Schon bald wurde Ibiza zum inoffiziellen Zentrum für Drogenexperimente im Mittelmeerraum. Huges verbarg sein frisch gebohrtes „drittes Auge“ unter seinem Haar. Er war auch einer der ersten, der mit der Information an die Öffentlichkeit ging, dass die amerikanische CIA zur kontrollierten Gehirnwäsche Experimente mit LSD durchführte. Er kaufte sein Acid in Amsterdam und riet jenen, die es nehmen wollten, vorher Zuckerwürfel in Zitronen zu tunken und sie vor dem Trip zu essen, weil sich schlechte Trips dadurch verhindern ließen, dass man regelmäßig Zucker zu sich nahm. Joe Mellen in Bore Hole: „Jeder, der Bart kennenlernte, merkte sofort, dass er wusste, wovon er sprach. Er stammte aus einer Arztfamilie und verfügte über solides medizinisches Wissen. Er gab niemals an oder versuchte die Leute mit medizinischem Fachjargon zu blenden. Wenn man ihn etwas fragte, gab er eine möglichst einfache Antwort. Was könnte man sich von einem Lehrer Besseres wünschen? Es ist eine Tatsache, dass ein Mensch mit niedrigem Blutzuckerspiegel leichter beeinflussbar ist, und daher haben die Worte eines Gurus in einer solchen Situation größeres Gewicht. Anschließend beten ihn seine Schäfchen an. Wenn man Zucker nimmt, ist das alles nicht nötig.“
Über die damalige Szene berichtet Monica Gerlach: „Damals eröffneten das Domino und das Clive’s, und es gab drei Restaurants am Hafen, in die wir regelmäßig gingen. Eine der Bars gehörte einem Ibicenco, der mit einer großen amerikanischen Limousine herumfuhr, die ziemlich großes Aufsehen erregte. Wir alle hingen am wunderschönen Strand Platja d’en Bossa ab, und in der Nähe gab es eine holländische Künstlerkolonie; die Schriftsteller kamen aus aller Herren Länder. Damals waren wir höchstens hundert Ausländer auf der Insel, von daher war, wenn es eine Party gab, jeder eingeladen.“ 1963 reiste die amerikanische Schriftstellerin Irma Kurtz für eine Woche auf die Insel und blieb ein Jahr, so fasziniert war sie von dem, was sie dort vorfand. Sie hatte sich schon eine Stunde nach ihrer Ankunft in die Insel verliebt.
Die Domino-Bar, die dem Deutschen Dieter Loerzer, dem Frankokanadier Alfons Bleau und dem Iren Clive Crocker gehörte, war das Zentrum der Jazz-Szene auf Ibiza: Der Laden verfügte über eine unvorstellbare Sammlung von Jazz-Platten, und die hier verkehrenden Ausländer wussten die breite Auswahl sehr zu schätzen, wenn sie dort bis spät in die Nacht an den Tischen saßen und sich mit ihren romantischen Verirrungen, finanziellen Manövern und existentiellen Verantwortungslosigkeiten herumschlugen. In seiner Autobiografie Dope In The Age Of Innocence berichtet der irische Schriftsteller Damien Enright davon, wie „in einer typischen tiefen Winternacht die Inselitis ausbricht. Eine Art von Unruhe, wie sie auch Gefängnisinsassen gelegentlich überkommt. In der Bar herrscht ein reges Kommen und Gehen, und nur wenige Gäste sind nüchtern. Manche sind zusätzlich noch aufgeputscht durch Benzedrin. Einige der Anwesenden sind seit Jahren nicht mehr von der Insel runtergekommen. Sie alle haben unbezahlte Rechnungen und können sich kein Fährticket leisten. Seit dem Sommer haben sich nur wenige Neuzugänge dazugesellt. Die meisten Paare, die hier aufgekreuzt sind, haben sich inzwischen getrennt.“ Diese Beschreibung trifft auch heute noch auf das Dasein der Ausländer im Winter zu und hätte gut aus dem Jahr 2014 stammen können, mal davon abgesehen, dass die musikalische Untermalung nicht aus den neusten Deep-House-Tracks oder Disco-Songs alter Schule bestand, wie Enright schrieb: „Jemand hat Mingus aufgelegt. A-ha.“
Zurzeit des Hippie-Trails entwickelte sich auch der auf Ibiza kreierte „Hippie Chic“ in der Mode. Mitte der Siebziger entstand die Boutique Azibi in Cala d’Hort, an dem herrlichen Strand, von dem aus man nach Es Vedrà hinüberblickt; zwei junge Amerikanerinnen schneiderten Kleider aus alten Seiden-Saris. Dann stießen Freunde dazu, die im Laden ihren selbstgefertigten Silberschmuck oder Bikinis verkauften, und dekoriert wurde das Geschäft mit afghanischen Teppichen. Die Boutique Azibi ist heute noch während der Sommermonate geöffnet. Am Strand von Atlantis ganz in der Nähe hatte sich ebenfalls eine Hippie-Kommune niedergelassen.
