Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-430-2
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Benommen richtete sich der Seewolf von den Decksplanken der „Santa Ana“ auf. Im Donnern der Geschütze und Schreien der Männer war ihm ein Stück Holz gegen den Kopf gewirbelt. Der Schlag hatte ihm fast die Besinnung geraubt.
„Allmächtiger“, sagte er im ersten Schreck. „Das darf doch nicht wahr sein.“
Sie hatten die „Santa Ana“, die sagenhafte Manila-Galeone, gekapert und ihren Geleitschutz vernichtet – und jetzt dies!
Im Steuerbordschanzkleid der „Santa Ana“ klafften drei splittrige Lücken. Die Fünfundzwanziger-Kugeln des schwarzen Schiffes hatten sie hineingetrieben, die Geschosse des eigenen Verbündeten! Eine vierte Kugel war flach über die Kuhl gerast und hätte Batuti, Dan O’Flynn, Sam Roskill und einige andere von der „Isabella“-Crew dahingerafft, wenn Thorfin Njal nicht so geistesgegenwärtig gehandelt hätte.
Kaum aus dem Vordeck zurückgekehrt, wo die gefangenen Spanier eingesperrt worden waren, hatte er das Unheil nahen sehen. Mit dem schwarzen Schiff stimmte etwas nicht, und der Wikinger hatte Alarm geschlagen. Dann, beim Loskrachen der Geschütze, hatte er nur noch die Arme ausbreiten und Dan und die anderen mit sich niederreißen können.
Das hatte ihnen das Leben gerettet.
Hasard, der gerade aus den Frachträumen der Galeone heraufgestiegen war, hatte Siri-Tong mit seinem Körper geschützt. Sie löste sich jetzt von ihm, unverletzt, und erhob sich.
Überall auf Deck rappelten sich die Gestalten von Männern auf. Sie schrien und fluchten durcheinander.
„An die Geschützte!“ rief der Seewolf. „Ed, Ben – Feuer frei auf den schwarzen Segler!“
„Aye, Sir!“ brüllte Carberry zurück. „Vorwärts, geben wir es diesen Halunken!“
Gegen wen sich ihr Widerstand richtete, war immer noch ungelöst. Durch den blakenden Pulverrauch, der sich nur träge verzog, konnten sie das schwarze Schiff sehen, wie es von der Bordwand der Manila-Galeone und von der an Backbord vertäut liegenden „Isabella“ fortdümpelte, ein majestätisch erhabener Schatten im verblassenden Tageslicht.
Ben Brighton hetzte an Hasard vorbei nach Backbord, sprang wie von tausend Teufeln gejagt auf die Kuhl der „Isabella“ hinüber und mobilisierte Jeff Bowie und Bob Grey, die drüben als Deckswachen eingeteilt waren.
„Auf die Back!“ rief Ben. „Los, schnell – an die Drehbassen!“
Der Seewolf war auf den Beinen und taumelte neben Siri-Tong her. Es war grotesk, reiner Aberwitz – und doch bittere Wahrheit: Jemand hatte drüben auf „Eiliger Drache über den Wassern“ die Leinen gelöst, als die beiden versammelten Crews voll mit der Festnahme der besiegten Spanier und mit der Inspektion der Laderäume auf der „Santa Ana“ beschäftigt gewesen waren.
Jetzt nahm das Drama seinen Lauf und war nicht mehr aufzuhalten.
„Stör!“ rief Siri-Tong. „Missjöh Buveur – Allmächtiger, wie konnte das nur passieren?“ Sie stieß den Namen der beiden Wachtposten drüben auf dem schwarzen Schiff noch einmal aus, obwohl der Wikinger und der Franzose sie schon nicht mehr hören konnten.
Wieder krachten auf dem schwarzen Viermaster Geschütze. Hasard und Siri-Tong ließen sich fallen. Dicht neben ihnen warfen sich auch die anderen hin. Sie fluchten, hörten die Kugeln heranorgeln und schützten die Köpfe mit den Händen.
Vier Eisenkugeln waren es. Sie heulten schräg über das Oberdeck der Manila-Galeone, weil sie zu hoch angesetzt waren. Nur ganz knapp verfehlten sie jedoch das Heck der „Isabella“.
