„Als daher die Engländer in bedenkliche Feindseligkeiten mit indischen Völkern gerieten und ein Feldzug eröffnet wurde, der nachher ziemlich blutig für sie ausfiel, entschloss ich mich kurz und trat wieder in meine Kompanie als guter Kombattant, vom Gouverneur meinen Abschied nehmend. Derselbe wollte zwar nichts davon wissen, sondern polterte, bat und schmeichelte mir, dass ich bleiben möchte, wie alle solche Leute, die glauben, alles stehe mit seinem Leib und Leben, mit seinem Wohl und Wehe nur zu ihrer Verfügung da, um ihnen die Zeit zu vertreiben und zur Bequemlichkeit zu dienen. Lydia hingegen liess sich während der drei oder vier Tage, während welcher von meinem Abzug die Rede war, kaum sehen. Geschah es aber, so sah sie mich nicht an oder warf einen kurzen Blick voll Zornes auf mich, wie es schien; aber nur das Auge schien zornig, ihr Gang und ihre übrigen Bewegungen waren dabei so still, edel und an sich haltend, dass dieser schöne Zorn mir das Herz zerriss. Auch hörte ich, dass sie des Morgens sehr spät zum Vorschein käme und dass man sich darüber den Kopf zerbräche; denn es deutete darauf, dass sie des Nachts nicht schlafe, und als ich sie am letzten Tage zufällig hinter ihrem Fenster sah, glaubte ich zu bemerken, dass sie ganz verweinte Augen hatte; auch zog sie sich schnell zurück, als ich vorüberging. Nichtsbestominder schritt ich meinen steifen Feldwebelsgang ruhig fort und verrichtete alles, weder rechts noch links sehend. So ging ich auch gegen Abend mit einem Burschen noch einmal durch die Pflanzungen, um ihm die Obhut derselben einigermassen zu zeigen und ihn, so gut es ging, zu einem provisorischen Gärtner zuzustutzen, bis sich ein tauglicheres Subjekt zeigen würde. Wir standen eben in einem schlanken Rosenwäldchen, das ich gezogen hatte; die Bäumchen ragten just in die Höhe des Gesichtes und waren so dicht, dass, wenn man darin herumging, die Rosen einem an der Nase streiften, was sehr artig und bequem war und wozu der Gouverneur sehr gelacht hatte, da er sich nun nicht mehr zu bücken brauchte, un an den Rosen zu riechen. Als ich dem Burschen meine Anweisungen erteilte, kam Lydia herbei und schickte ihn mit irgendeinem Auftrage weg, und indem sie gleich mitzugehen willens schien, zögerte sie doch eine kurze Zeit, einige Rosen brechend, bis der Diener weg war. Ich zerrte ebenfalls noch ein Weilchen an einem Zweige herum, und wie ich mich umdrehte, um zu gehen, sah ich, dass ihr Tränen aus den Augen fielen. Ich hatte Mühe, mich zu bezwingen, doch tat ich, als ob ich nichts gesehen, und eilte hinweg. Doch kaum war ich zehn Schritte gegangen, als ich hörte und fühlte, wie sie, bald laufend, bald stehenbleibend, hinter mir herkam, und so eine ganze Strecke weit. Ich hielt dies nicht mehr aus, wandte mich plötzlich um und sagte zu ihr, die kaum noch drei Schritte von mir entfernt war: ,Warum gehen Sie mir nach, Fräulein?‘
„Sie stand still, wie von einer Schlange erschreckt, und wurde, den Blick zur Erde gesenkt, glühendrot im Gesicht; dann wurde sie bleich und weiss und zitterte am ganzen Leibe, während sie die grossen blauen Augen zu mir aufschlug und nicht ein Wort hervorbrachte. Endlich sagte sie mit einer Stimme, in welcher empörter Stolz mit gern ertragener Demütigung rang: ,Ich denke, ich kann in meinem Besitztume herumgehen, wo ich will!‘
,,,Gewiss!‘ erwiderte ich kleinlaut und setzte meinen Weg fort. Sie war jetzt an meiner Seite und ging neben mir her. Ich ging aber in meiner heftigen Aufregung mit so langen und raschen Schritten, dass sie trotz ihrer kräftigen Bewegungen mir mit Mühe folgen konnte, und doch tat sie es. Ich sah sie mehrmals gross an von der Seite und sah, dass ihr die Augen wieder voll Wasser standen, indessen dieselben wie kummervoll und demütig auf den Boden gerichtet waren. Mir brannte es ebenfalls siedendheiss im Gesicht, und meine Augen wurden auch nass. Die Sache stand jetzt dergestalt auf der Spitze, dass ich entweder eine Dummheit oder eine Gewissenlosigkeit zu begehen im Begriffe stand, wovon ich weder das eine noch das andere zu tun gesonnen war. Doch dachte ich, indem ich so neben ihr herschritt, in meinen armen Gedanken: ,Wenn dies Weib dich liebt und du jemals mit Ehren an ihre Hand gelangest, so sollst du ihr auch dienen bis in den Tod, und wenn sie der Teufel selbst wäre!‘
„Indem erreichten wir eine Stätte, wo ein oder zwei Dutzend Orangenbäume standen und die Luft mit Wohlgeruch erfüllten, während ein süsser, frischer Lufthauch durch die reinlichen, edelgeformten Stämme wehte. Ich glaube diesen betörenden Hauch und Duft noch jetzt zu fühlen, wenn ich daran denke; wahrscheinlich übte er eine ähnliche Wirkung auf das Geschöpf, das neben mir ging, dass es seine wundersame Leidenschaft, welche die Liebe zu sich selbst war, so aufs äusserste empfand und darstellte, als ob es eine wirkliche Liebe zu einem Manne wäre; denn sie liess sich auf eine Bank unter den Orangen nieder und senkte das schöne Haupt auf die Hände; die goldenen Haare fielen darüber, und reiche Tränen quollen durch ihre Finger.
