Es wusste schon genug, wenn er von den ungehörigen Streitereien zwischen Jesuiten, Dominikanern, [33]Kapuzinern und Säkularpriestern hörte, die vom anderen Ende der Welt in seine Länder gesandt wurden; sie kamen, um die Wahrheit zu predigen, und anathematisierten einander. Der Kaiser tat also nicht mehr, als fremde Unruhestifter heimzuschicken; aber mit welcher Güte schickte er sie heim! Welche Sorge trug er nicht um ihre Reise, wie bedachtsam stellte er sicher, dass sie unterwegs nicht beschimpft wurden! Noch ihre Verbannung selbst war ein Beispiel von Toleranz und Menschlichkeit.
Die Japaner12 waren die tolerantesten aller Völker; zwölf Religionen hatten sich friedlich in ihrem Reich eingerichtet. Als die Jesuiten kamen, waren sie die dreizehnte. Aber sie wollten keine andere neben sich dulden, und das Ergebnis kennt man: Ein Bürgerkrieg, nicht weniger grässlich als der Krieg der Liga, verheerte jenes Land. Am Ende wurde die christliche Religion in Strömen von Blut ertränkt. Die Japaner verschlossen ihr Reich dem Rest der Welt; sie sahen in uns nur noch wilde Bestien, ähnlich jenen, von denen die Engländer ihre Insel gesäubert haben. Vergebens versuchte Minister Colbert, der wusste, dass wir die Japaner brauchen, die uns aber keineswegs brauchen, neue Handelsbeziehungen mit ihrem Reich aufzubauen; sie ließen sich von ihm nicht dazu bewegen.
So beweist unser ganzer Kontinent, dass man Intoleranz weder androhen noch ausüben soll.
Richten wir nun die Augen auf die andere Hemisphäre. Schauen wir nach Carolina, dessen Gesetzgeber der weise John Locke war. Nur sieben Familienväter waren dort nötig, um einen öffentlichen Kult zu etablieren, den das Gesetz genehmigte – eine Freiheit, die keinerlei Unordnung gestiftet hat. Wenn wir dieses Beispiel zitieren, dann aber [34]nicht, um Frankreich zur Nachahmung zu ermuntern – da sei Gott davor! Wir haben es nur angeführt, um zu verdeutlichen, dass selbst eine exzessive Duldsamkeit, die so weit ging, wie Toleranz nur irgend gehen kann, nicht zu der leisesten Zwistigkeit geführt hat. Aber was für eine entstehende Kolonie sehr nützlich und sehr gut ist, eignet sich nicht für ein altes Königreich.
Was sollen wir über die Primitives sagen, denen man den Spottnamen Quakers gegeben hat? Ihre Gebräuche mochten lächerlich wirken, aber sie waren stets so tugendhaft und haben vergebens versucht, dem Rest der Menschheit den Frieden zu lehren. In Pennsylvania zählen sie hunderttausend; Zänkerei und Zwietracht kennt man nicht in dem glücklichen Vaterlande, das sie sich errichtet haben; und allein der Name ihrer Stadt Philadelphia erinnert die Menschen ständig daran, dass sie Brüder sind. Diese Leute gereichen den Völkern, die von Toleranz noch nichts wissen, zum Vorbild und zur Beschämung.
Die Toleranz hat, kurz gesagt, nie einen Bürgerkrieg ausgelöst; die Intoleranz hat die Erde mit Metzelei überzogen. Nun richtet zwischen den folgenden beiden Rivalinnen: der Mutter, die will, dass man ihren Sohn tötet, und der Mutter, die ihn loslässt, wenn sie damit erreicht, dass er lebt!
Ich rede hier nur vom Interesse der Völker; mit allem gebührenden Respekt vor der Theologie beziehe ich mich in dieser Schrift nur auf das physische und moralische Wohl der Gesellschaft. Ich bitte jeden unparteiischen Leser, diese Wahrheiten abzuwägen, zu berichtigen und zu erweitern. Aufmerksame Leser, die sich ihre Gedanken mitteilen, gehen immer weiter als der Verfasser.13
[35]Kapitel V
Wie und warum Toleranz gewährt werden sollte
Ich wage mir vorzustellen, dass ein aufgeklärter und edelmütiger Minister, ein menschlicher und weiser Prälat, ein Fürst, der weiß, dass es seinem Interesse entspricht, möglichst viele Untertanen zu haben, und sein Ruhm in deren Glück besteht, so gut ist und einen Blick auf diese unzulänglich gearbeitete und mangelhafte Schrift wirft; dann ersetzt er deren Defizite mit seinen eigenen Ideen und fragt sich: Was riskiere ich eigentlich, wenn das Land durch eine zusätzliche Zahl fleißiger Hände bestellt und verschönert wird, die Einkünfte steigen und der Staat noch mehr erblüht?
