Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-670-2
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
„Eiliger Drache über den Wassern“ pflügte durch die tiefblaue See der Karibik. Thorfin Njal, der Mann, den alle Karibik-Piraten nur den Wikinger nannten und den sie samt seinem Schwarzen Segler fürchteten wie die Pest, thronte auf dem Achterdeck seines Schiffes. „Thronte“ – das war das einzig richtige Wort dafür. Er saß nämlich in dem riesigen Sessel aus pechschwarzen Bohlen, der so stabil gebaut und so fest in den Planken des Achterdecks verankert war, daß keine Macht der Welt, auch kein Taifun oder Orkan, ihn dort gegen den Willen des Wikingers herausreißen konnte.
Thorfin Njal liebte diesen Sessel abgöttisch, und außer ihm durfte niemand es wagen, ohne seine ausdrückliche Erlaubnis dort Platz zu nehmen. Von dort aus ließ sich der Schwarze Segler nämlich ausgezeichnet überblicken, ein Umstand, der sich schon oft als äußerst nützlich erwiesen hatte.
Wie stets war der Wikinger in seine grauen Felle gekleidet. Und wie stets trug er seinen schweren kupfernen Helm auf dem mächtigen Schädel, der am Kinn von einem ebenso gewaltigen, eisgrauen Bart umrahmt wurde. Außerdem steckte das riesige Schwert an seiner Seite in einer dikken Lederscheide. Die Waffe, die seine Feinde fast so sehr fürchteten wie den Wikinger selber und die er selbst liebevoll sein „Messerchen“ zu nennen pflegte.
Sein Kupferhelm leuchtete in der Sonne, und auch seine Felle wiesen jene hellgraue Farbe auf, die sie immer zu haben pflegten, wenn Araua, die vierzehnjährige Tochter der Schlangenpriesterin Arkana, sich ihrer angenommen hatte. Und das hatte sie, sofort, nachdem bekannt geworden war, daß der Wikinger mit seinem Schwarzen Segler und seinen Männern die Schlangeninsel verlassen würde, um im Norden nach dem Seewolf zu suchen.
Thorfin Njal hatte das faule Leben auf der Schlangeninsel satt. Er hatte genug von der Tag für Tag scheinenden Sonne der südlichen Breiten. Den Nordmann zog es gen Norden, in die Kälte, in die brüllenden Stürme des Landes, aus dem seine Vorfahren stammten. Außerdem wälzte er zu dieser Stunde auch noch mancherlei andere Pläne unter dem Kupferhelm.
Wie oft, wurde er umringt von seinen vier Wikingern, dem Stör, der wegen seines langen Gesichts so genannt wurde, von Eike, Olig und Arne. Außerdem befanden sich auf dem Achterdeck des Schwarzen Seglers noch der Boston-Mann, so eine Art Erster Offizier des Schwarzen Seglers, und Bill the Deadhead. Letzterer trug wie immer an einer dicken Kette einen gut handtellergroßen Totenkopf aus purem Gold um den Hals. Beide Männer waren fast so groß wie der Wikinger selber und unerschrockene Kämpfer.
Der Boston-Mann prüfte den Wind. Dann warf er einen Blick in die Takelage, wo die pechschwarzen Segel sich blähten.
„Der Wind hält“, sagte er schließlich. „Im Morgengrauen erreichen wir Tortuga, wenn nichts dazwischenkommt.“
Der Wikinger, der zunächst gar nicht zugehört hatte, wandte dem Boston-Mann das Gesicht zu. Er kannte diesen schweigsamen Burschen zur Genüge. Der sagte nie einen Satz zuviel, falls er den Mund überhaupt aufmachte.
„He, Boston-Mann, was soll das denn heißen: wenn nichts dazwischenkommt? Sag mir doch einen dieser verdammten und verlausten Piraten, der uns daran hindern könnte, nach Tortuga zu segeln. Mann, den würde ich auf der Stelle …“
Eine Handbewegung des Boston-Mannes ließ den Wikinger verstummen. Und auch die anderen vier Nordmänner, genauso gekleidet und bewaffnet wie Thorfin, folgten der Handbewegung des Boston-Mannes, der eben zum Ausguck des Großmastes emporwies. Dort stand Hilo, ein schlanker, hellhäutiger Neger, der sehr scharfe Augen besaß. Und Hilo beugte sich in diesem Moment weit aus dem Mastkorb heraus, so als könne er auf diese Weise besser sehen.
Schon öffnete der Wikinger den Mund, um Hilo mit Donnerstimme zu fragen, was es zu sehen gäbe, da wandte sich der Neger auch schon um.
