Duroy hatte seinen Gang verlangsamt, seine Kehle war wie ausgetrocknet und das dringende Bedürfnis etwas zu trinken quälte ihn.
Ein brennender Durst, wie er sich an heißen Sommerabenden einstellt, hielt ihn gefangen, und er dachte immer wie wundervoll erquickend es doch wäre, wenn ihm das kalte Getränk durch die Kehle laufen würde. Aber wenn er an diesem Abend auch nur zwei Glas Bier trank, mußte er auf sein mageres Abendbrot morgen verzichten. Und die Hungerqualen der letzten Tage des Monats kannte er zu genau.
Er sagte sich: bis zehne muß ich mich hinschleppen, dann trinke ich im Americain mein Bier. Gott verdamm mich noch mal, hab’ ich einen Durst!
Und er betrachtete all die Menschen, die dort an den Tischen saßen und tranken, all diese Menschen, die ihren Durst löschen konnten, soviel sie nur mochten. Wenn er an den Cafés vorüberkam, nahm er eine renommistische kecke Haltung an, und mit einem Blick taxierte er nach Aussehen und Kleidung die einzelnen Leute, die da ruhig saßen. Wenn man ihnen die Taschen leerte, würde man schon Gold finden, Silber und Kupfer; durchschnittlich hatte Wohl jeder gewiß zwei Zwanzig-Frankenstücke bei sich. In dem Café saßen mindestens hundert, hundert mal zwei Zwanzig-Frankenstücke das gab viertausend Franken. Er brummte in sich hinein: Schweinebande! und wiegte sich in den Hüften. Wenn er nur an der Straßenecke im Dunkeln einen von den Kerls hätte anhalten können, dem hätte er den Hals umgedreht, weiß der Teufel, ohne irgend welche Gewissensbisse, wie er’s früher im Manöver mit den Hühnern beim Bauer gethan.
Und er dachte an die beiden Jahre, die er in Afrika gestanden, wie er damals in den kleinen Garnisonen im Süden die Araber ausgeplündert. Ein grausam-lustiges Lächeln lief über seine Züge, als er sich eines tollen Streiches erinnerte, der drei Mann des Stammes der Ouled-Alane das Leben gekostet und ihm wie seinen Kameraden zwanzig Hühner, zwei Schafe und eine Menge Gold eingebracht hatte, sowie Lachstoff auf mindestens ein halbes Jahr.
Die Thäter hatte man nie entdeckt, die man übrigens auch weiter nicht gesucht hatte, denn der Araber wurde mehr oder weniger als selbstverständliche Beute des Soldaten angesehen.
In Paris war das ganz was anderes. Dort konnte man nicht den Säbel an der Seite, den Revolver in der Hand, weit von jeder bürgerlichen Gerichtsbarkeit, frei wie man war, auf Plünderung ausgehen. Er fühlte sich wie ein Unteroffizier im eroberten Lande. Ach, er dachte doch mit Bedauern an die zwei Jahre zurück, die er in der Wüste zugebracht. Es war eigentlich schade, daß er nicht dort geblieben war. Aber er hatte gehofft, sich verbessern zu können, wenn er zurückkehrte. Und nun? Na, das war eine schöne Bescheerung!
Er wälzte die Zunge im Munde herum und schnalzte, als ob er die Trockenheit seines Gaumens feststellen wollte. Die Menge bewegte sich um ihn herum, matt und langsam, und er dachte immer: elendes Pack, diese ganzen Rindviecher da, haben nu Geld in der Tasche.
Er stieß die Leute beim Gehen mit der Schulter an und pfiff sich eine lustige Weise. Ein paar Herren, die er angerempelt, drehten sich schimpfend um und ein paar Frauen riefen:
– So ein Flegel!
Da kam er am Vaudeville vorbei und blieb vor dem Café Americain stehen. Er fragte sich, ob er nicht doch ein Glas Bier trinken sollte, der Durst quälte ihn zu schauderhaft. Ehe er zu einem Entschluß kam, blickte er noch einmal nach dem erleuchteten Zifferblatt der Uhren auf der Straße. Es war ein viertel auf zehn Uhr. Er kannte sich genau: wenn einmal das Glas Bier vor ihm stand, hatte er es auch schon ‘runtergeschüttet, und was sollte er dann bis elf Uhr anfangen?
Er ging weiter und sagte sich: ach, ich gehe lieber bis zur Madeleine und dann bummele ich ganz sachte zurück.
Als er an die Ecke des Opernplatzes kam, begegnete ihm ein dicker, junger Mann, dessen Gesicht er meinte schon einmal irgendwo gesehen zu haben.