„O, ihr Kanaillen!“ tobte Hasards Profos. „Ihr Ratten, ihr stinkenden Rübenschweine, ihr Teufel! Wenn ich euch zu fassen kriege! Ich brech’ euch die Knochen, ich schwör’s euch, ihr Bastarde!“
Das ganze Gefluche nutzte aber nichts. Sie mußten das Feuer des Viermasters so schnell wie möglich erwidern, aber das stieß auf Schwierigkeiten. Die „Isabella“ mußte erst von der „Santa Ana“ abgelöst werden und ein Stück voraussegeln, um eine Breitseite abgeben zu können. Vorläufig ließen sich von dort aus nur die beiden Bassen auf dem Vordeck einsetzen.
Und auf der Manila-Galeone funktionierte irgend etwas nicht. Al Conroy, Matt Davies und andere Männer aus beiden Crews hantierten wüst schimpfend an den Kanonen.
Der Wind hatte auf Osten gedreht. Siri-Tongs Schiff luvte langsam nach Norden an und nahm mehr Fahrt auf. Die Rauchschwaden, die die neue Salve erzeugt hatte, flossen auseinander.
Ein paar Seewölfe und Siri-Tong-Piraten feuerten von der Back der „Santa Ana“ aus mit Musketen und Arkebusen hinter dem Flüchtling her, aber das hatte bereits keinen Zweck mehr. Der Abstand war für sicher gezielte Flintenschüsse bereits zu groß.
Alles hatte sich zu schnell, zu überstürzt abgespielt. Der Gegner hatte das Überraschungsmoment auf seiner Seite.
Siri-Tong war wieder aufgesprungen und stand am zerschmetterten Schanzkleid. In einer Mischung aus Entsetzen und ohnmächtiger Wut schaute sie ihrem Schiff nach.
Hasard stellte sich neben sie und zog rasch das Spektiv auseinander. Er hob es ans Auge, spähte mit verkniffener Miene durch die Optik und gewahrte die Gestalten, die drüben in aller Eile sämtliche schwarzen Segel setzten, die das Schiff zur Verfügung hatte.
Vorher hatte „Eiliger Drache“ nur das Großsegel und die Fock gesetzt gehabt. Jetzt rauschte er unter Vollzeug dahin.
„Männer mit Lendenschürzen“, sagte Hasard. „Polynesier.“
„Ich kann es nicht fassen“, erwiderte die Rote Korsarin. „So haben Zegu, der König von Hawaii, und Thomas Federmann uns also hereingelegt …“
„Warte – nein, das sind nicht Zegus Leute“, unterbrach Hasard.
„Sondern? Etwa …“
„Ja. Krieger von Oahu.“
Sie keuchte vor Fassungslosigkeit. „Dann ist ihnen also der Ausbruch gelungen. Mein Gott. Und de Galantes und seine spanischen Spießgesellen?“
„Sie sind mit von der Partie“, entgegnete der Seewolf erbittert. „Ich kann sie in den Wanten erkennen, wie sie abentern. Sie haben sich alle als Eingeborene kostümiert. Und de Galantes, das sehe ich gerade noch, steht auf dem Achterdeck.“
Auf der „Isabella“ blafften die vorderen Drehbassen auf. Weißer Qualm puffte hoch, die Kugeln rasten dem schwarzen Segler nach und ereilten ihn auch noch. Aber de Galantes und seine acht Halunken lagen längst hinter dem Schanzkleid in Deckung. Und Schaden richteten die kleinen Hinterladerkugeln nicht an, denn „Eiliger Drache“ war aus erlesenen Harthölzern gebaut.
Al Conroy fluchte laut und ungeniert herum, Carberry versuchte ihn durch sein Gebrüll zu übertrumpfen. Die 17-Pfünder der „Santa Ana“ waren kaum noch zu gebrauchen. Die spanischen Geschützführer hatten sie in ihrer Panik während des Gefechts zuletzt äußerst nachlässig versorgt – jetzt mußten sie von Hasards und Siri-Tongs Männern erst mit Kellen und Wischern von innen gesäubert werden. In dem allgemeinen Durcheinander fiel auch das Laden schwer, Pulver, Kabelgarn und Geschosse mußten erst mühsam zusammengesucht werden.
Das alles raubte ihnen kostbare Minuten – Zeit, in der das schwarze Schiff immer mehr an Distanz gewann.
„Da ist etwas“, sagte Siri-Tong mit gepreßter Stimme. „An Steuerbord des schwarzen Seglers. Zwei Auslegerboote. Sie dümpeln zur Seite weg.“
Hasard beobachtete wieder durch das Spektiv. In Gedanken überschlug er rasch, wie das alles gelaufen sein mochte: De Galantes und seine acht Kerle hatten sich aus der Hütte auf Hawaii befreit, die Wächter überwältigt, sich rasch verkleidet, waren zum Strand gelaufen und hatten die Boote flottgemacht.
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