Eines Morgens schlug er vor, dass wir uns zusammentun und gemeinsam einen kleinen Plattenladen aufmachen sollten. Es wurde schließlich der kleinste seiner Art in ganz London. Er befand sich im Eingangsbereich der U-Bahn-Station Kilburn.
Der Name stammte von mir: Small Mercies. Ich wollte damals meine nächste Band ebenfalls Small Mercies nennen und der Plattenladen sollte mir helfen, sie zu finanzieren.
Bald schon fühlte ich mich jedoch wie ein echter Einzelhandelsunternehmer, der am Morgen seinen Laden aufschloss, den ganzen Tag dort abhing und am Abend wieder dicht machte. Mein Geschäft erfreute sich großer Beliebtheit, vor allem was unsere Dub-Reggae-Platten anging. Wir hatten etliche jamaikanische Kunden, weshalb auch dieser Laden schon bald wieder von Marihuana-Rauch umhüllt war. Das war allerdings ein Problem in einer Londoner U-Bahn-Station. Auch bei meinem Partner Ray, der jeglichen Kontakt mit der Polizei mied, kam das nicht gut an.
Die jamaikanischen Kunden und die afrikanischen Musiker inspirierten mich allerdings dazu, wieder Musik zu machen. Ein sehr großgewachsener und attraktiver Typ spielte etwa bei der Band Osibisa und lud mich zu einem gemeinsamen Jam ein. Ich fing also wieder an, Gitarre zu spielen. Diese Phase, als ich auf dem Markt arbeitete und meine Telecaster nur in der Ecke herumstand, war die längste Zeitspanne in meinem Leben, in der ich keine Gitarre anfasste.
Osibisa bedeutet „rhythmischer Mischmasch, der zur Glückseligkeit führt“. Ein treffender Name. Hier erlernte ich all diese schrägen rhythmischen Spielarten, die ich später auf Eurythmics-Platten zum Einsatz bringen sollte. Die Bandmitglieder von Osibisa kochten außerdem ganz vorzügliche afrikanische Gerichte und ich beschäftigte mich intensiv mit afrikanischer und karibischer Kultur, was meinen Horizont stärker erweiterte, als ich mir je hätte vorstellen können. Abgesehen davon erhielt ich so einen völlig neuen Eindruck von London.
Der Plattenladen kam jedoch zu einem abrupten Stillstand – genauso wie ich selbst auch, als ich in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt wurde. Es war nicht meine Schuld. Ich fuhr den kleinen Minivan, in dem wir die Schallplatten transportierten, als ein Typ aus einer Seitenstraße herausschoss und mit seinem Ford Zodiac – einer Karre, so massiv wie ein Sherman-Panzer – in mich hineindonnerte. Ich kann mich an den Zusammenstoß kaum noch erinnern. Alles, was ich noch weiß, ist, wie ich in einem Garten wieder zu mir kam und die Polizei bereits eingetroffen war. Als ich die ganzen Bobbys sah, dachte ich zuerst, sie wären gekommen, um Ray festzunehmen. Ich wurde mit dem Rettungswagen ausgerechnet ins Whittington-Krankenhaus in Highgate gebracht, wo Pam arbeitete. Auf dem Weg dorthin fiel mir ein, dass meine Taschen voll mit Ganja waren, weshalb ich unter der Decke meine Jeans öffnete und den Stoff in meine Unterhose stopfte.
Als ich im Behandlungszimmer eintraf, schnitten mir zwei Krankenschwestern die Jeans vom Leib. Ich gab vor, komplett im Delirium zu sein. Durch lautes Schreien wollte ich verhindern, dass sie mein Geheimfach entdeckten. Die Polizisten versuchten, mich zu beruhigen, indem sie mir gut zuredeten: „Alles in Ordnung, Junge. Alles wird gut. Die Mädchen machen nur ihren Job.“
In diesem Moment kam Pam zur Tür rein – einer der glücklichsten Zufälle meines Lebens. Zunächst dachte sie, ich würde mich nur schämen, mir meine Hose ausziehen zu lassen, weshalb sie mich zu beruhigen versuchte: „Alles ist gut, das ist nichts, was sie nicht schon gesehen hätten.“
Ich sagte den Schwestern und den Bullen, dass Pam meine Frau wäre und ich gerne einen Augenblick allein mit ihr wäre. Da sie sich davon erhofften, dass ich mich dann beruhigen würde, verließen alle den Raum. Daraufhin zog ich das Ganja aus meiner Unterwäsche.
Sie sagte nur: „Ach, du verdammte Scheiße.“ Als Nächstes ließ sie das Zeug in den Taschen ihrer Uniform verschwinden. Ich glaube, dass ich damit das Fass zum Überlaufen brachte. Nun brachte ich die Probleme sogar an ihren Arbeitsplatz.
