Eduard Breimann - Flieh zu den Sternen

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Flieh zu den Sternen: краткое содержание, описание и аннотация

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"Lebensregel: Wenn du diese Scheißangst hast, dann lauf weg." Der dreizehnjährige Nick, ein notorischer Schulschwänzer, rennt nicht nur physisch davon, wenn ihm immer wieder unsägliche Dinge geschehen und er wegen eines an sich belanglosen Körperschadens gekränkt wird, auch sein Geist entflieht der unerträglichen Realität; er sucht Zuflucht auf einem erdachten Stern. Hier findet der Junge Trost durch Freunde und Beschützer, die ihn vor dem Zerbrechen bewahren. Die Verhältnisse in denen er aufwächst sind katastrophal. Seine Mutter trinkt und geht anschaffen, sein Stiefvater, ebenfalls Trinker und arbeitslos, ver­kauft ihn immer wieder an einen Kinderschänder. Halt findet er später in der Freundschaft zu dem zwei Jahre älteren Janosch, mit dem er sich eine Zuflucht im Keller eines Abbruchhauses schafft. Als er sich auf drastische Weise seines Peinigers entledigt, tritt eine grund­sätzliche Wende in seinem Leben ein. Die Einweisung in ein Heim, vor der er sich immer gefürchtet hatte, bietet ihm aber die Möglichkeit, nicht nur seine Vorurteile abzubauen, sondern auch – trotz zahlreicher Kom­plikationen – zu einem liebenswürdigen jungen Mann heranzuwachsen, der den richtigen Beruf und wohl auch die Partnerin fürs Leben gefunden hat. Dieser spannende und ereignisreiche Roman – mit Mord, Brandstiftung und Gewalt, der Freundschaft mit einem Penner und dem schwierigen Prozess für Nick, zwischen Liebe und Freundschaft zu unter­scheiden, ist anrührend zu lesen und bietet – nicht zuletzt – jungen Menschen Denkanstöße für ihr eigenes Leben.Eduard Breimann wurde in Aachen geboren, wuchs im Münsterland auf und lebt seit vielen Jahren in einer rheinischen Kleinstadt. Als Informatiker war er lange Zeit in einem Großunternehmen tätig. Seine Leidenschaft galt schon immer dem Schreiben: ständig als Journalist für Zeitungen und Zeitschriften, dann als kenntnisreicher Historiker und Autor von drei Bänden über regionale Geschichte. Es folgten zahlreiche Kurzgeschichten, preisgekrönt, in Anthologien und schliesslich in zwei Sammelbänden veröffentlicht, in denen Probleme des heutigen Lebens einfühlsam dargestellt, Schwierigkeiten des Miteinanders und die Existenz von Außenseitern geschildert werden. Im Frühjahr 2007 erschien mit «Das fremde Land» sein erster Roman, in dem das Schicksal ehemaliger Zwangsarbeiter in Deutschland, während der Kriegszeit und bei einem heutigen Besuch in Deutschland, in anrührender Weise dargestellt wird. Mit «Das Projekt Hannibal» erreicht er ein neues Niveau seiner literarischen Tätigkeit und reiht sich ein in die Riege lesenswerter Thriller-Autoren.-

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Eduard Breimann

Flieh zu den Sternen

Roman

Universal Frame

Alle Rechte vorbehalten

All rights reserved

Copyright © 2010

eBook-Ausgabe Copyright © 2013

Verlag Universal Frame GmbH, Zofingen

ISBN 9783905960082

Inhalt

Eins

Zwei

Drei

Vier

Eins

„Nick! Alte Lebensregel: Wenn du diese Scheißangst hast, dann lauf weg.“

Die Stimme war laut, pochte und klopfte an die Schädeldecke, wiederholte ständig „… dann lauf weg!“. Einen Augenblick lang dachte er, sein Freund stünde neben ihm. Immer wieder beschwor ihn die Stimme und löste doch nichts aus.

Die Beine bewegten sich Schritt für Schritt, führten ihn ohne sein Zutun auf das Tor zu. Die Halle, aus Beton errichtet, sah aus wie ein Bunker; nur das Tor und kleine Fenster, die verschmiert und undurchsichtig im Sonnenlicht lagen, lockerten die Front etwas auf.

Er war noch ein Stück weit weg von dem Bau, schaute auf das Tor und das Dämmerlicht, das dahinter sichtbar wurde, je näher er kam. Er glaubte den Moder zu riechen, der stärker geworden war, seitdem die Arbeiter die Halle verlassen hatten. Schon von weitem sah er die ölig glänzenden Betonplatten, die Schleifspuren, die Bootskiele geritzt hatten, wenn sie von den Slipwagen heruntergezogen wurden.

