Aber hüte dich davor, die Göttliche Mutter mit deinem kleinen irdischen Verstand verstehen und beurteilen zu wollen, der es liebt, sogar die ihn übersteigenden Dinge seinen eigenen Normen und Maßstäben, seinen engen Vernunftgründen und irrigen Eindrücken, seiner bodenlosen aggressiven Unwissenheit und seinem unbedeutenden selbstsicheren Wissen zu unterwerfen. Das menschliche Mental, in das Gefängnis seiner halb erleuchteten Dunkelheit eingeschlossen, kann den Schritten der Göttlichen Shakti in ihrer vielseitigen Freiheit nicht folgen. Die Schnelligkeit und Fülle ihrer Schau und ihres Handelns lassen sein stolperndes Verständnis hinter sich; die Maße ihrer Bewegung sind nicht seine Maße. Verwirrt durch das rasche Wechseln ihrer vielen verschiedenen Persönlichkeiten, ihr Schaffen von Rhythmen und Brechen von Rhythmen, ihre Beschleunigungen und ihre Verzögerungen, ihre verschiedenen Weisen, den Problemen des einen oder anderen zu begegnen, ihr Aufnehmen und wieder Fallenlassen einmal dieses und einmal jenen Fadens und das Zusammenfassen von ihnen, erkennt es nicht den Weg der Höchsten Macht , wenn sie kreisend durch das Labyrinth der Unwissenheit zu einem überirdischen Lichte aufsteigt. Öffne ihr lieber deine Seele und sei zufrieden, sie durch die seelische Natur zu fühlen und mit der seelischen Schau zu sehen, die allein unmittelbar auf die Wahrheit reagieren. Dann wird die Mutter selber dein Mental und Herz und Leben und physisches Bewusstsein durch deren seelische Elemente erleuchten und auch ihnen ihre Wege und ihre Natur enthüllen.
Vermeide auch den Irrtum des unwissenden Mentals, von der Göttlichen Macht zu verlangen, stets unseren groben oberflächlichen Vorstellungen von Allwissen und Allmacht entsprechend zu handeln. Denn unser Mental fordert nämlich bei jeder Gelegenheit durch Wunderkräfte und leichten Erfolg und blendenden Glanz beeindruckt zu werden; andernfalls kann es nicht glauben, dass hier das Göttliche ist. Die Mutter befasst sich mit der Unwissenheit in den Bereichen der Unwissenheit ; sie ist dahin herabgestiegen und weilt nicht nur oben. Zum Teil verhüllt, zum Teil enthüllt sie ihr Wissen und ihre Macht, hält sie häufig von ihren Instrumenten und Persönlichkeiten zurück und folgt, um diese umzuwandeln, dem Weg des suchenden Mentals, dem Weg des sich sehnenden Seelischen, dem Weg des ringenden Vitals, dem Weg der gefangenen und leidenden physischen Natur. Es gibt Bedingungen, die ein Höchster Wille festgelegt hat, es gibt viele verschlungene Knoten, die es zu lösen gilt und sich nicht kurzerhand durchhauen lassen. Der Asura und Rakshasa halten diese sich entfaltende irdische Natur in ihrem Griff, und sie müssen auf ihrem eigenen lange beherrschten Lehnsgut und ihrer Domäne gestellt und nach ihren eigenen Spielregeln besiegt werden; das Menschliche in uns muss geführt und vorbereitet werden, seine Grenzen zu überschreiten und ist zu schwach und zu dunkel, um sich plötzlich in eine Form heben zu lassen, die es weit überragt. Das Göttliche Bewusstsein und die Göttliche Kraft sind da und tun in jedem Augenblick, was der Stand der Arbeit erfordert, unternehmen stets den gebotenen Schritt und bilden inmitten der Unvollkommenheit die künftige Vollkommenheit aus. Aber erst wenn das Supramentale in dich herabgestiegen ist, kann sie unvermittelt als die supramentale Shakti mit supramentalen Naturen umgehen. Folgst du deinem Mental, so erkennst du die Mutter nicht einmal, wenn sie vor dir offenbart ist. Folge deiner Seele und nicht deinem Mental, deiner Seele, die der Wahrheit antwortet, nicht deinem Mental, das nach den Erscheinungen greift; vertraue der Göttlichen Macht und sie wird die gottgleichen Elemente in dir befreien und alles zu einem Ausdruck der Göttlichen Natur gestalten.
