– Nein, Du bringst doch andere her!
– Ich schwöre es Dir!
– Ist es auch wahr?
– Die reine Wahrheit. Ehrenwort, es soll unsere Wohnung sein, nur unsere.
Sie umarmte ihn plötzlich überglücklich:
– Gut, Schatz! Dann bin ich einverstanden, aber wenn Du mich einmal hintergehst, nur einmal, dann ist es aus!
Er verschwor sich nochmals mit Entrüstung. Dann kamen sie überein, daß er am selben Tage einziehen sollte, damit sie ihn sehen könne, wenn sie vorbeiginge.
Darauf sagte sie:
– Du mußt jedenfalls Sonntag zu uns zum Essen kommen. Mein Mann findet Dich reizend.
Das schmeichelte ihm:
– Wirklich?
– Ja, Du hast ihn ganz gewonnen. Und dann höre mal, Du hast mir doch gesagt, daß Du in einem Schlosse auf dem Lande erzogen worden bist, nicht wahr?
– Ja, warum denn?
– Da mußt du doch so ein bißchen was von Landwirtschaft verstehen.
– Ja!
– Weißt Du, da sprich doch mit ihm von Landbestellung und Saaten, das liebt er sehr!
– Gut, ich will dran denken.
Sie verließ ihn, nachdem sie ihn stürmisch umarmt, denn dieses Duell hatte sie ganz rasend gemacht.
Und Duroy dachte, als er in die Redaktion ging:
– Sie ist doch ein wunderliches Ding. Was will sie nun eigentlich? Was liebt sie? Wie hat bloß dieser würdige Eisenbahnbeamte so ein Studentenmädel heiraten können! Es ist wirklich ein Wunder. Aber, wer weiß, vielleicht war es doch die Liebe?
Und der Schluß seines Gedankenganges war: – Jedenfalls ist sie ein reizendes, kleines Verhältnis, und ich müßte schön dumm sein, sie nicht zu behalten!
Inhaltsverzeichnis
Das Duell hatte Duroy zum selbständigen Feuilletonisten der ›Vie francaise‹ gemacht. Aber da es ihm unendlich sauer ward, Gedanken zu finden, so machte er sich eine Spezialität daraus, über den Verfall der Sitten zu klagen, über den Niedergang der Charaktere, das Erlahmen des Patriotismus und die Blutarmut des französischen Ehrgefühls.
Das Wort Blutarmut hatte er erfunden und war stolz darauf.
Und wenn Frau von Marelle, die jenen kecken, satirischen, beißenden Witz besaß, den man Pariser » esprit « nennt, ihre Glossen zu seinen Salbadereien machte, meinte er lächelnd:
– Ach was, das macht mir einen guten Ruf für später.
Er wohnte jetzt in der Rue de Constantinople, wohin er seinen Koffer geschafft hatte, seine Zahnbürste, Rasiermesser und Seife, denn darin bestand sein ganzer Umzug. Zwei-oder dreimal wöchentlich kam die junge Frau, ehe er aufgestanden war, entkleidete sich in einer Minute und glitt noch zitternd von der Kälte, die draußen war, in sein Bett.
Duroy dagegen aß jeden Donnerstag bei dem Ehepaar und machte dem Mann den Hof, indem er mit ihm von Landwirtschaft sprach; und da er selbst dieses Thema liebte, vertieften sie sich beide manchmal derartig in das Gespräch, daß sie ganz ihre gemeinsame Frau vergaßen, die auf dem Sofa eingeschlafen war.
Die kleine Laura schlief auch bisweilen ein, bald auf des Vaters Schoß, bald auf des Lieblings Knieen.
Und wenn der Journalist gegangen war, verfehlte Herr uon Marelle nicht, mit lehrhaftem Ton, den er bei den geringfügigsten Dingen anwendete, zu sagen: –Der junge Mann ist wirklich sehr angenehm, er ist sehr unterrichtet.
Der Februar ging zu Ende. Es duftete schon ab und zu nach Veilchen auf der Straße, wenn man morgens an den kleinen Wägelchen der Blumenhändlerinnen vorüberging.
Duroy hing der Himmel voller Geigen.
Da fand er eines Nachts, als er heimkehrte, einen Brief vor, den man ihm unter der Thür durchgeschoben. Er sah nach dem Poststempel: »Cannes!« Er öffnete den Brief und las:
»Cannes, Villa Jolie.
Mein lieber Freund! Sie haben mir gesagt, daß ich in jeder Beziehung auf Sie rechnen könnte. Nun muß ich Sie um einen schmerzlichen Dienst bitten, nämlich hierherzukommen und mich nicht allein zu lassen bei den letzten Augenblicken Karls, der im Sterben liegt. Vielleicht überlebt er die Woche nicht mehr, obgleich er noch auf ist. Der Arzt hat mich darauf vorbereitet.