„Achtung Deck!“ rief er. „Schaluppe voraus. Kreuzt unseren Kurs. Aber mit dem Kahn ist irgendwas los. An Deck bewegt sich ständig was, mehr kann ich nicht erkennen!“
Der Wikinger sprang auf.
„Verdammt, bei allen Meergeistern, was soll das heißen? Sperr deine dämlichen Glotzaugen gefälligst auf oder streng deinen Grips an. Ho, der Kerl auf der Schaluppe will auf sich aufmerksam machen, deswegen wedelt er mit irgend etwas rum, klar?“
Thorfin Njal hatte das mit so gewaltigem Stimmaufwand nach oben in den Mast gebrüllt, daß Hilo sich unwillkürlich zusammenduckte. Und natürlich – der Wikinger hatte recht, das erkannte er beim zweiten Hinsehen jetzt deutlich. Und auch, daß der Mann auf der Schaluppe bereits dabei war, das schwere Lateinersegel zu reffen. Aber er benahm sich merkwürdig schwerfällig dabei. Hilo schien es, als sei der Mann an Bord der Schaluppe verwundet.
Er beeilte sich, auch das dem Wikinger zu melden.
Thorfin Njal reagierte sofort.
„Beidrehen“, befahl er. „Wenn irgendwo auf See so ein armer Teufel herumtreibt, der unsere Hilfe braucht, dann soll mich der Teufel persönlich holen, wenn ich sie ihm verweigere …“
Der Stör, dessen Gesicht in diesem Moment noch länger wirkte, nickte.
„Verweigern, Teufel holen“, wiederholte er in abgekürzter Form die Worte des Wikingers. Eine Eigenschaft des Störs, die Thorfin manchmal zur Raserei brachte. Er schoß dem Stör einen wütenden Blick zu.
„Jawohl, Teufel holen!“ brüllte er. „Merk dir das endlich, oder ich komme eines Tages über dich wie der Satan persönlich, wenn du mit diesen dämlichen Wiederholungen nicht endlich aufhörst!“
„Dämlich, aufhörst, jawohl“, gab der Stör kleinlaut von sich, brachte sich aber schleunigst aus der Reichweite des Wikingers, als der herumfuhr und nach ihm griff.
Unterdessen hatte der Boston-Mann zusammen mit Juan, dem Bootsmann des Schwarzen Seglers, alle notwendigen Kommandos gegeben. Und so bunt und wild zusammengewürfelt, wie die Crew des Schwarzen Seglers im ersten Moment auf einen Uneingeweihten wirkte, so blitzschnell wurden die Kommandos ausgeführt. Sogar der Seewolf oder sein Profos Edwin Carberry hätten ihre helle Freude daran gehabt.
Der Schwarze Segler drehte bei, während der Wikinger bereits mit gewaltigen Schritten das Hauptdeck überquerte, um vom Vorschiff des Schwarzen Seglers aus die Lage zu peilen, drehte das große schwarze Schiff bereits bei. Die schweren Segel begannen zu killen, langsam verlor der Segler, eine fremdartig wirkende Mischung aus Dschunke und Galeone, an Fahrt.
Der Wikinger beugte sich über das Schanzkleid, aber dann rannte er weiter zum Vorschiff, denn er hatte etwas gesehen, was ihn zutiefst beunruhigte, was er kaum glauben konnte.
In der Schaluppe, die nunmehr auf den Schwarzen Segler zutrieb, saß Diego, der dicke Wirt der Felsenkneipe auf Tortuga, die jedermann dort einfach nur die Schildkröte nannte und in der schon viele Schlachten geschlagen worden waren. Zusammen mit dem Seewolf, Carberry und all den anderen Seewölfen, zusammen mit Siri-Tong, der Roten Korsarin, oder auch Jean Ribault, dem Franzosen. Oder auch ganz allein, wenn der Wikinger den Hafen von Tortuga angelaufen hatte, um Versorgungsgüter für die Schlangeninsel oder für sein Schiff zu übernehmen, die Diego ihm vom Festland besorgt hatte.
Der Wikinger hatte das Vorschiff erreicht. Er stand da wie ein Baum und starrte aus zusammengekniffenen Augen auf die Schaluppe und auf den Mann, der sich an Deck der Schaluppe befand. Dann stieß er einen ellenlangen Fluch aus. Denn es handelte sich tatsächlich um den dikken Schildkrötenwirt, der zu seinen engen Freunden zählte. Aber Herr des Himmels, des Donners und der Blitze – wie, zum Teufel, sah Diego aus!
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