Nowitzki selbst wollte im März – nur wenige Wochen vor dem Ende der regulären Saison – noch nicht verbindlich sagen, ob er denn seine langen Sneaker (Schuhgröße 54) an den Nagel hängt. Er klang eher so, als ob er noch nach einer Hintertür suchte und das Unvermeidliche noch eine Weile hinausschieben wollte. Typisch seine Reaktion auf die Frage eines Fernseh-Reporters, die dieser mit den Worten einleitete: „Es ist so etwas wie eine Abschiedstour…“. Die Reaktion darauf war zwiespältig: „Sieht so aus, als würden sie die Entscheidung für mich treffen“. Tatsächlich hielt er sich in jenen Tagen noch immer alle Optionen offen: „Mal sehen, was der Rest der Saison noch bringt“, so Nowitzki.
Sollte er, inzwischen vergleichsweise „hölzern und steif“ (Sebastian Moll), noch ein Jahr dranhängen, ändert sich allerdings nichts an der Prämisse eines Buches wie diesem. Es zeichnet auch so den entscheidenden Teil der gesamten Karriere von Dirk Nowitzki in den USA nach. Was allenfalls fehlt, wären ein paar letzte Verästelungen. Die Essenz seiner sportlichen Lebensleistung bliebe davon unangetastet.
Und das unter anderem auch deshalb, weil die amerikanische Basketballgemeinde schon seit einer Weile beschlossen hat, Nowitzki als einen ihrer Top-Spieler und Top-Botschafter zu betrachten. Weshalb es an der Zeit ist, eine Gesamtschau zu erstellen, die belegt, wie ihm dies gelingen konnte und welche Serpentinen er – der moderne Sisyphos – auf dem Weg nach ganz oben bis hin zum absoluten Weltstar bewältigen musste.
Ein solches Buch kann man deshalb schon jetzt, im Frühjahr 2019, schreiben. Es ist so weit. Denn diese Geschichte ist wirklich so gut.
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung: So weit, so vage – die Erinnerung an eine erste Begegnung mit Dirk Nowitzki
1. Kapitel: Ein Trikot für Obama
2. Kapitel: Der Traktor-Faktor
3. Kapitel: Die Milwaukee-Connection
4. Kapitel: Holger – zwei Gespräche mit einem Meister seines Fachs
5. Kapitel: Die Sache mit dem Sisyphos. Das Bild einer Entwicklung – montiert aus den Eindrücken der jeweiligen Zeit
Februar 1999: Das erste Spiel
Dezember 1999: Texas macht bescheiden
Februar 2000: Rodzilla trifft auf den Teutonen-Turm
April 2000: „Ein Held nach Art der Gebrüder Grimm”
Dezember 2001: Der große Blonde mit dem zu kleinen Schuh
Mai 2002: Titelfigur
Mai 2003: Das Knie macht einiges kaputt
Mai 2005: Ohne den besten Freund
Oktober 2005: „Ich glaube, er ist ein Pessimist”
Juni 2006: Spitzname gesucht
Juni 2006: Gegen den alten Freund
Juni 2006: Das Prinzip Hoffnung hilft nicht
Oktober 2006: Eine Art Invasion
April 2007: Wiedersehen mit Nellie
April 2007: Der kleine General
Mai 2007: Wie ein Mann ohne Eigenschaften
Mai 2007: Wie wertvoll ist ein MVP?
Oktober 2007: Er ist der Star, aber die anderen wollen nur tanzen
Februar 2008: Kidd kommt
April 2008: Der Ring-Kampf des Psychologen
November 2008: Da ist Musik drin
Mai 2009: Verliebt in eine Betrügerin
Oktober 2009: Träumen muss erlaubt sein
Oktober 2010: Sehnsucht geht unter die Haut
April 2011: Sinn für Nachhaltigkeit
Juni 2011: Der Wert des eigenen Wegs
Juni 2011: Das Irgendwann ist jetzt
Juni 2011: Der Gute hat gewonnen
Februar 2012: Zahlenspiele
Dezember 2012: Eine Begegnung mit dem Erfinder des Spiels
Oktober 2013: „Glaubst du wirklich, dass ich erledigt bin?“
Oktober 2014: Auf dem Weg zur Legende
April 2015: Die große Mumie
Oktober 2016: Tennis-Nostalgie
März 2017: Kennziffer 30.000
Oktober 2017: Auf der Suche nach einem Logo
Oktober 2018: Das letzte Hurra
6. Kapitel: Weggefährten
Steve Nash: Soziales Bewusstsein (2004)
Mark Cuban (1): „Sag Ihnen, ich bin Milliardär“ (2006)
Mark Cuban (2): Der Ball-Artist (2006)
Chris Kaman: Der beste unbekannte Profi (2008)
Rick Carlisle: Klavierspieler mit Zwischentönen (2011)
Nowitzkis Erben (2013)
LeBron James: Hollywood, here he comes (2018)
Ausgewählte Daten und Bestmarken aus Dirk Nowitzkis Karriere
Anmerkungen
Einleitung
So weit, so vage – die Erinnerung an eine erste Begegnung mit Dirk Nowitzki
Es hat eine Zeit gegeben, da wusste ich nicht, ob irgendwo zwischen den vielen Tonbandkassetten in der Sammlung meines Recherchematerials aus mehr als zwanzig Jahren eine ganz bestimmte Aufnahme schlummert. Ich meinte mich zu erinnern, dass ich im Frühjahr 1999 in einem Lokal in Dallas einen kleinen Recorder dabei gehabt hatte. Aber wo war die Aufnahme abgeblieben?
