Plötzlich straffte sich die Gestalt des Kapitäns. Unermüdlich hatte er die Umgebung beobachtet. Jetzt schien es sich auszuzahlen. An Land hatte sich etwas geregt – im Wald!
„Erster“, sagte Delanoff. „Haben Sie das gesehen?“
Der Erste stand auf dem Achterdeck, hob den Kopf, kniff die Augen zusammen und gab sich redlich Mühe, etwas zu erkennen. Doch an Land wirkte alles wie ausgestorben, nicht einmal ein paar Vögel stiegen aus den Wäldern auf.
„Nein, Kapitän“, erwiderte der Erste Offizier wahrheitsgemäß.
„Sie sehen nie etwas, wie?“
„Im allgemeinen halte ich meine Augen offen, Kapitän.“
Delanoff musterte den Offizier kalt. „Werden Sie bloß nicht frech.“
„Das – würde ich mir nie erlauben.“
„Ja, schon gut.“ Zoltan Delanoff richtete sein Augenmerk wieder auf das Ufer und den Wald. Er war ganz sicher, keiner Halluzination erlegen zu sein. Da tat sich etwas. Es braute sich was zusammen.
Die Schmugglerbande trat wieder in Aktion. Am hellichten Tag! Das Gesindel wurde immer dreister und unverschämter.
Delanoffs Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze des Hasses. Er konnte es kaum erwarten, zuzuschlagen und diesen Galgenvögeln eine Lektion zu erteilen. Sie würden um Gnade winseln und zitternd vor ihm auf den Knien rutschen.
Er aber würde kein Erbarmen kennen. Wenn man das Höllenpack nicht ausrottete, vermehrte es sich derart stark, daß man seiner nicht mehr Herr werden konnte. Das zeigte sich immer wieder – jetzt auch hier.
Der Kapitän hob das Spektiv ans Auge und peilte zu dem Punkt, wo er die Bewegung wahrgenommen hatte. Eine Weile verharrte er völlig reglos, dann stieß er einen triumphierenden Laut aus.
„Da ist es wieder!“
Der Erste nahm ebenfalls das Rohr zur Hand. Er spähte hindurch, betrachtete die Bäume und dachte: Fahr doch zur Hölle, du blöder Hund.
Die Mannschaft der Dubas war auf den Beinen. Die Kerle blickten sich untereinander an. Hatte der Kapitän jetzt völlig den Verstand verloren? Oder dachte er sich wieder eine neue Schikane aus, um seine Besatzung zu kujonieren?
„Das ist doch der Gipfel der Frechheit“, sagte Delanoff. Er war von Zorn erfüllt und fasziniert zugleich.
Jetzt hatte auch der Erste Offizier mit der Optik etwas eingefangen.
„Das ist ja – kaum zu fassen“, sagte er überrascht.
„Sie sehen also, was auch ich sehe, Erster?“ fragte Delanoff.
„Jawohl, Kapitän.“
„Dann teilen Sie mir mit, was es ist, zum Teufel!“
„Ein Kamel, Kapitän“, entgegnete der Erste. „Genauer ausgedrückt, handelt es sich meiner Ansicht nach um den Kopf eines Kamels, denn mehr kann ich nicht erkennen.“
„Haben Sie schon mal einen Kamelkopf gesehen, der ohne den Rest, ich meine, den zugehörigen Leib, durch die Wälder trabt?“ fragte Delanoff aufgebracht.
„Noch nie, Kapitän“, antwortete der Erste. „Und wir sehen ja eigentlich recht selten Kamele in unserer Gegend. Das da muß weiter aus dem Süden kommen.“
„Es ist nicht nur ein Kamel“, sagte Delanoff. Er stieß einen Laut aus, der wie ein Grunzen klang. „Da ist noch eins – und dort, dort trabt soeben ein Maultier aus dem Wald. Sperren Sie Ihre Augen gefälligst auf!“
„Jawohl, Kapitän.“ Der Erste war überrascht und betroffen zugleich.
Delanoff, dieser alte Fuchs, hatte also doch recht behalten. Es braute sich was zusammen an der Küste bei Batumi, und es war nur richtig gewesen, die Nacht hier zu verbringen, um die Entwicklung der Dinge abzuwarten.
Jagdfieber ergriff den Ersten Offizier. Jawohl, beim Henker, man muß diesem Schmuggler- und Schnapphahngesindel das Handwerk legen!
„Da sind auch Kerle bei den Tieren“, sagte Delanoff.
