Einer der Redakteure, der mit seiner Arbeit fertig war, nahm jetzt ebenfalls ein Bilboquet aus dem Schrank. Es war ein winziger Mensch mit einem Kindergesicht, obgleich er schon 35 Jahre zählte. Mehrere andere Journalisten kamen auch herein und gingen einer nach dem andern zum Schrank, um das Spielzeug zu holen, das ihnen gehörte. Bald waren es sechs, die mit den Rücken gegen die Wand nebeneinander standen und mit der gleichen regelmäßigen Bewegung die je nach der Holzart roten, gelben und schwarzen Kugeln in die Luft warfen. Es begann ein Wettkampf, und die beiden anderen Redakteure, die noch arbeiteten, standen auch auf, um als Schiedsrichter die Treffer zu zählen. Forestier gewann mit 11 Points. Der kleine Mann mit dem Kindergesicht hatte verloren. Er klingelte und rief dem eintretenden Boten zu: »Neun Bier!«. Dann begannen sie wieder zu spielen, in Erwartung des erfrischenden Getränks.
Duroy trank ein Glas Bier mit seinen neuen Kollegen und dann fragte er seinen Freund:
»Was soll ich jetzt tun?«
»Heute habe ich nichts mehr für dich,« erwiderte der andere, »du kannst gehen, wenn du willst.«
»Und … unser … unser Artikel, wird er noch heute abend gedruckt?«
»Ja, aber du brauchst dich darum nicht zu kümmern, ich werde die Korrektur lesen. Mache morgen den zweiten Artikel fertig und sei, wie heute, um drei Uhr hier.«
Duroy schüttelte allen die Hände, ohne die Namen der dazu gehörenden Personen zu kennen und stieg dann wieder mit frohem. Mute und leichtem Herzen die schöne Treppe hinab.
Inhaltsverzeichnis
Georges Duroy hatte schlecht geschlafen. Die Sehnsucht, seinen Artikel gedruckt zu sehen, gab ihm keine Ruhe. Schon bei Tagesanbruch stand er auf und ging in den Straßen herum, lange bevor die Zeitungsträger von einem Kiosk zum andern die großen Papierbündel herumtrugen. Dann ging er zum Bahnhof, denn er wußte, daß die Vie Française dort eher eintreffen würde als in seinem Viertel. Aber es war immer noch zu früh und wieder mußte er in den Straßen auf und ab wandern.
Er sah die Zeitungshändlerin ankommen und ihr Glashäuschen aufschließen, und dann bemerkte er auch einen Mann mit einem dicken Zeitungsbündel auf dem Kopf. Er stürzte darauflos; es war der »Figaro«, der »Gil Blas«, der »Gaulois«, das »Evénements« und noch ein paar andere Morgenblätter, aber die Vie Française war nicht dabei.
Da ergriff ihn eine Furcht: »Wenn man die ‘Erinnerungen eines afrikanischen Jägers’ auf den nächsten Tag verschoben hätte oder womöglich hätten sie im letzten Augenblick Vater Walter mißfallen?«
Als er nach dem Kiosk zurückkehrte, sah er, daß man jetzt das Blatt verkaufte, ohne daß er es hatte bringen sehen. Er stürzte darauf, warf drei Sous hin, entfaltete die Zeitung und las das Inhaltsverzeichnis auf der ersten Seite rasch durch. — Nichts. — Sein Herz begann heftig zu klopfen. Er schlug die zweite Seite auf und las in heftiger Erregung unter einer Spalte dick gedruckt: »Georges Duroy.« Also doch. Welche Freude!
Ganz verwirrt, den Zylinder aufs Ohr gedrückt, die Zeitung in der Hand, ging er los. Er fühlte ein Verlangen, die Passanten anzuhalten und ihnen zu erklären: »Kaufen Sie sich das, kaufen Sie sich das. Da steht ein Artikel von mir!« — Am liebsten hätte er wie die Straßenhändler abends auf den Boulevards aus voller Kehle geschrien: »Lest die Vie Française, lest den Artikel von Georges Duroy, Erinnerungen eines afrikanischen Jägers«.