,,Ich stand vor ihr still und sagte mit versagender Stimme: ,Was wollen Sie denn, was ist Ihnen, Fräulein Lydia?‘
„Was wollen Sie denn!‘ sagte sie, ,ist es je erhört, eine schöne und feine Dame so zu quälen und zu misshandeln! Aus welchem barbarischen Lande kommen Sie denn? Was tragen Sie für ein Stück Holz in der Brust?‘
„Wie quäle, wie misshandle ich denn?‘ erwiderte ich unschlüssig und betreten; denn obgleich sie einen guten Sinn haben konnte, schien mir diese Sprache dennoch nicht die rechte zu sein.
,,,Sie sind ein grober und übermütiger Mensch!‘ sagte sie, ohne aufzublicken.
„Nun konnte ich nicht mehr an mich halten und erwiderte: ,Sie würden dies nicht sagen, mein Fräulein, wenn Sie wüssten, wie wenig grob und übermütig ich in meinem Herzen gegen Sie gesinnt bin! Und es ist gerade meine grosse Höflichkeit und Demut, welche —‘
,,Sie blickte, als ich wieder verstummte, auf, und das Gesicht mit einem schmerzlichen, bittenden Lächeln aufgehellt, sagte sie hastig: ,Nun?‘ Wobei sie mir einen Blick zuwarf, der mich jetzt um den letzten Rest von Überlegung brachte. Ich, der ich es nie für möglich gehalten hätte, selbst dem geliebtesten Weibe zu Füssen zu fallen, da ich solches für eine Torheit und Ziererei og ansah, ich wusste jetzt nicht, wie ich dazukam, plötzlich vor ihr zu liegen und meinen Kopf ganz hingegeben und zerknirscht in den Saum ihres Gewandes zu verbergen, den ich mit heissen Tränen benetze. Sie stiess mich jedoch augenblicklich zurück und hiess mich aufstehen; doch als ich dies tat, hatte sich ihr Lächeln noch vermehrt und verschönert, und ich rief nun: ,Ja — so will ich es Ihnen nur sagen‘, und so weiter, und erzählte ihr meine ganze Geschichte mit einer Beredsamkeit, die ich mir kaum je zugetraut. Sie horchte begierig auf, während ich ihr gar nichts verschwieg vom Anfang bis zu dieser Stunde und besonders ihr auch aus überströmendem Herzen das Bild entwarf, das von ihr in meiner Seele lebte und wie ich es seit einem halben Jahre oder mehr so emsig und treu ausgearbeitet und vollendet. Sie lachte, vor sich niedersehend und voll Zufriedenheit Lauschend, die Hand unter das Kinn stützend, und sah immer mehr einem seligen Kinde gleich, dem man ein gewünschtes Spielzeug gegeben, als sie hörte und vernahm, wie nicht einer ihrer Vorzüge und Reize und nicht eines ihrer Worte bei mir verlorengegangen war. Dann reichte sie mir die Hand hin und sagte, freundlich errötend, doch mit zufriedener Sicherheit: ,Ich danke Ihnen sehr, mein Freund, für Ihre herzliche Zuneigung! Glauben Sie, es schmerzt mich, dass Sie um meinetwillen so lange besorgt und eingenommen waren; aber Sie sind ein ganzer Mann, und ich muss Sie achten, da Sie einer so schönen und tiefen Neigung fähig sind!‘
„Diese ruhige Rede fiel zwar wie ein Stück Eis in mein heisses Blut; doch gedachte ich sogleich, es ihr wohl und von Herzen zu gönnen, wenn sie jetzt die gefasste und sich zierende Dame machen wolle, und mich in alles zu ergeben, was sie auch vornehmen und welchen Ton sie auch anschlagen würde.
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