Er folgte ihm und suchte in seinem Gedächtnis, indem er halblaut zu sich sagte: Teufel noch mal, wo bin ich nur dem Kerl schon mal begegnet?
Er suchte hin und her, aber es fiel ihm nicht ein. Dann plötzlich durch ein eigentümliches Spiel des Gedächtnisses stand derselbe Mann vor ihm, weniger dick, jünger, in Husarenuniform und er rief ganz laut:
– Herr Gott, Forestier!
Er verlängerte seine Schritte und klopfte dem Herrn, der vor ihm ging, auf die Schulter. Der andere drehte sich um, blickte ihn an und fragte:
– Bitte, was wünschen Sie?
Duroy fing an zu lachen:
– Was, Du kennst mich nicht mehr?
– Nein.
– Georg Duroy. Sechster Husar.
Forestier streckte ihm beide Hände entgegen:
– Alter Kerl! Wie geht Dir’s denn?
– Ausgezeichnet! Und Dir?
– Na, nicht besonders. Weißt Du, ich bin nicht ganz taktfest auf der Brust. Sechs Monate im Jahr huste ich. Das kommt von einem Bronchialkatarrh, den ich mir in Bougival jetzt vor vier Jahren, als ich nach Paris zurückkam, geholt habe.
– Aber Du siehst doch ganz gesund aus!
Und Forestier nahm den Arm seines Kameraden und erzählte ihm von seiner Krankheit, von den Konsultationen, den verschiedenen Meinungen und Reden der Ärzte. Er sagte, Wie schwierig es sei in seiner Stellung ihren Verordnungen zu folgen. Er sollte den Winter im Süden zubringen, aber das könnte er doch nicht. Er war nämlich verheiratet, Journalist und hatte eine vorzügliche Stellung.
– Ich redigiere den politischen Teil der ›Vie francaise‹ , besorge beim ›Salut‹ den Artikel Senat und schreibe ab und zu literarische Feuilletons für den ›Planeten.‹ Ja! ja! Ich habe meinen Weg gemacht.
Duroy blickte ihn erstaunt an. Er fand ihn sehr verändert, sehr viel fertiger geworden. Er hatte eine Art und Weise, Haltung und Anzug wie ein Mann in guter Stellung, der seiner selbst sicher ist und war wohlbeleibt wie jemand, der gut zu essen pflegt. Früher war er mager, dürr, gelenkig, ein Leichtfuß, ein Lärm-und Radaumacher, der immer in der Fahrt war. Und ein dreijähriger Aufenthalt in Paris hatte aus ihm einen ganz anderen Menschen gemacht, einen wohlbeleibten, gesetzten Herrn mit einigen grauen Haaren an der Schläfe, obgleich er erst siebenundzwanzig Jahre zählte.
Forestier fragte:
– Wo gehst Du hin?
Duroy antwortete:
– Nirgends. Ich bummle bloß noch einmal herum, ehe ich nach Hause gehe.
– Schön. Weißt Du was, komm’ doch mit zur Vie francaise . Ich habe nämlich Korrekturen durchzusehen Und dann trinken wir ein Glas Bier zusammen.
– Gern!
Und sie gingen Arm in Arm davon, mit jener leichten Familiarität, wie sie zwischen Schulfreunden und Regimentskameraden besteht.
– Was machst Du denn so in Paris? fragte Forestier.
Duroy zuckte die Achseln:
– Nu, ich krepiere einfach vor Hunger. Als ich meine Zeit abgerissen hatte, wollte ich hierher kommen, um – na Gott, um mein Glück zu machen oder vielmehr um eben Pariser Pflaster zu treten. Und jetzt bin ich seit anderthalb Jahren bei der Nordbahn im Bureau angestellt und kriege fünfzehn hundert Franken jährlich, keinen Deut mehr.
Forestier brummte:
– Verflucht, das ist nicht gerade viel!
– Ja, das finde ich auch. Aber was soll ich machen. Ich stehe allein, kenne niemanden, und kann mich bei niemandem in die Wolle bringen. Am Willen fehlt’s nicht, aber es geht eben nicht.
Sein Kamerad sah ihn von Fuß bis zu Kopf an, als praktischer Mann, der jemanden sofort beurteilt, und sagte dann in überzeugtem Ton:
– Weißt Du, Alter, hier hängt alles vom Auftreten ab. Ein Kerl, der ein bißchen gerissen ist, wird hier eher Minister als Büreauchef. Man muß sich einfach den Leuten aufdrängen und nicht erst groß fragen. Aber Teufel noch einmal, hättest Du nichts Besseres finden können, als eine Beamtenstelle an der Nordbahn?
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