Und plötzlich empfand er das Bedürfnis, selbst den Artikel zu lesen, und zwar öffentlich in irgendeinem Café, wo alle es sehen konnten. Er wollte ein besuchtes Lokal finden; er mußte aber lange suchen, bis er endlich an eine Weinschenke kam, wo sich schon einige Gäste befanden. Er bestellte sich einen Rum in einem Tone, als ob er einen Absinth bestellt hätte, ohne an die Tageszeit zu denken. Dann rief er: »Kellner, geben Sie mir die Vie Française.«
Ein Mann mit weißer Schürze eilte herein. »Wir haben sie nicht, mein Herr, wir bekommen nur ‘Le Rappel’, ‘Le Siecle’, ‘La Lanterne’ und ‘Le Petit Parisien’.«
Duroy erwiderte wütend und entrüstet: »Das ist eine nette Bude; kaufen Sie mir das Blatt sofort.«
Der Kellner lief hinaus und brachte die Zeitung. Duroy begann seinen Artikel zu lesen, ein paarmal sagte er dabei ganz laut: »Vortrefflich, ausgezeichnet«, um die Aufmerksamkeit seiner Nachbarn auf sich zu lenken und ihnen den Wunsch einzuflößen, auch zu wissen, was im Blatte stand. Dann ließ er es auf dem Tisch liegen und ging fort. Der Wirt merkte es:
»Mein Herr, mein Herr, Sie haben Ihre Zeitung vergessen.«
Duroy antwortete: »Ich lasse sie Ihnen, ich habe sie schon gelesen. Übrigens steht heute etwas sehr Interessantes drin.«
Er nannte seinen Artikel nicht, aber er sah, als er fortging, wie einer der Gäste die Zeitung vom Tisch nahm.
Er dachte nach: »Was soll ich jetzt anfangen?« Und er entschloß sich, auf sein Bureau zu gehen, sich sein Gehalt zu holen, und seinen Abschied zu nehmen. Er zitterte im voraus vor Freude bei dem Gedanken an das Gesicht, das sein Chef und seine Kollegen machen würden. Vor allem freute ihn die Aussicht, seinen Vorgesetzten wütend zu machen.
Er ging langsam, um nicht vor halb zehn an Ort und Stelle zu sein, denn die Kasse wurde erst um zehn geöffnet.
Sein Bureau war ein dunkles, großes Zimmer, in dem man im Winter fast den ganzen Tag Gas brennen mußte. Die Fenster gingen auf einen engen Hof, gegenüber lagen andere Bureaus. In dem seinen arbeiteten acht Angestellte und der Vorgesetzte, der in der Ecke hinter einem Wandschirm saß.
Duroy ging zuerst, seine 118 Francs und 25 Centimes abzuholen, die in einem gelben Briefumschlag in der Schublade des Kassierers bereitlagen. Dann trat er übermütig und triumphierend in den Arbeitsraum, wo er so manchen Tag verbracht hatte. Kaum war er eingetreten, da rief ihn sein Vorgesetzter, Herr Potel:
»Ach, Sie sind es, Herr Duroy? Der Chef hatte mehrfach nach Ihnen gefragt. Sie wissen doch, daß es nicht gestattet ist, zwei Tage nacheinander krankheitshalber ohne ärztliches Attest fortzubleiben.«
Duroy stand mitten im Zimmer und bereitete seine Überraschung vor. Er antwortete mit lauter Stimme:
»Ich pfeife darauf, wahrhaftig!«
Unter den Beamten schlug das wie eine Bombe ein, und das verblüffte Gesicht des Herrn Potel tauchte über dem Wandschirm auf, der ihn wie ein Kasten umgab. Er litt an Rheumatismus und hatte sich aus Furcht vor Zugluft dahinter verbaut. Er hatte nur zwei Löcher durch das Papier gebohrt, um sein Personal zu überwachen.
Es war so still, daß man die Fliegen summen hörte. Endlich fragte der Vorsteher zögernd:
»Was sagten Sie?«
»Ich sagte, ich pfeife darauf. Ich komme heute nur, um meine Entlassung zu nehmen. Ich habe eine Stellung als Redakteur der Vie Française angenommen mit 500 Francs monatlichem Gehalt und besonderem Zeilenhonorar. Heute früh wurde schon mein erster Artikel veröffentlicht.
Er hatte sich zwar vorgenommen, das Vergnügen in die Länge zu ziehen, konnte jedoch nicht dem Drange widerstehen, ihnen alles auf einmal an den Kopf zu werfen. Übrigens war die Wirkung großartig; niemand wagte einen Ton von sich zu geben.
Darauf erklärte Duroy:
»Ich werde Herrn Perthuis benachrichtigen und mich dann verabschieden.«
Damit ging er zum Bureauchef. Als dieser ihn erblickte, rief er aus:
»Ah, da sind Sie, Sie wissen doch, ich wünsche nicht …«
Duroy unterbrach ihn:
»Sie können sich Ihr Geschrei ersparen …«
Herr Perthuis, ein dicker Mann, dessen Gesicht rot wie ein Hahnenkamm wurde, erstickte fast vor Überraschung. Duroy fuhr fort:
»Ich habe genug von Ihrer Bude, heute morgen habe ich mich als Journalist eingeführt und bereits eine glänzende Stellung gefunden. Ich empfehle mich!«
Читать дальше