N. Wie? Und die „schönen Seelen“?
R. Die Natur schuf sie, aber euere Einrichtungen verderben sie.
N. Vor einer Liebesgeschichte wird man also lesen: „Von Jean Jacques Rousseau, Bürger von Genf."
R. Bürger von Genf? Nein, das nicht. Ich profanire den Namen meines Vaterlandes nicht! den setze ich nur auf Schriften, die ihm meiner Meinung nach zur Ehre gereichen können.
N. Sie haben selbst einen Namen, der nicht ungeehrt ist und Sie haben auch etwas zu verlieren. Sie schicken ein schwaches und plattes Buch in die Welt, das Ihnen schaden wird. Ich möchte Sie davon abhalten; wenn Sie aber einmal die Dummheit begehen, so finde ich es gut, daß Sie es offen und ehrlich thun; Sie werden wenigstens Ihrem Charakter hierin treu sein. Aber, apropo s, werden Sie auch Ihre Devise [Vitam impendere vero. ,,Das Leben dem Dienste der Wahrheit opfern"; s. z. B. „Bekenntn. Th. 9. S. 11 Anm. D. Ueb.] auf das Buch setzen?
R. Mein Buchhändler hat schon diesen Scherz gemacht, und ich habe ihn so gut gefunden, daß ich versprochen habe, ihn ihm zu lassen. Nein, mein Herr, ich werde meine Devise nicht auf das Buch setzen, aber ich werde sie deshalb nicht aufgeben und es ist mir weniger als je leid, daß ich sie angenommen habe. Erinnern Sie sich, daß ich schon daran dachte, diese Briefe drucken zu lassen, als ich gegen die Schauspiele schrieb und daß ich mich nicht habe verleiten lassen, um die eine dieser Schriften zu entschuldigen, der Wahrheit der anderen Abbruch zu thun. Ich habe mich selbst zum Voraus vielleicht schärfer getadelt, als es sonst Jemand thun wird. Wer die Wahrheit höher hält als seinen Ruhm, darf von sich erwarten, daß er sie auch höher halten werde als das Leben, Sir verlangen, daß man stets konsequent sei; ich glaube nicht, daß dies dem Menschen möglich ist; aber möglich ist ihm, daß er stets wahr sei. Und das zu sein, ist mein Bestreben.
N. Warum also, wenn ich Sie frage, ob Sie der Verfasser dieser Briefe sind, weichen Sie meiner Frage aus?
R. Eben deshalb, weil ich nicht lügen will.
N. Aber Sie weigern sich doch auch, die Wahrheit zu sagen.
R. Und auch dies heißt der Wahrheit die Ehre geben, wenn man erklärt, daß man sie verschweigen wolle: Sie würden leichteren Kaufs bei einem Manne davon kommen, der Sie belügen wollte. Uebrigens täuschen sich denn die Geschmacksrichter über die Feder eines Verfassers? Wie? Scheuen Sie sich nicht, eine Frage aufzuwerfen, deren Entscheidung Ihre Sache ist?
N. Ich möchte sie in Betreff einiger Briefe allerdings für entschieden halten; die, welche ich meine, sind sicherlich von Ihnen; aber in den übrigen erkenne ich Sie nicht, und ich zweifle daran, daß man sich so verstellen könne. Die Natur, die nicht zu besorgen hat, daß man sie verkenne, nimmt bisweilen ein fremdartiges Ansehen an, und die Kunst verräth sich oft dadurch, daß sie natürlicher sein will als jene; Sie erinnern sich des Grunzers in der Fabel, der die Stimme des Thieres besser von sich qiebt als das Thier selbst. In Ihrer Sammlung sind eine Menge so ungeschickter Sachen, daß der elendeste Sudler sie vermieden hätte: Wortschwall, Weitschweifigkeiten, Widersprüche, ewiges Wiederkäuen derselben Gedanken. Welcher Mensch, der fähig ist, es besser zu machen, könnte sich entschließen, es so schlecht zu geben? Giebt es Jemanden, der den anstößigen Vorschlag hätte stehen lassen, den dieser verrückte Eduard Julien macht? Oder der nicht die Lächerlichkeit vermieden hätte, daß Ihr liebes Männchen immerfort sterben will und alle Welt fleißig davon benachrichtigt, zuletzt aber sich stets bei bestem Wohlsein befindet? Oder der sich nicht von vorn herein gesagt hätte: man muß die Charaktere scharf unterscheiden und jeden in seinem Style sprechen lassen? Unfehlbar würde er es bei diesem Vorhaben besser gemacht haben als die Natur selbst.
