Jürgen Kalwa • Dirk Nowitzki
Für Maria, Walter und Doris
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Umschlagfoto: David Pillow/Dreamstime
Layout, Satz und Umschlaggestaltung: Composizione Katrin Rampp, Kempten
Druck und Verarbeitung: Medienhaus Plump, Rheinbreitbach
ISBN 978-3-96423-011-9
Vorwort
Wer sich mit einer derart großen Sportnation wie den Vereinigten Staaten beschäftigt, wird ziemlich rasch herausfinden, wie gut die besten Athleten in diesem Land tatsächlich sind. Es handelt sich nicht nur um die begabtesten, einfallsreichsten, reaktionsschnellsten, zielstrebigsten, leistungsstärksten und ehrgeizigsten Repräsentanten ihrer Sportarten. Sie sind Siegertypen, ausgestattet mit einem enormen Selbstbewusstsein. Und verbunden mit einer Ausstrahlung, die etwaige Selbstzweifel einfach übertüncht.
Die Besten demonstrieren, wie riesig das Geschäft mit Sport mittlerweile ist. Sie werden von ihren Clubs hervorragend bezahlt, mit lukrativen Werbeverträgen eingedeckt und führen ein Luxusleben mit riesigen Häusern, teuren Autos und einer Entourage von Freunden, Betreuern und Agenten. Leider entwickeln allzu viele keinen Sinn für Nachhaltigkeit. „Hier im Basketball und Football“, hat der ehemalige NBA-Profi Detlef Schrempf festgestellt, sind „60 bis 70 Prozent aller Spieler innerhalb von drei Jahren nach der Karriere bankrott. Das ist unglaublich. Einige haben über 100 Millionen Dollar gemacht. Ich kann das gar nicht fassen. Aber so leben sie halt.“
Mit anderen Worten: So gut sie sind und so weit sie gekommen sind – eine Unzahl von ihnen kommt und geht und verglüht gleich danach wie Sternschnuppen beim Eintritt in die Erdatmosphäre.
Andersherum gesagt: Nur sehr wenige schaffen es, sich zu überragenden Sympathieträgern und Identifikationsfiguren mit Wiedererkennungswert zu entwickeln. Die meisten kommen nicht so weit. Und sie sind wohl auch nicht wirklich gut.
Für den Weg dahin gibt es keine Landkarte und keine Routenempfehlung via GPS. Und also auch keinerlei Garantie, dass man jemals an diesen Punkt kommt, wenn man im Alter von 20 Jahren bei einem Profi-Team im amerikanischen Mannschaftssport anheuert. Weshalb dieser kurze Moment am 28. Februar 2019 in dem mit mehr als 20.000 Zuschauern ausverkauften Staples Center in Los Angeles auch so bemerkenswert war.
Da ordnete Doc Rivers, der Trainer der Los Angeles Clippers, neun Sekunden vor dem Ende des Spiels gegen die Dallas Mavericks eine Auszeit an und griff sich ein Mikrofon, um aus freien Stücken auf einen Spieler der Gästemannschaft zu sprechen zu kommen, der nicht wusste, wie ihm geschah.
„Dirk Nowitzki“, sagte Doc Rivers und zeigte mit dem Finger auf den Gegenspieler mit der Nummer 41, „einer der Größten aller Zeiten.“
Die Zuschauer brauchten nicht lange, um sich zu erheben und ihn, den besten nicht-amerikanischen Basketballer in der Geschichte dieser uramerikanischen Sportart, mit riesigem Applaus zu feiern.
Nowitzki, bekannt als bescheidener, trainingsfleißiger und vor allem treffsicherer Spieler, der seinen Platz im Rampenlicht des amerikanischen Sports nur zögernd akzeptiert hat, wusste nicht, was er sagen sollte. Außer, dass dieser Moment schlichtweg etwas Besonderes gewesen war: „Das hat mich wirklich berührt“, meinte er. „Es war sehr emotional.“
Hinter der Geste von Rivers („Ich hatte das nicht geplant. Er verdient es einfach“) steckte durchaus ein logischer Aufhänger. Das Match an diesem Abend war Pflichtspiel Nummer 1.500 für Nowitzki, dem man anmerkt, dass ihm mit zunehmendem Alter die Anforderungen der Sportart auf die Knochen gehen. Erst im Sommer davor hatte er sich an seinem linken Knöchel abgestorbenes Gewebe operativ entfernen lassen und war danach wieder so fit geworden, um die Leistungen zu bringen, die man in seiner neuen Rolle – jemand, der von der Bank aus zu einem späten Zeitpunkt ins Spiel kommt – erwarten kann.
