Impressum
© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-96688-003-9
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Sean Beaufort
Im Morgengrauen beginnt die gnadenlose Jagd
In dieser langen Nacht, der ersten, in der die Seewölfe wieder ruhig segeln konnten, wachte Philip Hasard Killigrew fünfmal aus einem langen, tiefen Schlaf auf .
Er spürte, wie sich sein Körper in den Bewegungen der Schebecke mitwiegte, hörte die eigentümliche Melodie aus lauter vertrauten Geräuschen und wußte instinktiv, daß alles wieder in bester Ordnung und jeder Mann an Bord wohlauf war .
Das Summen, Pfeifen und Winseln des Windes im stehenden und laufenden Gut und in der Takelage schwoll an, wurde leiser, erstarb und steigerte sich wieder – wie immer, wie stets, wie seit Anbeginn der Seefahrt. Die hölzernen Verbände des schnellen Seglers knarrten und ächzten, und jeder Laut war vertrauenerweckend und bestätigte, daß das Schiff vor achterlichem Wind gut lief und ebenso gut gesteuert wurde .
Ab und zu knatterte leise ein Segel .
Kleine und große Wellen schlugen an die Planken. Das Schiff hob und senkte sich, setzte mit dem scharfen, nach innen gekrümmten Bug ein und erzeugte klatschende, zischende Laute …
Die Hauptpersonen des Romans:
Mateo Alvaro Lerma– der Kommandant der spanischen Kriegsgaleone „Regina Charlotta“ ist ein zäher Knochen, der nicht so leicht aufgibt.
Lopez Velasco– als Stückmeister auf der „Regina Charlotta“ sagt er seinem Kommandanten, warum die englischen Bastarde besser schießen.
Al Conroy– der Stückmeister der Arwenacks riskiert Rohrkrepierer, als er die Pulverladungen für die Culverinen bis zur Grenze der Belastbarkeit erhöht.
Old Donegal O’Flynn– wird wieder mal zur Nervensäge der Arwenacks, weil er partout nach einer Insel sucht, die in den Sternen liegt.
Philip Hasard Killigrew– der Seewolf hat wieder einmal mehrere Nüsse auf einmal zu knacken und muß trotzdem heiter bleiben.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Nach Sonnenaufgang wachte Hasard auf. Aus der Richtung der Kombüse roch es wohltuend und auffordernd nach starkem Tee, in den der Kutscher den einen oder anderen Becher Rum oder Tresterschnaps geschüttet hatte. Mit Honig gesüßt. Und schön heiß.
Der Seewolf merkte, daß der lange Schlaf die Müdigkeit und die feinen, ziehenden Schmerzen aus den Muskeln und Knochen vertrieben hatte. Was er brauchte, wäre ein langes, heißes Bad gewesen, ein Stück Seife und eine harte Bürste. Wieder dachte er an London, an England – bis dorthin hatte das alles noch zu warten.
Er lag noch eine Weile still da und lauschte auf die Vielzahl der Zeichen, die darauf hindeuteten, daß die gesamte Crew auf ihre einfache und rauhe Art die frühen Morgenstunden genoß.
Hasard schwang seine nackten Füße auf die Planken und griff nach seinen Stiefeln.
An Deck war es frischer, kälter und weitaus lebendiger als in der Kammer unter dem Achterdeck.
„Guten Morgen“, sagte er, rieb seine Augen und griff nach dem Spektiv. „Alles in Ordnung?“
„Alles ist in Ordnung. Nichts ist so, wie ich es mir wünsche“, sagte Ben Brighton. Beide Männer schauten sich schweigend und verständnisvoll in die Augen.
„Ich verstehe dich völlig, Ben“, brummte Hasard und sog seine Lungen voller frischer Luft.
Die riesige Kugel der Sonne, gelblichrot über dem fernen Streifen der lusitanischen oder portugiesischen Küste, überschüttete die See mit ihren Strahlen. Noch vermochten sie nicht, die Spuren des nächtlichen Regens und des Taus aus den Lateinersegeln zu vertreiben.
Der Kutscher drückte Hasard einen riesigen Becher in die Hände.