Im Idealfall baut ein Journalist sein Archiv von Anfang an so auf wie ein Bibliothekar, weil die Fahndung nach den Utensilien aus zurückliegenden Jahren andernfalls rechtschaffen mühsam wird. Zumal der Berg mit jedem neuen Thema ein bisschen weiter anwächst. Aber die umständliche Suche nach einem Gegenstand kann durchaus eine produktive Seite haben. Sie löst Erinnerungen aus und neue Fragestellungen. Einen Zustand, für den es im Englischen das schöne Wort serendipity gibt, das sich leider nur schwer übersetzen lässt: In ihm mischt sich das Prinzip Zufall mit der Lust auf Entdeckungen und Überraschungen zu einem relativ produktiven Lebensgefühl.
Mit anderen Worten: Wer sucht, der findet. Aber nicht unbedingt das, was er sich ausgemalt hatte.
Ich weiß nicht, wer bereits 1999 geahnt hatte, dass eine solche Kassette Jahrzehnte später einen Wert haben würde, der über den eines Souvenirs hinausgeht. Und wer sich damals mit Dirk Nowitzki unterhielt und über jedes übertriebene Wunschdenken hinaus ernsthaft prognostiziert hätte, dass es sich hierbei um eine Ausnahmeerscheinung handelt. Um Jemanden, der nicht nur den Bezugsrahmen des deutschen Sports verändern würde, sondern sogar, im Weltmaßstab betrachtet, die Sportart Basketball. Es muss sich um eine klitzekleine Minderheit gehandelt haben. Um Männer wie die beiden Nelsons zum Beispiel – Vater Don und Sohn Donn –, die als Denker und Lenker der Dallas Mavericks von dem 20-Jährigen derart beeindruckt waren, dass sie ihn in die NBA holten. Und die in Kauf nahmen, sich den Spott von tausenden von Neunmalklugen einzuhandeln.
Mir war ziemlich lange nicht klar, ob diese Kassette womöglich nur in meiner Phantasie existiert und ich mir stattdessen nach guter alter Reporter-Sitte auf einem Block Notizen gemacht hatte. Aber ich konnte auch keinen Block finden (kein Wunder, denn auch davon besitze ich mehr als genug, und auch die wurden noch nie katalogisiert).
Ich fand jedoch beim Grübeln eine Erklärung für meine löchrige Erinnerung an die damalige Unterhaltung. Mein Gesprächspartner war zwar nicht irgendwer, sondern ein Sportler mit einer guten Leistungsprognose, der wenige Wochen zuvor den Sprung in die große weite Welt riskiert hatte. Aber dieser Mensch, der mir da gegenübersaß, beantwortete Fragen zu seiner beruflichen Entscheidung auf eine Weise, die keinen bleibenden Eindruck hinterließ.
Ich vermutete, dass dies kein Zufall war. Seine Art der Selbstdarstellung wirkte so, als sei sein Verhalten der Intention entsprungen: Nicht viel reden. Nicht viel sagen. Und vor allem nicht viel verraten. Sich einkapseln in eine Idee von Privatsphäre, die dem Hunger der Medien nach Informationen deutlich entgegenlief. Eine Haltung, die er Jahre später zur Premiere des Dokumentarfilms Nowitzki – Der perfekte Wurf noch einmal durchblicken ließ. Er hatte beim Dreh bewerkstelligt, dass ihm die Filmemacher „nicht ständig in die Unterhose gekrabbelt“ waren, sagte er dem Stern, weil er „Aufmerksamkeit nicht so mag“ („Halbnackt am Strand von Fans umringt zu werden, ist nicht sein Ding“) und hatte sich hinreichend abschirmen können.
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