Eines Morgens war ich emotional am Ende. Ich hatte das Gefühl, dass jedes Einzelne meiner Kinder und auch mein Mann etwas von mir wollten. Ich hatte keine Kraft mehr, um noch irgendjemandem zu helfen. Plötzlich tauchte das Muttermonster auf: In einem Versuch, noch ein wenig Kontrolle zu behalten, begann ich zu schreien. Wenn ich ehrlich bin, trat dieses Monster in den Jahren, in denen ich meine Kinder aufzog, öfter zutage, als mir lieb ist.
Wünsche ich, ich könnte die Zeit zurückdrehen und in diesen Situationen anders reagieren? Ja, natürlich. Kann ich die Zeit zurückdrehen? Nein. Das kann ich nicht. Und Sie können es auch nicht. Demut ermöglicht uns einen anderen Blick auf diese unvollkommenen Momente, die wir alle hatten.
Wenn wir mit den Schuldgefühlen nicht richtig umgehen, wecken sie einen ungesunden Wunsch, unsere Fehler »wiedergutzumachen«. Das tut Beziehungen überhaupt nicht gut. Dadurch haben wir ständig das Gefühl, den Menschen, an denen wir irgendwie versagt haben, etwas schuldig zu sein. Aber Demut hilft uns zu sagen: »Wir machen alle Fehler. Keiner von uns ist vollkommen. Ich habe mein Möglichstes getan und ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Ich schulde vielleicht jemandem eine Entschuldigung, aber mehr nicht.«
Ob Sie es glauben oder nicht: Schuldgefühle sind eigentlich ein Nebenprodukt des Egos. Demut hilft uns, unser Ego nicht zu ernst zu nehmen. Das lateinische Wort für Demut, humilitas, bedeutet »niedrig oder der Erde nahe«. Wenn wir dem Erdboden nahe sind, also geerdet sind, fallen wir nicht so leicht um. Wir stehen fest in dem, wer wir sind, wem wir gehören und auf wen wir zugehen. Eine geerdete, demütige Person sucht keine Anerkennung, weil sie Frieden hat über ihren Wert, den sie in Gottes Augen hat. Demut hilft, uns von den Mama-Schuldgefühlen zu befreien, die uns gefangen halten wollen.
»Fehler« können unser Selbstvertrauen sabotieren. Unsere »unvollkommene« Seite tritt öfter zutage, als uns lieb ist. Wenn wir auf unsere Erziehungsjahre zurückblicken, fungiert die Perfektionskrankheit sozusagen als Vergrößerungsglas. Unser Versagen wird vergrößert dargestellt, während unsere Erfolge in unserer Erinnerung immer kleiner werden oder sogar ganz fehlen. Doch wenn wir aus diesen Situationen lernen, baut das unser Selbstvertrauen auf.
Wir können lernen, uns mit Gottes Augen zu sehen, da wir wissen, dass seine Gnade dort mächtig ist, wo wir versagt haben. Seine Gnade überwindet unsere Unvollkommenheiten. Das schenkt uns neues Selbstvertrauen.
Wahres Selbstvertrauen ist im Grunde Gottvertrauen. Es geht dabei nicht so sehr um den Glauben an uns selbst als vielmehr um den Glauben an das, was Gott durch uns getan hat und tut. Es geht darum, dass wir lernen, uns selbst nicht immer einzureden: »Ich kann nicht.« Vielmehr sollten wir uns bewusst machen: »Gott kann!« Im Rückblick können wir aus dem »Ich habe nicht« ein »Gott hat« machen.
Ich habe meine Tochter Erica in ihrer Kindheit nicht nur einmal, sondern sogar zweimal vergessen. Einmal habe ich sie nach der Schule vom Training nicht abgeholt und einmal habe ich sie nach dem Sportunterricht vergessen. Beide Male habe ich mich entschuldigt und um Vergebung gebeten. Gott hat diese Fehler benutzt, um mein Mädchen zu lehren, was es heißt, sich zu entschuldigen und zu vergeben. Das ist ein Beispiel für »Ich habe nicht«, aber »Gott hat«.
Erica hatte während ihrer Schulzeit geistliche und psychische Probleme. Sie beschreibt ihre Probleme und den Umgang ihrer Schule und Jugendgruppe mit ihrer Rebellion folgendermaßen: »Mama, in mir brannte ein Feuer. In der Kirche und in der Schule hat man mir nur gesagt, dass ich ›Rauch verbreite‹. Aber du und Papa habt versucht herauszufinden, was dieses Feuer in mir auslöste. Ihr habt tiefer gesehen.« Erica zu erziehen, war nicht leicht, aber in diesem Fall haben wir es anscheinend richtig gemacht. Und sicher gab es auch andere Situationen, in denen wir richtig gehandelt haben, auch wenn unsere Kinder uns das nicht gesagt haben. Ja, viele Fehler, aber auch viele Erfolge.