Aber mit den Jubiläen ist das im amerikanischen Sport so eine Sache. Denn genau genommen war es Spiel Nummer 1645. Denn was bei solchen Zählweisen gerne unter den Tisch fällt, ist das Datenmaterial aus den Playoffs, die Nowitzki in den 21 Jahren bei den Mavericks insgesamt 15-mal erreicht hat.
Aber solche Kleinigkeiten stören im ansonsten statistikversessenen amerikanischen Sport nur die wenigsten. Das kann man zum Beispiel daran ablesen, dass zwar sehr gerne im Zusammenhang mit den ganz großen Stars über diese Rangliste gesprochen wird, für die man bei Wikipedia sogar einen eigenen Eintrag eingerichtet hat (Überschrift: „Liste der nach Punkten erfolgreichsten NBA-Spieler“). Sie ist selbstverständlich unvollständig. Auch hier fehlen die Playoff-Angaben.
In dem erwähnten Ranking stand Nowitzki an jenem Abend im Staples Center auf Platz sieben hinter anderen Jahrhundert-Basketballern: Kareem Abdul-Jabbar, Karl Malone, Michael Jordan, Kobe Bryant, LeBron James und Wilt Chamberlain. Aber er befand sich in Reichweite von Chamberlain, um bis zum Ende der Saison einen Rang weiter vorzurücken.
Der amerikanische Sport zehrt übrigens von vielen nüchternen Verstrebungen. Sie sind alle jener fundamentalen Logik geschuldet: Sport ist ein Geschäft. und zwar riesiger denn je. So werden Spieler bisweilen ganz unromantisch und gegen ihren Willen an andere Clubs abgegeben oder sogar ganze Teams verpflanzt und notfalls mit einem völlig neuen Namen versehen.
Doch so kalt kalkulierend solche Transaktionen auch sind. Parallel umweht diesem schnöden Geschäft seit ewigen Zeiten eine Aura des Kultischen. Etwas, was sich zum Beispiel in der Verehrung legendärer Ausnahmeerscheinungen widerspiegelt. Man betrachtet die Besten eben nicht nur durch die Brille statistischer Informationen und bewertet sie nicht nur nach der Zahl der errungenen Titel und Auszeichnungen. Man überhöht sie geradezu und lädt die öffentliche Wahrnehmung mit Ehrbezeugungen auf, die eigens für den Sport erfunden wurden. Zum Beispiel die Hall of Fame, in die Spieler einmal im Jahr feierlich aufgenommen und damit in den Rang ewiger Legenden erhoben werden.
Kein Wunder, dass man sich von ihnen auch so intensiv verabschiedet, sobald klar ist, dass sie von der Bühne abtreten.
Dirk Nowitzkis erging es im Frühjahr 2019 mit seinem langsamen Abgang nicht anders. Sei es in Boston, Detroit, Toronto, New York oder Los Angeles. Überall bekamen diese Gastspiele „die Anmutung einer Nowitzki-Gala“ (so Sebastian Moll in der taz). Ganz egal, wie viele (oder wie wenige) Minuten er zum Einsatz kam. Bei den New York Knicks im Madison Square Garden wurde das vermutlich sachverständigste Basketball-Publikum des Landes gegen Ende des Spiels sogar unruhig und brüllte im Chor „We want Dirk“. Warum? Mavericks-Trainer Rick Carlisle hatte seine Nummer 41 bis dahin noch nicht aufs Feld geschickt.
Als Nowitzki endlich auflief, enttäuschte er nicht. Er lieferte einen Dreier, der über alle Gegner hinweg in den Korb segelte, ohne auch nur den Ring zu berühren, und stieg anschließend zielsicher mehrfach zu seinem berühmt gewordenen Sprungwurf auf.
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