nicht lange, so bereute Pater Kaleb es schon, daß er nicht Zbyszko selbst abgesandt hatte. Zwar hatte er befürchtet, im ersten Augenblick des Schmerzes könne der junge Ritter entweder nicht so vorgehen, wie es nötig war, oder am Ende gar seiner Wut gegen die Kreuzritter allzusehr die Zügel schießen lassen und sich irgend einer Gefahr aussetzen. Auch hatte er sich gesagt, daß es dem Tiefbetrübten wohl schwer fallen werde, sich sogleich nach solchem Herzeleid und Kummer vom Grabe der Geliebten zu trennen, zumal nach einer so schrecklichen und traurigen Fahrt, wie die, welche durch ihn von Gotteswerder bis Spychow unternommen worden war. Jetzt hingegen bereute der Priester, all diesen Bedenken Raum gegeben zu haben, denn Zbyszko ward mit jedem Tag schwermütiger. Bis zum Tode Danusias hatte er in beständiger Erregung gelebt, hatte er stets all seine Kräfte angespornt. Ans Ende der Welt war er gedrungen, er hatte manchen Kampf bestanden, er hatte sein Weib aus der Gefangenschaft befreit, durch Wüsteneien war er gewandert, und plötzlich sollte nun alles zu Ende sein, wie auf einen Schlag. Nichts blieb zurück als die Erkenntnis, daß alles umsonst, daß die erlittenen Mühseligkeiten vergeblich gewesen – und daß er diese zwar überwunden hatte, daß aber zugleich mit ihnen unendlich viel, auch die Hoffnung, alles Gute und die Liebe aus seinem Leben entschwunden waren. Ein jeder Mensch lebt in der Zukunft, ein jeder entwirft Pläne und beschließt manches für die kommenden Tage, für Zbyszko hingegen war das »morgen« gleichgültig geworden, und was die Zukunft anbelangte, so hatte er dasselbe Gefühl wie Jagienka, als sie, von Spychow wegreitend, sagte: »Hinter mir, nicht vor mir liegt das Glück!« Dies Gefühl von Freudlosigkeit, von Schwäche, die Empfindung, daß alles um ihn her öde und leer sei, ward durch den unendlichen Schmerz, den immer wachsenden Gram um Danusia hervorgerufen. Der Schmerz, welcher über ihn gekommen war, nahm ihn ganz gefangen und ward so gewaltig, daß schließlich in Zbyszkos Herzen nichts anderes mehr Raum fand. Er dachte nur noch an sein Leid und versenkte sich förmlich darein. Unempfindlich für alles, zog er sich in sein Inneres zurück, gleichsam in einem Traume umherwandelnd, ohne zu wissen, was um ihn her vorging. All seine Körper-und Geisteskräfte schienen nachgelassen zu haben, seine ehemalige Energie und Kühnheit waren entschwunden und hatten einer gewissen Lässigkeit Platz gemacht. In Blick und Bewegung hatte er jetzt etwas von der Würde eines Greises. Ganze Tage und Nächte saß er entweder in der Gruft am Sarge Danusias oder vor dem Hause, sich während der Nachmittagsstunden in der Sonne wärmend. Zuweilen war er so geistesabwesend, daß er keine Frage beantwortete. Pater Kaleb, der ihn liebte, befürchtete, der Gram, könne an ihm zehren wie der Rost am Eisen zehrt – und voll Betrübnis sagte er sich immer wieder, daß es vielleicht besser gewesen wäre, wenn er Zbyszko mit dem Lösegeld zu den Kreuzrittern geschickt hätte. »Es ist notwendig,« sprach er zu dem Küster des Ortes, mit dem er sich in Ermanglung eines andern über die eigenen Kümmernisse zu unterhalten pflegte, »daß ihn irgend etwas aufrüttle, sonst wird er vollständig zu Grunde gehen.« Und der Küster stimmte ihm bei, indem er den klugen Vergleich anführte: für einen Menschen, der an einem Knochen würge, sei es am besten, ihm einen tüchtigen Schlag in das Genick zu geben.
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