Das Gegenmittel Selbstvertrauen erlaubt uns zu sehen, wie Gott uns geführt hat, wie er unsere Mängel ausgefüllt und wie er unsere Fehler benutzt hat. Wenden Sie den Blick von sich selbst ab und richten Sie ihn auf Gott. Selbstvertrauen schenkt uns die Freiheit, den unvollkommenen Menschen, der wir sind, anzunehmen, da wir wissen, dass Gott in uns und in unseren inzwischen erwachsenen Kindern immer noch am Werk ist!
Unsere Sehnsucht, im Leben »perfekt« zu sein, zwingt uns, es immer wieder zu versuchen. Wir haben versucht, unseren Kindern die bestmögliche Mutter zu sein. Wir versuchen jetzt, die bestmögliche Mutter unserer erwachsenen Kinder zu sein. Wir reden uns vielleicht ein, wir hätten mehr Erfolg, wenn wir uns ein wenig mehr anstrengen würden. Selbstverständlich müssen wir unser Bestes geben und das Bestmögliche anstreben, aber Perfektion gibt es nicht. Es ist dringend nötig, dass wir die Gnade annehmen und zur Ruhe finden.
Wenn wir Strafe verdienen, aber stattdessen Barmherzigkeit erfahren, ist das Gnade. Gnade bildet den Mittelpunkt unserer Beziehung zu Gott. Gottes Gnade müssen wir uns nicht verdienen. Wir bekommen sie geschenkt. Wir müssen das Geschenk der Gnade nur annehmen.
In menschlichen Beziehungen bedeutet Gnade, dass wir anderen erlauben, menschlich zu sein und Fehler zu machen, und dass wir sie nicht für jede Kleinigkeit kritisieren, die sie falsch oder anders als wir gemacht haben. Manchmal vergeuden wir so viel Zeit und Energie damit, an den kleinsten Kleinigkeiten bei unserem Mann, unseren Kinder, Freunden und Nachbarn herumzunörgeln. Wir ziehen voreilige Schlüsse über Menschen, die wir nicht kennen. Wie würde unser Leben aussehen, wenn wir Verurteilung durch Gnade ersetzen würden? Welche Freiheit würden wir erleben, wenn wir Gnade schenken, statt Urteile zu verhängen? Damit sollten wir bei uns selbst anfangen.
Es ist so wichtig, dass wir Schuldgefühle durch Gnade ersetzen. Was würde passieren, wenn Sie beim nächsten Mal, wenn Sie sich an einen Fehler erinnern, zu sich sagen: »Ich war nicht perfekt, das stimmt. Jeder macht Fehler. Deshalb bin ich gnädig zu mir und gehe weiter«? Das ist alles. Sie machen sich nicht selbst fertig. Sie spielen die Situation nicht ständig im Kopf durch. Sie lassen sich nicht von einer Stimme in Ihrem Kopf beschimpfen. Können Sie sich vorstellen, mit welcher Freiheit Sie dann nach vorne gehen?
Gott sieht uns mit Augen der Gnade. Seine Botschaft ist: Hör auf, dich fertigzumachen und in deinen Fehlern zu leben. Lebe stattdessen in meiner Gnade. Ich liebe dich so, wie du bist. Du brauchst nicht »vollkommen« zu sein. Komm und suche zuerst in einer authentischen Beziehung zu mir und dann in einer authentischen Beziehung zu anderen Menschen Freiheit.
Wir müssen eine Entscheidung treffen: Die Entscheidung, uns selbst und anderen zu vergeben. Gnade verlangt Vergebung. Wenn wir wünschen, wir könnten »es wiedergutmachen«, oder auf die Situationen zurückblicken, in denen wir »gelernt« haben (vergessen Sie nicht: Wir sprechen nicht von Fehlern!), ist es vermutlich nötig, dass wir uns entscheiden, uns zu vergeben. Das Schlüsselwort hier ist entscheiden. Uns ist vielleicht nicht nach Vergebung zumute. Wir müssen uns entscheiden, uns selbst zu vergeben.
Wir sind nicht perfekt. Wir hatten in der Situation nicht das Wissen, anders damit umzugehen; deshalb werden wir daraus lernen und in unserem Kopf und in unserem Herzen nach vorne gehen. Wenn wir eine Situation im Rückspiegel betrachten, sehen wir sie durch eine andere Brille und in einem anderen Kontext als damals, als wir mitten in dem Schlamassel steckten. Wenn wir das verstehen, fällt es uns leichter, uns zu vergeben.
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