„Jawohl, ich sehe sie“, bestätigte der Erste. „Eine ganze Menge Kerle, Kapitän, und es tauchen immer mehr Kamele und Maultiere aus dem Wald auf.“
„Das sieht mir ganz nach einer Karawane aus“, sagte Delanoff und knirschte mit den Zähnen. „Sie rücken mit einem großen Aufgebot an, damit sie die ganze Schmugglerware, die sie aufzuladen gedenken, auch verfrachten und wegschaffen können. Diese Halunken.“
„Die sehen mir nach Fremden aus“, sagte der Erste nach einem weiteren ausgiebigen Blick durch das Spektiv. „Woher mögen die stammen?“
„Es sind Weiße“, brummte Delanoff. „Der Art ihrer Kleidung nach zu urteilen, handelt es sich um Giaurs.“
„Ungläubige Hunde aus dem Abendland.“
„Sie haben einen weiten Weg unternommen, um im Hagel unserer Kugeln zu verrecken“, sagte der Kommandant zynisch.
„Ob es Piraten sind?“
„Natürlich sind es Piraten.“ Delanoff ließ das Spektiv sinken. „Los, Freiwillige vor! Ich gehe mit einem Stoßtrupp an Land, ehe die Kerle den Wald verlassen und ans Ufer vordringen!“ Er trat mitten zwischen seine Männer. „Natürlich gibt es irgendwo ein geheimes Versteck, wo die Schmuggler, die von der See kamen, in der Nacht ihre Ware abgeladen haben. Jetzt erscheinen ihre Verbündeten, um das Zeug abzuholen.“
„Hier, Kapitän“, meldete sich einer der Männer. „Ich bin mit dabei.“ Er war groß und wuchtig gebaut, ein Schrank von Kerl, und er fürchtete sich vor nichts.
„Gut“, erwiderte Delanoff. „Weiter so. Wir werden die Lumpen beobachten, sie umzingeln und das Feuer auf sie eröffnen, sobald sie sich dem Versteck genähert haben. Erster, Sie übernehmen bis auf weiteres den Befehl über die Dubas und geben uns Rückendeckung, verstanden?“
„Verstanden, Kapitän.“
„Aufbruch“, sagte Delanoff. „Wir setzen mit dem Boot über. Beeilung! Los-los, schneller! Wir dürfen keine Zeit verlieren!“
Gesagt, getan: Delanoff ließ sich von acht Männern an Land pullen. Die Kerle rucksten an den Riemen, was das Zeug hielt. Dann sprangen sie in die Brandung, und auch der Kapitän verließ das Beiboot. Die Männer versteckten das Boot in einem Gebüsch nahe des Ufers. Anschließend schlug sich der Stoßtrupp ins Dickicht.
Der Erste Offizier der Dubas hatte unterdessen wieder sein Spektiv auf die Karawane gerichtet. Immer mehr Kamele, Maultiere und Männer tauchten auf. Es wollte kein Ende nehmen. Ja, wie groß war denn diese Karawane der Giaurs? Dem Ersten wurde mulmig zumute. Hatte sich Delanoff da nicht doch übernommen?
„Bei allen Wassergeistern“, sagte der Steuermann der Dubas. „Das ist ja eine Riesenmeute!“
„Und denen sollen wir trotzen?“ fragte ein Mann der Besatzung.
„Wir werden ihnen trotzen“, entgegnete der Erste. „Wir gehen dichter unter Land. Klar Schiff zum Gefecht!“
So wurde die Dubas etwas näher zum Ufer verholt – und die Mannschaft griff zu den Waffen. Musketen, Tromblons und Arkebusen: Andere Waffen hatten Delanoffs Soldaten nicht.
Die Dubas verfügte über keine fest montierten Geschütze wie Drehbassen oder Mörser. Kanonen hatte sie schon gar nicht. Schließlich war der Zweimaster in erster Linie ein Segler zur Aufklärung.
Mit einigermaßen gemischten Gefühlen blickten die Männer der Dubas den anrückenden „Giaurs“ entgegen. So manchem rutschte das Herz etwas tiefer – und dann sogar in die Hosentasche. Denn die „Piraten“, das war ganz offensichtlich, hielten mit ihrer Karawane geradewegs auf den Ankerplatz der Dubas zu. Offenbar hatten sie das Schiff gesichtet. Was wollten sie wohl? Friedliche Absichten hegten sie ganz bestimmt nicht.
Delanoff und die acht Mannen krochen im Gebüsch nahe des Ufers herum, bezogen „strategisch kluge“ Positionen und warteten darauf, daß die Karawane sich ihnen näherte. Mit verkniffener Miene spähte der Kapitän durch eine winzige Lücke im Blätterwerk und sah die ersten „Giaurs“, wie diese mit ihren Tieren das Ufer betraten.
„Da sind sie!“ zischte Delanoff.
„Und sie kommen direkt auf uns zu“, murmelte der Große, der sich als erster freiwillig gemeldet hatte.
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