„Nie mehr! Nie mehr, geh ich da rein – nicht mit diesem Dreckskerl“, hatte er sich vorgenommen und das schwor er nach jedem Mal verzweifelter. Doch dann fühlte er umso schmerzhafter sein Versagen, begriff, dass seine Schwüre nur Luft waren, nichts als ein lauer Wind.

„Eher sterbe ich“, hatte er einmal zu Janosch gesagt. „Das ist kein Scherz.“

„Mach das lieber nicht. Dann fressen dich die Würmer und das macht auch keinen Spaß“, hat Janosch geantwortet und dabei seine langen Haare nach hinten geworfen und gegrinst. „Schlechter als tot sein geht gar nicht. Dann siehste auch nicht mehr so gut aus“.

„Doch, geht wohl! Janosch weiß gar nichts. – Manchmal ist der so kalt, versteht einfach nicht, wie das hier ist“, dachte er. „Ich sehe doch jetzt schon Scheiße aus.“

Er wusste nur zu gut wie er aussah. ‚Dürr’ sagte seine Mutter, ‚Schlackes’ nannten ihn andere Jungen – wenn sie nicht Krüppel sagten. In seinem schmalen Gesicht dominierten die großen wasserblauen Augen; sein aschblondes Haar hing ihm in die Stirn. Für den Friseur gab er nie Geld aus, das machte Janosch kostenlos mit einer Nagelschere. „Bist ein hübscher Junge“, sagte der hinter der Tür immer – und darum fand er sich hässlich.

Er spürte die Sonnenwärme auf dem Kopf und fror doch entsetzlich; Kälteschauer rannen vom Nacken bis zum Gesäß. Noch drei Schritte bis zum Toreingang, bis zum Dämmerlicht, und dann noch einmal gut fünfzig Schritte bis zur Hölle auf Erden.

Er stockte, genau auf der Grenze zwischen Dunkel und Hell, zwischen Leben und Tod, zitterte von der Kopfhaut bis zu den Zehen. Er hasste das alles, diesen Körper, der gegen seinen Willen benutzt wurde.

„Was wäre das schön, wenn man keinen hätte. Keiner könnte dann … Man würde einfach so ein Geist sein. Wofür braucht man den bloß? Für solche Schweine?“

Der Speichel schoss ihm in den Mund. Er bemerkte es nicht, war schon fast körperlos. Als er in die Halle trat, riss er die Augen auf. Er wusste, dass er für Sekunden blind sein würde, schaute hoch zu den Stahlträgern, auf die das Licht aus den hohen Fenstern fiel und an denen Ketten und Drahtseile hingen. Langsam weiteten sich seine Pupillen; schemenhaft sah er die Holzkisten, die leeren Werkbänke, die ringsum an den Wänden standen. Er wusste genau, wie sie aussahen; ihre Arbeitsplatten waren schwarz, verbrannt von Schweißflammen, überall glitzerten Eisenspäne und Riefen zogen sich kreuz und quer über die Platten.

Am anderen Ende der Halle glimmte eine von Staub und Fliegendreck halbblinde Lampe; ihr Licht fiel auf eine Eisentür und eine zweistufige Treppe. Wenn sie brannte, war Er da, der Stinker. Früher war dahinter das Meisterbüro gewesen. Früher! Jetzt war da das Grauen, das ihm die Albträume brachte. Im Raum hinter dieser Tür war Er.

Wenn diese Lampe brannte, dann wartete Er. Er wusste es; es war so sicher wie die Tatsache, dass ihn seine Mutter niemals Nick, sondern nur Nikolaus nannte, obwohl er den Namen hasste – fast so sehr wie den Stiefvater, die Drecksau, die ihm gerade in den Hintern trat.

„Nein, weniger. So viel wie den kann man gar nichts anderes hassen. Doch, kann man. Diesen da im Meisterbüro, den ja. Den noch viel mehr. Bis zum Himmel und zurück zur Hölle. Ich hasse beide. Ich hasse sie!“

„Dann tu was! Schlag die Drecksau tot, wenn sie besoffen ist. Stich den Stinker ab.“

„Oh, nein! Ich kann das nicht.“

„Mach! Los, Nikolaus Bregulla! Lahmer Krüppel!“

Am Anfang hatte er gedacht, der Mann, den er in Gedanken – und auch gegenüber Janosch -– nur ‚Stinker’ nannte, der würde dort wohnen, hinter dieser Tür. Der Mann hinter der Tür war aber nur da, wenn er in diese ehemalige Bootswerkstatt ging – wenn er hinein gehen musste. Nur dann brannte diese Lampe, nur dann war die Tür nicht verschlossen. Das alles hatten Janosch und er längst festgestellt.