Danach entwickelten wir uns zusehends auseinander. Sie freundete sich mit Barry Dransfield an, einem anderen Musiker aus unserem Freundeskreis, und ich ermutigte sie, ihre Zeit mit ihm zu verbringen. Ich schlug ihr sogar vor, dass sie mit ihm schlafen sollte, als wir alle gemeinsam etwas Zeit in einem Landhaus verbrachten. Barry trat mit seinem Bruder zusammen als die Dransfields auf und machte sich in der Folk-Szene überdies auch als Solo-Performer einen Namen. Ich war glücklich darüber, dass sie zusammen waren, wenn es das war, was sie wollten. Schließlich kam ich zu der Einsicht, dass wir vielleicht ein klein wenig zu jung gewesen waren, als wir geheiratet hatten.
Allerdings hätte Barry uns drei auch eines Abends beinahe um die Ecke gebracht. Wir tranken im Queens Pub in Crouch End, das damals wegen dort ablaufender Drogendeals berüchtigt war. Es war ein wildes Pub mit Live-Musik, wo auf den Tischen getanzt wurde. Barry und ich hatten aufgrund unseres mangelhaften Verhaltens bereits in der Railway Tavern Lokalverbot, weshalb wir nun still an unseren Biergläsern nippten und versuchten, uns unauffällig zu benehmen. Es könnte aber auch daran gelegen haben, dass wir Secanol eingeworfen hatten, eine Droge, die einen eigentlich vor chirurgischen Eingriffen ruhigstellen soll. Irgendwann beschlossen wir, zurück zu Barrys Wohnung zu gehen, um zu kiffen. Ich lud meinen Kumpel Dave Mahoney ein, sich uns anzuschließen. Dave war ein hervorragender Saxofonist, aber auch besessen von Heroin und Morphium. Eigentlich war er von jeder Droge besessen.
Als wir aufbrachen, sah ich, dass Barry noch eine Secanol einwarf. Ich sagte zu ihm, dass er unter Einfluss von Pillen und Alkohol nicht fahren sollte. Er meinte aber, dass es ihm gut ginge und wir uns ohnehin ganz in der Nähe befänden. So stiegen wir alle in den Ford Transit der Dransfields: Pam und ich saßen vorne, Dave Mahoney hinten und Barry hinterm Steuer. Dann ging es plötzlich drunter und drüber. Barry legte den ersten Gang ein, lenkte auf die Fahrbahn und verlor praktisch sofort das Bewusstsein. Allerdings stand er immer noch auf dem Gaspedal. Wir zogen mit einem solchen Schwung ab, dass Pam und ich nach hinten zu Dave Mahoney geworfen wurden, als unser Sitz nachgab. Dann wurden wir wie Puppen durch den Innenraum des Fahrzeugs geschleudert, während wir den Crouch End Broadway hinaufjagten. Barry schlief dabei tief und fest und hing auf dem Lenkrad. Bevor wir in den Uhrturm rasten, gelang es mir irgendwie Barry wegzuziehen. Ich versuchte, im Stehen zu lenken, aber ich konnte seinen Fuß nicht bewegen, der zwischen Gaspedal und Kupplung festhing, als wir den Crouch Hill hinaufschossen. Das alles kam mir vor wie der längste Autounfall aller Zeiten. Pam schrie und die Secanol-Pillen purzelten durch den Van. Unbeeindruckt davon warf Dave sie ein. Später erklärte er, er habe gedacht, wir würden alle verhaftet werden.
Ich schaffte es, uns an der Railway Tavern vorbeizunavigieren und lenkte uns in die Hornsey Lane. Schließlich kamen wir zum Stehen, wobei wir an einer Reihe geparkter Wagen entlangschrammten. Mahoney, Pam und ich entkamen dem Wrack durch die Heckklappe. Barry hing noch über dem Lenkrad, als die Polizei aus allen Richtungen am Unfallort eintraf. Pam und ich sahen zunächst wie unbeteiligte Passanten aus, die versuchten, Barry aus dem Auto zu befreien. Gerade als zwei stämmige Polizisten uns zu Hilfe kamen, öffnete Barry aber ein Auge und sprach mich direkt an: „Dave, wir können immer noch abhauen.“
Ich setzte ein verwirrtes Gesicht auf und sagte: „Er muss phantasieren, Officer.“ Ich wich zur Seite, damit die Cops übernehmen konnten.
Mittlerweile war die halbe Straße voll von in Pyjamas gekleideten Anrainern und während die Szene immer unübersichtlicher wurde, schlichen sich Pam, Dave Mahoney und ich davon. Als wir zu Hause eintrafen, zitterte Pam und ging ins Bett, während ich versuchte, Dave dazu zu bewegen, es ihr gleichzutun. Gegen drei Uhr morgens vernahmen wir einen Mordsradau aus der Küche. Dort fanden wir Dave auf dem Boden, bedeckt mit Tellern, Untertassen und Besteck, wie er versuchte, eine Dose seitlich mit einem Schraubenzieher zu öffnen. Er lächelte mich an und fragte: „Willst du auch was?“
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