Ich habe nicht mehr die Kraft und nicht mehr den Mut, dies langsame Sterben Tag und Nacht mit anzusehen, und mit Entsetzen denke ich an die letzten Augenblicke, die immer näher rücken. Ich kann nur Sie darum bitten, da mein Mann keine Familie hat. Sie waren sein Freund, und er hat Ihnen zu Ihrer Stellung verholfen. Kommen Sie, ich flehe Sie darum an. Ich habe niemand, den ich rufen könnte. Ihre aufrichtige Freundin
Magdalene Forestier.«
Ein seltsames Gefühl zog wie ein Hauch in Georgs Herz. Das Gefühl der Befreiung, das Gefühl, als öffnete sich vor ihm eine unendliche Ferne. Und er murmelte:
»Ich komme. Der arme Karl, es ist doch ein Jammer!«
Der Chef, dem er den Brief der jungen Frau zeigte, gab brummend Urlaub, aber mit den Worten:
»Kommen Sie schnell zurück, Sie sind unentbehrlich.«
Duroy reiste den nächsten Tag mit dem Sieben-Uhr- Schnellzug nach Cannes, nachdem er das Ehepaar Marelle durch ein Telegramm von seiner Abreise in Kenntnis gesetzt.
Andern Tages traf er um vier Uhr nachmittags ein.
Ein Dienstmann zeigte ihm den Weg zur ›Villa Jolie‹, die auf halber Höhe lag, in jenem Nadelwald, der mit weißen Häusern besäet ist, und der sich vom Cannes bis zum Golf Juan zieht.
Das Haus war klein und niedrig, in italienischem Villenstil erbaut, und lag an der Straße, die im Zick-Zack zwischen den Bäumen emporführt, und von der man bei jeder Kehre eine wundervolle Aussicht genießt.
Der Diener öffnete und rief:
»Ah, Herr Duroy, die gnädige Frau erwartet Sie mit Ungeduld.«
Duroy fragte:
»Wie geht es Herrn Forestier?«
»Ach, nicht gut, er wirds nicht mehr lange machen.«
Der Salon, in den der junge Mann trat, war rot mit blauem Muster, das hohe breite Fenster hatte die Aussicht auf Stadt und Meer.
Duroy brummte:
»Donnerwetter, das ist aber fein für ein Landhaus. Wo nehmen die bloß in aller Welt das Geld her.«
Er hörte ein Kleid rauschen, sodaß er sich umwandte.
Frau Forestier streckte ihm beide Hände entgegen:
»Das ist nett von Ihnen, daß Sie gekommen sind.«
Und plötzlich umarmte sie ihn; dann blickten sie sich an, Sie war ein wenig magerer, blasser, sah aber frisch wie immer aus, vielleicht noch hübscher und zarter als sonst. Sie sagte:
»Es ist furchtbar, er weiß, daß er verloren ist und er tyrannisiert mich jetzt. Ich habe ihm gesagt, daß Sie kommen würden. Aber wo ist denn Ihr Koffer?«
Duroy antwortete:
»Den habe ich auf der Bahn gelassen. Ich wußte ja nicht in welchem Hotel ich absteigen sollte, um in Ihrer Nähe zu sein.«
Sie zögerte, dann sagte sie:
»Sie wohnen natürlich hier in der Villa. Ihr Zimmer wartet schon auf Sie. Er kann jeden Augenblick sterben und wenn das etwa in der Nacht geschähe, wäre ich ganz allein. Ich werde Ihr Gepäck holen lassen.«
Er verbeugte sich:
»Wie Sie wünschen!«
»So, nun wollen wir hinauf gehen.«
Sie öffnete eine Thür, und Duroy gewahrte in einem Lehnstuhl in Decken eingehüllt, fahl beim rötlichen Licht der untergehenden Sonne, eine Art lebende Leiche, die ihn anblickte. Er kannte ihn kaum wieder. Er riet eigentlich mehr, daß das sein Freund sei.
Man roch förmlich im Zimmer das Fieber, Thee, Äther, Theer, diesen unerklärlichen schweren Duft der Zimmer, in denen ein Lungenkranker atmet.
Forestier hob mühsam die Hand und sagte langsam:
»Da bist Du ja, Du bist gekommen mich sterben zu sehen. Ich danke Dir.«
Duroy that, als nähme er es nicht ernst:
»Dich sterben zu sehen? Na, das war nicht sehr spaßig. Dazu bin ich doch nicht gerade nach Cannes gekommen. Ich will Dir bloß guten Tag sagen und mich ein wenig ausruhen.«
Читать дальше