Die Einrichtung bestand aus neuen Möbeln, wie man sie in jedem kleinbürgerlichen Haushalt vorfindet. Sie waren von guter Qualität und in einem Stil, der um 1900 als modern gegolten hätte.
Helle Eiche. Blumen in einer kunstgewerblichen Steingutvase in der Mitte des Tischs. Bestickte Zierdeckchen.
Auf einem runden kleinen Tisch allerdings ein prachtvoller silberner Samowar mit Gravuren, der allein mehr wert war als das ganze übrige Mobiliar.
Irgendwo im ersten Stock gab es ein Geräusch. Zudem weinte hinter einer Wand im Erdgeschoss ein Baby, und eine Stimme flüsterte etwas, leise und gleichförmig, um es zu beruhigen.
Schließlich gedämpfte Schritte im Korridor. Die Tür öffnete sich. Und Kommissar Maigret sah sich einer jungen Frau gegenüber, die sich eilig angezogen hatte, um ihn zu empfangen.
Sie war mittelgroß, eher füllig als mager und hatte ein hübsches, ernstes Gesicht, auf dem sich in diesem Moment eine vage Beunruhigung abzeichnete.
Dennoch lächelte sie und fragte:
»Wollen Sie nicht Platz nehmen?«
Von Maigrets Mantel, von seiner Hose, seinen Schuhen rannen Wasserfäden und bildeten kleine Pfützen auf dem gebohnerten Boden.
So konnte er sich nicht auf die weichen grünen Plüschsessel des Zimmers setzen.
»Madame Swaan, nicht wahr?«
»Ja, Monsieur …«
Sie sah ihn fragend an.
»Entschuldigen Sie die Störung … Es ist eine reine Formsache … Ich bin von der Fremdenpolizei. Wir versuchen im Moment alle Ausländer zu erfassen …«
Sie sagte nichts. Beunruhigt wirkte sie nicht mehr, gelassen aber auch nicht.
»Monsieur Swaan ist Schwede, oder nicht?«
»Pardon, Norweger … Aber für einen Franzosen macht das keinen Unterschied … Ich selbst habe am Anfang …«
»Er ist Marineoffizier?«
»Er ist Zweiter Offizier, und er fährt auf der Seeteufel, aus Bremen …«
»Stimmt … Er arbeitet also für eine deutsche Gesellschaft.«
Sie errötete ein wenig.
»Der Reeder ist Deutscher, ja … Wenigstens auf dem Papier …«
»Was heißt das?«
»Ich glaube, das brauche ich Ihnen nicht zu verheimlichen. Sie wissen bestimmt, dass die Handelsmarine seit dem Krieg in der Krise ist … Selbst hier wird man Ihnen Seekapitäne nennen, die aus Mangel an geeigneten Posten gezwungen sind, als Zweite oder Dritte Offiziere anzuheuern … Andere arbeiten auf Fischkuttern vor Neufundland und auf der Nordsee.«
Sie sprach mit einer gewissen Hast, doch mit leiser, gleichmäßiger Stimme.
»Mein Mann wollte keinen Vertrag für den Pazifik unterzeichnen, wo es mehr zu tun gibt, denn dann hätte er nur alle zwei Jahre in Europa sein können. Kurz nach unserer Heirat haben Amerikaner die Seeteufel ausgerüstet, die unter deutscher Flagge fährt … Und Olaf ist extra nach Fécamp gekommen, weil er wissen wollte, ob hier nicht noch andere Schoner zu verkaufen wären.
Sie verstehen doch … Es handelte sich um Alkoholschmuggel in die Vereinigten Staaten.
Große Gesellschaften wurden gegründet, mit amerikanischen Kapitänen. Mit Sitz in Frankreich, in Holland oder in Deutschland.
Eigentlich arbeitet mein Mann für eine dieser Gesellschaften. Die Seeteufel verkehrt auf der sogenannten Rum-Straße.
Er hat also nichts mit Deutschland zu tun.«
»Ist er jetzt gerade unterwegs?«, fragte Maigret, ohne den Blick von dem hübschen Gesicht zu wenden, das etwas Offenherziges und bisweilen sogar Rührendes hatte.
»Ich glaube nicht. Sie müssen wissen, dass sein Schiff nicht so regelmäßig fährt wie Passagierschiffe. Aber ich versuche immer herauszufinden, wo die Seeteufel gerade ist. Jetzt sollte sie in Bremen sein, oder jeden Augenblick dort einlaufen …«
»Waren Sie schon mal in Norwegen?«
»Noch nie! Ich habe die Normandie eigentlich noch nie verlassen. Nur zwei, drei Mal bin ich kurz in Paris gewesen.«
»Zusammen mit Ihrem Mann?«
»Ja … Auch auf unserer Hochzeitsreise.«
»Er ist blond, nicht?«
»Ja … Warum fragen Sie mich das?«
»Mit einem kleinen, kurz geschnittenen hellblonden Schnurrbart?«
»Ja … Ich kann Ihnen ein Bild zeigen.«
Sie öffnete eine Tür und verließ den Raum. Maigret hörte sie im Nebenzimmer auf und ab gehen.
Sie blieb länger fort, als für den angegebenen Zweck notwendig gewesen wäre. Im ganzen Haus hörte man Geräusche von sich öffnenden und schließenden Türen, ein kaum erklärbares Hin und Her.
Endlich kam sie zurück, etwas irritiert, zögernd.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Ich kann dieses Foto nicht finden … Wenn man Kinder hat, ist immer Unordnung im Haus.«
»Noch eine Frage … Wem haben Sie alles Ihr Porträtbild gegeben?«
Er zeigte ihr den Abzug, den der Fotograf ihm überlassen hatte. Madame Swaan wurde purpurrot und stotterte:
»Das verstehe ich nicht …«
»Ihr Mann hat doch sicher eins?«
»Ja. Wir waren schon verlobt, als …«
»Kein anderer Mann besitzt dieses Bild?«
Sie war kurz davor zu weinen. Ihre bebenden Lippen zeigten ihre Bedrängnis.
»Nein, keiner …«
»Ich danke Ihnen, Madame.«
Als er ging, schlüpfte ein kleines Mädchen ins Zimmer. Maigret brauchte sie nicht lange zu betrachten. Sie war das Ebenbild von Pietr dem Letten!
»Olga!«, schimpfte die Mutter und schob das Kind zu einer angelehnten Tür.
Der Kommissar war wieder im Freien, in Regen und Wind.
»Auf Wiedersehen, Madame …«
Er sah sie noch einen Moment im Türspalt und hatte das Gefühl, diese Frau, die er zu Hause überrascht hatte, hilflos in der Wärme zurückzulassen.
Es gab noch andere, subtile, undefinierbare, doch von Angst zeugende Spuren in den Augen der jungen Mutter, die jetzt die Tür schloss.
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