Auf der Rückseite des Gebäudes gab es noch eine Tür; sah genau so aus wie diese. Zu der Tür führte ein Weg aus schwarzer Asche; er zweigte von der Straße ab, die von der Unterwarnow kam und vor dem breiten Werkstatttor endete.

Hinter der Halle war Platz für zwei oder drei Autos. Janosch war sicher, dass der Stinker aus Warnemünde oder aus Rostock kam und genau hier sein Auto abstellte. „Bestimmt eine Edelkarosse, die so leise fährt, dass du sie erst hörst, wenn sie dich schon überrollt hat“, sagte Janosch, der diese Kisten angeblich hasste, aber hin und wieder den Wunsch äußerte, damit mal über den Sachsenring zu brettern, bis der Motor kotzen müsste.

Nick schluckte die Spucke herunter und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. In den Oberschenkeln zuckten die Muskeln, in der Leiste spürte er ein Ziehen, das sich bis zu den Pobacken hinzog und in seinen Ohren rauschte das Blut so laut, dass er das Grunzen des Mannes kaum hörte.

„Mach voran! Wachs nich an, Krüppel.“

„Wenn du diese Scheißangst hast, dann lauf weg!“

„Ja, ja. Aber wohin? Ich kann nur zu den Sternen fliehen, nur zu meinen Freunden.“

„Du sollst nicht weglaufen. Tu was! Wehr dich. Oder willst du uns kaputt machen?“

Die Hitze in seinem Kopf war kaum zu ertragen. Er fühlte sie wie die Sonne, dachte, dass sie sein Gehirn verbrennen würde. Er hatte Angst vor der Hitze, wusste nichts damit anzufangen. Er hasste diese Furcht, diese Scheißangst. Davon kam das doch alles.

„Wenn du diese Scheißangst hast, dann lauf weg. Lauf einfach weg. Auch wenn deine Beine nicht wollen. Lauf! Du bist schnell. Hau einfach ab“, sagte Janosch immer wieder; einen anderen Rat konnte der ihm auch nicht geben.

„Abhauen?“, fragte er sich flüchtig und ging trotzdem weiter, lief nicht weg. Wohin denn auch? Er musste es hinnehmen; abhauen war nicht. Wenn der Alte ihn einmal hatte, gab’s kein Entkommen mehr. Janosch hatte gut reden. Der da hinter ihm, der ihn mit den Fäusten durch die Halle trieb, dabei wie ein Schwein grunzte, der ihn Krüppel nannte und mit dem Knie in den Hintern stieß, der hatte hier und zu Hause das Sagen. Da gab’s nichts dran zu mäkeln. Nichts.

Er ging langsam weiter, tat so, als müsse er Ölflecken und Putzwolle ausweichen. Einfach Zeit gewinnen, obschon es ja nichts brachte.

„Zeit! Zeit! Vielleicht haut der Stinker ja ab, weil’s ihm zu lange dauert. Vielleicht fällt ein Flugzeug vom Himmel, direkt auf die Halle. Vielleicht geht die Welt unter. Vielleicht … Langsam, Nick!“

Neben der Tür lagen dicke Taue, aufgerollt, verdreht, ordentlich hoch gestapelt, wie Reifen. Da konnte sich ein dürrer Junge, so einer wie er, durchaus drin verstecken, ohne dass auch nur ein Haarbüschel rausschaute. Daran hat er schon mal gedacht. Flüchtig. Nur für alle Fälle. Neben und hinter den Tauen lagen Flaschenzüge und eine Menge von diesen Holzkisten gab‘s, die überall in der Halle herum standen. Niemand holte die ab, interessierte keinen. War ja auch nur Zeug drin, was keiner gebrauchen konnte: nicht mal Janosch. Lange, grob gezimmerte Kasten waren das, deren Inhalt sie untersucht hatten. Absolut nicht, was sie gebrauchen konnten. Das hieß schon was, denn sie konnten eine Menge gebrauchen. Sachen, die andere einfach wegwarfen: Nägel Schrauben oder gebrauchte Putzlappen.

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