Deutschland wäre eine Wüstenei, bedeckt mit den Gebeinen von Katholiken, Protestanten, Reformierten, Anabaptisten, die einander ausgelöscht hätten, wenn nicht der Westfälische Frieden endlich die Gewissensfreiheit beschert hätte.
Wir haben Juden in Bordeaux, in Metz, im Elsass; wir haben Lutheraner, Molinisten, Jansenisten. Können wir nicht die Calvinisten zu ungefähr den gleichen Bedingungen dulden und im Zaum halten, wie die Katholiken in London toleriert werden? Je mehr Sekten es gibt, je weniger gefährlich ist jede einzelne. Ihre Vielfalt schwächt sie. Alle disziplinieren gerechte Gesetze, die tumultuöse Versammlungen, Beschimpfungen und Aufstände verbieten und die von der Exekutivgewalt durchgesetzt werden.
Wir wissen, dass mehrere Familienväter, die im Ausland große Vermögen angehäuft haben, bereit sind, in ihre [36]Heimat zurückzukehren; sie verlangen nicht mehr als den Schutz des Naturrechts, die Gültigkeit ihrer Ehen, Garantie des Standes ihrer Kinder, das Recht, ihre Väter zu beerben, und die Freiheit ihrer Person. Sie fordern keine öffentlichen Gotteshäuser, kein Recht auf städtische Ämter oder Würden – all dies haben die Katholiken in vielen Ländern ja auch nicht, so in England. Es geht nicht mehr darum, einer Partei üppige Privilegien und sichere Posten zu geben, sondern ein friedliches Volk schlicht leben zu lassen, Edikte zu mildern, die vielleicht einmal notwendig waren, dies jetzt aber nicht mehr sind. Es steht uns nicht zu, dem Minister zu bedeuten, was er tun kann; wir flehen lediglich um Hilfe für die Unglücklichen.
Wie viele Mittel gibt es doch, sie uns nützlich zu machen und zu verhindern, dass sie je gefährlich werden! Die Klugheit des Ministers und des Staatsrats, gestützt auf Macht, werden ganz leicht jene Mittel finden, die andere Nationen bereits so erfolgreich anwenden.
Es gibt noch Fanatiker im calvinistischen Pöbel, aber mehr davon zweifelsohne im Pöbel der Konvulsionäre. Der Abschaum der Wahnsinnigen von Saint-Médard genießt keinerlei Achtung im Volke; das Gesindel der calvinistischen Propheten ist vernichtend geschlagen. Das große Mittel, die Zahl der Besessenen, sofern noch welche da sind, zu verringern, ist, die Heilung dieser Krankheit der Vernunft zu überlassen: Sie erleuchtet die Menschen langsam, aber sicher. Diese Vernunft ist sanft, sie ist human, sie macht milde, sie erstickt die Zwietracht, sie festigt die Tugend, sie macht, dass den Gesetzen gern gehorcht wird, was diese mehr stärkt als die Gewalt, die sie stützt. Und ist es etwa nichts, dass heutzutage alle Menschen lauteren Sinnes der Schwärmerei [37]den Makel der Lächerlichkeit anheften? Diese Lächerlichkeit ist eine wirkmächtige Barriere gegen die Überdrehtheiten aller Sektierer. Die vergangenen Zeiten sind, als wären sie nie gewesen. Man muss immer ausgehen von dem Punkt, an dem man ist und von dem, den die Nationen erreicht haben.
Es gab eine Zeit, da man glaubte, gerichtlich einschreiten zu müssen, wenn jemand eine Lehre vertrat, die den Kategorien des Aristoteles, dem horror vacui , den Quidditäten oder dem Verhältnis zwischen Universalität und Partikularität zuwiderliefen. Wir haben in Europa mehr als hundert juristische Bände über die Hexerei und über die Methoden, falsche Hexen von echten zu unterscheiden. Die Exkommunikation von Heuschrecken und anderer der Ernte schädlicher Insekten war allgemein üblich; der Brauch besteht in manchen Ritualen fort; allgemein üblich aber ist er nicht mehr. Jetzt lässt man Aristoteles, die Hexen und die Heuschrecken zufrieden. Beispiele für solche schwerwiegenden und einstmals so bedeutsamen Unsinnigkeiten gibt es jede Menge; manchmal kommen neue auf, aber wenn sie eine Weile gewirkt haben und man ihrer überdrüssig ist, verschwinden sie wieder. Würde es heute jemandem einfallen zu sagen, er sei Karpokratianer oder Eutychianer, Monothelit, Monophysit, Nestorianer oder Manichäer etc. – ja, was geschähe dann? Man würde über ihn lachen wie über einen, der sich nach alter Mode mit Halskrause und Steppwams kleidete.
Читать дальше