In Calle de la Virgen eröffneten Paula und Mopitz eine Trend-Boutique und verkauften dort Aufsehen erregende Kleider, die heute noch hohe Preise bei eBay erzielen. Die serbische „Prinzessin“ Smilja Constantinovic, angeblich die Geliebte des jugoslawischen Königs Peter II., folgte mit der Modeboutique Ad Lib, über deren erfrischend neue und schöne Kleidung aus meist schlicht weißen Stoffen und Spitze sogar die britische Vogue berichtete. Das Label setzt heute noch Zeichen in der Mode auf Ibiza.
Der britische Geiger Malcolm Tillis war der erste, der einen Laden in Ibiza-Stadt eröffnete, aber er musste die Insel verlassen, nachdem er einen aufrührerischen Zeitungsartikel geschrieben hatte, in dem er das Franco-Regime kritisierte. Er floh mit seiner Frau auf der Suche nach Bewusstseinserweiterung und Persönlichkeitsentwicklung nach Indien und veröffentlichte später ein Buch mit Interviews westlicher Sinnsucher, die ihre Erfüllung in den spirituellen fernöstlichen Praktiken gefunden hatten. „Er machte Schmetterlingskleider mit Batikmustern“, erinnert sich Monica Gerlach, „die wir alle trugen. Er war ein richtiger Typ.“
1970 öffnete das Double Duck seine Türen, ein vegetarisches Restaurant, geleitet von Nancy Mehagian, einer Amerikanerin armenischer Abstammung. Gerlach zufolge war sie „ein echter Hippie, und sie fuhr zusammen mit ihrem Partner mit dem Bus durch die Türkei, die Kurdengebiete, den Irak und den Iran bis nach Indien“. Auf dieser Reise wurde sie bei einer Drogenrazzia festgenommen. Keine untypische Geschichte. Damien Enright konnte sich in Barcelona seiner Verhaftung entziehen und tauchte anschließend auf Ibiza unter. Sein Aufenthalt entwickelte sich zum Albtraum, als sich alle von ihm abwandten und ihm das Gefühl vermittelten, allmählich verrückt zu werden. Ein einziger wahrer Freund, ein Künstler, Architekt und Flötist, blieb an seiner Seite und half ihm, wieder von der Insel zu verschwinden, nachdem Enright überzeugt war, dass sie sich ganz und gar gegen ihn verschworen hatte.
Im Norden der Insel, in Sant Carles, hatte der Landwirt Joan Mari bereits 1954 eine Bar eröffnet, aus der sich später das weltberühmte Las Dalias entwickeln sollte, ein Restaurant mit Hippie-Markt, der am Valentinstag 1985 von Joans Sohn Juanito ins Leben gerufen wurde. Den ersten Hippie-Markt der Insel gab es allerdings schon seit den Siebzigern; er lag in Punta Arabí an der Ostküste.
„Meine Mutter und ich verkauften in Punta Arabí Sachen, die wir in Afrika gesammelt hatten“, erzählt Gerlach. „Nach und nach wanderten wir alle nach Las Dalias ab, weil die Leute dort auch etwas essen und trinken konnten, und anschließend gingen wir in die Bar Anita’s im Dorf Sant Carles, das voller Hippies war. Sie machen dort noch immer diesen großartigen hierbas aus Anis und sieben Inselkräutern. Die Kräuter werden wirklich vor Ort gesammelt und mit Alkohol versetzt, dann in Flaschen gefüllt und gekühlt, und nach einigen Monaten sorgen die Kräuter für die gelbe Farbe.“ Hierbas ist noch immer der beliebteste Kräuterlikör der Insel, der neben Absinth und dem mit Thymian hergestellten Frigola in den meisten Bars erhältlich ist.
1960 traf Clive Crocker, der ein Jahr zuvor auf die Insel gekommen war, am Platja d’en Bossa die Tochter einer Nachbarin. Die junge Deutsche war Model und Schauspielerin, hatte gerade eine Rolle in Fellinis bahnbrechendem Film La Dolce Vita ergattert, gehörte später zum Kreis um Andy Warhol, der aus Christa Päffgen Nico machte, die legendenumwobene Sängerin von Velvet Underground, bevor sie eine vielbeachtete Solokünstlerin wurde. Sie beeindruckte ihn sofort: Der junge Crocker stand in Flammen. Nico betrat seine Bar in einem Sommer, der von Jazz-Nächten, Schach, ausländischen Künstlern und Intellektuellen beherrscht wurde, und für die beiden begann eine amouröse Freundschaft, die jahrelang Bestand haben sollte.
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