„Tee, Sir“, sagte er und verzog seine Miene. „Bei aller Freude über die Proviantorgie aus dem Fischerdorf – bis zum Nordkap wird es nicht reichen, Sir.“
„Ich werde diesem nicht unwichtigen Problem, Mister Kutscher, die gebührende Aufmerksamkeit schenken“, bemerkte Hasard in bester Laune, aber noch immer im frühen Dunst der schläfrigen Gedanken. „Wie viele Tage halten wir es noch aus?“
„Hier, an Bord der Schebecke“, erwiderte der Kutscher, „mehr als vier, fünf Tage. Wasser reicht, vermutlich, bis an die Küste unserer heimatlichen Insel.“
„Wir werden tun, was wir können“, sagte der Seewolf. „Dein Tee ist wieder einmal eine reife Gabe des mildtätigen Himmels.“
Trotz des Lobes wich der nachdenkliche Ausdruck nicht aus dem Gesicht des schmal gebauten Mannes. Immerhin zwinkerte er überrascht.
„Danke, Sir“, sagte er und gab den zweiten dampfenden Becher dem Ersten Offizier. „Ich mache dann in meiner Kombüse weiter.“
Hasard nickte und richtete sein Spektiv auf die Galeone. Sie war einwandfrei das Problemschiff dieses winzigen Verbandes. Wie das trächtige Mutterschiff vom bissigen, hellwachen Hund des Schäfers, so wurde auch die Galeone von der Schebecke umkreist, bis sie endlich in London waren. Dort mochte sie, sinnlos oder nicht, von ihm aus getrost mitten im Hafen sinken.
Arwenack, der Schimpanse, schien sich an diesem strahlenden Morgen ebenfalls wohl zu fühlen. Er sprang und hüpfte entlang des Decks, zwischen Bug und Deck hin und her. Offenbar vermißte er seinen schwarzhäutigen Freund, den Gambiamann Batuti. Ruhig betrachtete Hasard die Galeone und sagte sich, daß der Affe den Schwarzhäutigen wohl eher sehen würde, als man sich dachte.
„Verdammt!“ sagte er schließlich. „Ich habe es eigentlich schon früher erwartet. Don Juan hat Schwierigkeiten.“
„Spanier?“
„Nein. Das große Segel. Schau selbst! Es ist, wenn ich richtig gesehen habe, vor zwei Atemzügen gerissen. Gleich werden sie signalisieren.“
So war es auch. Don Juan oder Batuti blinkten mit ihrem venezianischen Spiegel herüber.
Hasard verstand sofort, aber auch ohne das Signal wußte er, welche Probleme es gab.
„Segel zerfetzt“, las er.
Ben Brighton setzte das Spektiv ab und sagte: „Jetzt wird’s wieder spannend. Ich weiß, daß sie nur ein paar verrottete Fetzen Segelleinwand drüben haben. Das Großsegel hat zwei Risse, von der Großrah bis zu den Schoten.“
„Ich hab’s auch gesehen.“
Hasard drehte sich halb herum. Seine Augen suchten den Segelmacher an Deck. Er sah ihn vorn auf dem Vorschiff.
„He! Will!“ Hasard winkte ihn heran.
Will Thorne verstand und ging nach achtern. Hasard unterrichtete ihn von den Beobachtungen und dem bestätigenden Signal.
Dann erkundigte er sich: „Wir alle wissen, daß auf der ‚Fidelidad‘ kein Zeug mehr im Laderaum ist. Ein paar Fetzen, die wahrscheinlich nichts mehr taugen. Schaffst du es, das Großsegel so gut wie irgend möglich zu retten? Es sollte bis London reichen. Wenn nicht, haben wir Pech gehabt.“
Natürlich wußte Will Thorne über seine Vorräte und Möglichkeiten sehr genau Bescheid. Er antwortete schnell und mit der Sicherheit des Fachmannes.
„Nadel und Garn, Sir, überhaupt keine Frage. Genügend vorrätig. Die Herren Vorbesitzer dieses feines Seglers waren sorglos oder schon sehr lange auf See. Ich habe unten eine Rolle mit etwa dreißig Quadratfuß Leinwand, abgesehen von ein paar Flicken, doppelt handgroß oder so. Die Rolle ist zwei Fuß breit.“
„Kannst du etwas damit ausrichten?“
„Ich denke schon. Aber das Segel drüben“, er deutete zu der Galeone, die jetzt Kurs auf die Schebecke nahm, „ist mürbe und uralt. Wahrscheinlich halten meine Flicken länger als der Rest.“
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