Bei einem sehr innigen Umgang, habe ich bemerkt, nähern sich die Menschen einander im Styl wie im Charakter und Freunde verschmelzen mit dem Verschmelzen ihrer Seelen auch ihre Art zu denken, zu fühlen und zu reden. Diese Julie muß, so wie sie ist, ein bezauberndes Geschöpf sein; Alles, was ihr naht, muß ihr ähnlich, Alles um sie her muß Julie werden; alle ihre Freunde müssen nur einen und denselben Ton haben. Das sind Dinge, die sich wohl fühlen, aber nicht erfinden lassen. Wenn sie Jemand ersonnen hätte, würde er sie nicht niederzuschreiben wagen: er braucht vielmehr Züge, die sich der Menge aufdrängen; was durch seine Feinheit wieder einfach wird, paßt ihm nicht. Gerade in solchen Dingen ist der Stempel der Wahrheit; in ihnen sucht und findet ein aufmerksames Auge die Natur.
R. Nun, und was folgern Sie daraus?
N. Nichts. Ich zweifle, und dieser Zweifel hat mich, beim Lesen Ihrer Briefe, ich kann nicht sagen wie sehr gequält. Gewiß, wenn Alles nur Dichtung ist, so haben Sie ein schlechtes Buch gemacht. Sagen Sie aber: diese beiden Frauen haben gelebt! und ich lese diese Sammlung alle Jahre bis an mein Ende.
R. Und wenn sie gelebt haben, was hilft's? Sie würden sie doch vergeblich auf der Erde suchen: sie sind nicht mehr.
N. Sie sind nicht mehr? Also waren doch?
R. Bedingungsweise, ja. Gesetzt, sie waren, so sind sie nicht mehr.
N. Unter uns, gestehen Sie, daß mit solchen kleinen Subtilitäten mehr ausgesagt als in Zweifel gestellt wird.
R. Nein, ich stelle sie, wie ich sie stellen muß, um mich weder zu verrathen noch zu lügen.
N. Wahrhaftig, stellen Sie sich wie Sie wollen, man wird Sie wider Ihren Willen errathen. Sehen Sie denn nicht, daß schon Ihr Titel allein Alles sagt?
R. Ich sehe, daß er über den fraglichen Punkt nichts sagt: denn wer kann wissen, ob ich in der Handschrift den Titel so gefunden oder ob ich ihn gemacht habe? wer kann sagen, ob ich mich nicht in dem nämlichen Zweifel befinde wie Sie, ob dieser ganze Anstrich von Heimlichthun nicht vielleicht eine Finte ist, um Ihnen meine eigene Unwissenheit über das, was Sie gern wissen wollen, zu verbergen?
N. Aber genug, Sie kennen die Orte; Sie sind in Vevay, sind im Waadtlande gewesen; wie?
R. Mehrmals, und ich kann Ihnen sagen, daß ich daselbst nie von einem Baron von Étange oder der Tochter eines solchen gehört habe. Der Name Wolmar ist dort nicht im Entferntesten bekannt. Ich bin in Clarens gewesen, aber ich habe dort kein solches Haus gesehen, wie es in den Briefen beschrieben wird. Ich habe, als ich aus Italien zurückkam, das Jahr des traurigen Ereignisses selbst dort zugebracht und man beweinte dazumal keine Julie von Wolmar, oder eine ihr ähnliche Person, soviel ich weiß. Endlich noch habe ich, soweit ich mich der Gegend erinnern kann, in diesen Briefen Ortsverwechslungen und topographische Irrthümer bemerkt, sei es nun, daß der Verfasser nicht recht Bescheid wußte oder daß er seine Leser geflissentlich irre führen wollte. Das ist Alles, was Sie von mir über diesen Punkt erfahren können, und seien Sie überzeugt, daß Andere mir nicht ablocken werden, was ich Ihnen nicht habe sagen wollen.
N. Alle Welt wird meine Neugier theilen. Wenn Sie dieses Werk bekannt machen, sagen Sie wenigstens dem Publikum, was Sie mir gesagt haben. Noch mehr; schreiben Sie unsere Unterredung auf und stellen Sie sie als Vorrede voran: es liegen alle nöthigen Aufklärungen darin.
R. Sie haben Recht; es ist mehr werth, als was ich aus meinem Kopfe gesagt haben würde. Uebrigens aber richtet man mit derartigen Apologien nichts aus.
N. Nein! wenn man sieht, daß der Verfasser sich darin schont. Aber ich habe dafür gesorgt, daß man an dieser diesen Fehler nicht finden wird. Nur würde ich Ihnen rathen, die Rollen zu vertauschen. Stellen Sie es so dar, als ob ich in Sie dränge, die Sammlung bekannt zu machen und Sie sich dagegen sträubten. Geben Sie sich die Einwürfe und mir die Antworten. Das wird bescheidener sein und wird mehr Effect machen.
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