Die supramentale Wandlung ist eine beschlossene Sache und unausbleiblich in der Evolution des Erdbewusstseins; denn dessen Aufstieg ist noch nicht beendet und das Mental ist nicht sein letzter Gipfel. Damit die Wandlung aber kommen, Form annehmen und dauern kann, bedarf es des Rufes von unten mit dem Willen, das Licht , wenn es kommt, zu erkennen und nicht zu leugnen, und es bedarf der Gutheißung des Höchsten von oben. Die Macht, die zwischen der Gutheißung und dem Ruf vermittelt, ist die Gegenwart und Macht der Göttlichen Mutter . Die Kraft der Mutter allein und keine menschliche Anstrengung und Tapasya, kann den Deckel zerschmettern, die Hülle zerreißen, das Gefäß formen und in diese Welt der Dunkelheit und Falschheit, des Todes und des Leidens Wahrheit und Licht herniederbringen und göttliches Leben und des Unsterblichen Ananda .
Teil II
Sri Aurobindo
Dieser Brief wurde geschrieben, um gewisse Ausdrücke in dem Buch „Die Mutter“ zu erklären.
Falschheit und Unwissenheit
Unwissenheit bedeutet avidya, das trennende Bewusstsein und das egoistische Mental und Leben, die aus ihm hervorgehen, sowie alles Übrige, das diesem trennenden Bewusstsein und egoistischen Mental und Leben eigen ist. Diese Unwissenheit ist das Ergebnis einer Bewegung, durch die sich die kosmische Vernunft vom Licht des Supramentals (der Göttlichen Gnosis ) trennte und damit die Wahrheit verlor – die Wahrheit des Seins, die Wahrheit des göttlichen Bewusstseins, die Wahrheit der Kraft und Tat, die Wahrheit des Ananda. Die Folge davon ist, dass wir an Stelle einer Welt integraler Wahrheit und göttlicher Harmonie im Licht der göttlichen Gnosis eine Welt errichtet haben, die auf den Teilwahrheiten einer niedrigeren kosmischen Intelligenz beruht, in welcher alles eine halbe Wahrheit und ein halber Irrtum ist. Sie wurde von Denkern der Vergangenheit, wie Shankara, die die größere Wahrheits-Kraft dahinter nicht wahrnahmen, als Maya stigmatisiert in der Meinung, es sei die höchste schöpferische Macht des Göttlichen . Im Bewusstsein dieser Schöpfung ist alles entweder begrenzt oder aber durch die Trennung vom integralen Licht entstellt; selbst die Wahrheit, die sie erkennt, ist nur ein Halb-Wissen. Daher wird sie die Welt der Unwissenheit genannt.
Falschheit hingegen ist nicht diese avidya, sondern ihr extremstes Ergebnis. Sie wird von einer asurischen Macht geschaffen, die sich in diese Schöpfung einmischt, und ist nicht nur von der Wahrheit getrennt und daher in ihrem Wissen begrenzt und dem Irrtum offen, sondern befindet sich auch im Aufruhr gegen die Wahrheit oder aber ergreift diese lediglich, um sie zu entstellen. Diese Macht, die dunkle asurische Shakti oder rakshasische Maya gibt ihr entstelltes Bewusstsein als das wahre Wissen aus und seine vorsätzlichen Verzerrungen oder Verdrehungen der Wahrheit als die eigentliche Wirklichkeit der Dinge. Die Mächte und Personalitäten dieses entstellten und entstellenden Bewusstseins nennen wir feindliche Mächte oder feindliche Kräfte. Und wann immer diese Entstellungen, die sie aus dem Stoff der Unwissenheit schaffen, von ihnen als die Wahrheit der Dinge ausgegeben werden, bezeichnet man es im yogischen Sinn als Falschheit, mithya, moha [Lüge oder Täuschung].
2. Mächte und Erscheinungen
Diese sind Kräfte und Wesen, die danach trachten, die Falschheiten, die sie in der Welt der Unwissenheit erschufen, aufrechtzuerhalten und sie als die Wahrheit auszugeben, der die Menschen zu folgen haben. In Indien werden sie Asuras, Rakshasas, Pisachas genannt (Wesen des jeweilig mentalisierten Vitals, des mittleren Vitals und der niederen vitalen Ebenen), die sich in Widerstreit mit den Göttern, den Mächten des Lichtes, befinden. Auch sie sind Mächte und auch sie haben ihr kosmisches Feld, in dem sie ihre Herrschaft und Tätigkeit ausüben; einige von ihnen waren einst göttliche Mächte (die früheren Götter, purve devah, wie sie im Mahabharata genannt werden), die durch ihr Aufbegehren gegen den göttlichen Willen, der hinter dem Kosmos steht, der Dunkelheit anheimfielen. Das Wort „Erscheinungen“ bezieht sich auf die Formen, die sie annehmen, um die Welt zu beherrschen – Formen, die oft falsch sind und immer die Falschheit verkörpern, manchmal auch pseudo-göttliche Formen.
Читать дальше