Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-545-3
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Dunkelheit lag über dem Sumpfwald des Irawadi-Deltas.
Das Mondlicht stach wie mit silbernen Nadeln durch das Blätterdach der Urwaldriesen, spiegelte sich in Schlamm und schwarzem, schillerndem Wasser und ließ ab und zu die Waffen der Männer aufblitzen, die sich keuchend durch das Dikkicht kämpften. Drei Dutzend wilde, verwegene Gestalten: Malaien, Inder und Birmanen, Eingeborene der Inselwelt zwischen Pazifischem und Indischem Ozean, Gesindel aus aller Herren Länder, schließlich der schlitzäugige, kahlköpfe Mongole, der die wüste Horde mit eiserner Faust zusammenhielt. Bis heute jedenfalls war ihm das immer gelungen.
Jetzt hatte sich seine Streitmacht in einen ungeordneten, von panischer Furcht getriebenen Haufen verwandelt.
Bill, der Moses der „Isabella“, biß die Zähne zusammen und haderte mit sich selbst und dem Geschick, vor allem mit dem teuflischen Zufall, der ihn dieser Bande von Halsabschneidern und Halunken in die Hände gespielt hatte. Blut rann über seine Haut, er glaubte immer noch, die Spitze des Krummschwerts an der Kehle zu spüren. Er hatte den Mongolen stellen wollen, diesen elenden Hund, der versuchte, sich feige aus dem Kampf zu verdrücken. Aber dann war es umgekehrt gelaufen: Bill stolperte, stürzte unglücklich und konnte nicht verhindern, daß der Kerl ihn als Geisel benutzte. Ihn – und Kyan Ki, den jungen Krieger aus dem Volk der Mon, der Bill hatte beispringen wollen.
Dem Mongolen ging es um den legendären Schatz, den die Mon angeblich in ihrer geheimnisvollen Dschungelfestung am Irawadi versteckten.
Ein Schatz, an dessen Existenz Bill nicht recht glaubte. Wenn die Mon solche Reichtümer besaßen – hätten sie es dann nötig gehabt, die „Isabella“ zu überfallen, nur um ein paar Waffen zu erbeuten? Hätten sie sich dann vor den ständigen Angriffen ihrer birmanischen Feinde in die Wildnis des Deltas zurückziehen müssen? Selbst wenn sie keine Chance gegen die Übermacht des birmanischen Reichs hatten – mit Hilfe eines solchen Schatzes wären sie doch sicher in der Lage gewesen, wenigstens die Piraten zu verjagen und sich gegen jenen Priester der geheimnisvollen Schwarzen Pagode zu wehren, der mit Hilfe einiger verspengter Spanier eine Armee um sich gesammelt hatte und seinen Privatfeldzug gegen die Mon führte.
Aber der Mongole glaubte daran. Er würde seine Pläne nicht aufgeben und auch weiter versuchen, dem jungen Mon-Prinzen die Wahrheit zu entreißen. Bill schauerte und zerbiß einen Fluch, als ihm einer die Piraten wieder einmal die Faust in den Rücken stieß, um ihn anzutreiben.
Neben ihm stolperte Kyan und verlor das Gleichgewicht.
Er war am Ende und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Mit brutalen Tritten versuchten seine Peiniger, ihn wieder hochzuscheuchen- und das war mehr, als Bill mit ansehen konnte.
Fauchend vor Wut wirbelte er herum.
Der Kerl, der den Wehrlosen getreten hatte, war viel zu überrascht, um zu reagieren. Blitzschnell drosch ihm Bill die Faust ins Gesicht. Der Pirat brüllte und taumelte zurück. Blut schoß aus seiner Nase, der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen, und dieser Anblick entschädigte den Moses ein wenig für das, was im nächsten Moment über ihn hereinbrach.
Die Piraten hatten eine vernichtende Niederlage erlitten.
Entsprechend war die Wut, die sich in ihnen gestaut hatte und Bill jetzt zu spüren kriegte. Er wehrte sich wie ein Tiger, doch es dauerte nur Minuten, bis es dunkel um ihn wurde.
Der Mongole hatte dem Ausbruch brutaler Gewalt schweigend zugesehen.
Jetzt spuckte er aus. Seine schmalen schwarzen Augen funkelten wütend.
„Narren!“ zischte er in seiner Heimatsprache. „Eure eigene Schuld, wenn ihr sie jetzt tragen müßt!“
Wind strich durch das übermannshohe Sumpfgras und kräuselte die Rinnsale, die mit der auflaufenden Flut allmählich wieder breiter wurden.
Dort, wo die „Isabella VIII.“ auf einer Untiefe festsaß, lag das Mondlicht wie ein fahler Silberschleier über dem Schwemmland des Deltas. Die Waldsäume wichen an dieser Stelle etwas zurück, das Filigran von Masten, Rahen und Stagen zeichnete sich als scharf umgrenzte Schatten auf dem dunklen Schlick ab.
Die Galeone war nach einer endlosen Irrfahrt durch das Labyrinth der Wasserarme hier gestrandet. Nicht etwa, weil die Männer der Crew aus Leichtsinn ein zu hohes Risiko eingegangen wären, sondern weil unsichtbare Gegner, von deren Existenz sie nichts ahnten, ihnen den Rückweg abgeschnitten und sie ganz bewußt und sehr geschickt in die Falle gelockt hatten.
Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, stand mit verschränkten Armen auf dem Achterkastell und spähte zu dem etwas entfernten Wasserarm hinüber, wo jeden Moment die flachen Flußboote der Mon auftauchen mußten.
Aber diesmal nicht, um die „Isabella“ von neuem anzugreifen. Das hatten sie zweimal versucht und sich dabei blutige Köpfe geholt, obwohl unter der Crew eine unbekannte Tropenkrankheit wütete und sechs Männer fiebernd und halb oder ganz bewußtlos im Vorschiff lagen. Nein, diesmal erschienen die Boote der Mon, um zu helfen.
Die Kranken und Verletzten sollten den Irawadi hinauf zu der geheimnisvollen Stadt im Dschungel gebracht werden, der letzten Bastion jenes stolzen Volkes. Ihre Heilkundigen kannten sich mit dem tropischen Fieber aus. Und die Krieger kannten das Delta, jeden Mündungsarm des Irawadi, jedes Rinnsal, jeden Tümpel. Unter anderem auch die Bucht, die von der Piratenflotte des Mongolen als Schlupfwinkel benutzt wurde.
Gegen diese Bande von brutalen Mördern, die nicht einmal Frauen und Kinder verschonten, hatten sich die Mon mit den Seewölfen verbündet.
Ein paar Meilen entfernt stolperte Bill, der Moses, neben Kyan Ki her und hatte vergessen, daß es dieser Mann war, dem sie im Grunde den ganzen Schlamassel verdankten: weil er als vermeintlicher Schiffsbrüchiger die Wasservorräte der „Isabella“ ungenießbar gemacht hatte, um sie zu zwingen, in das Flußdelta zu laufen.
Hier auf der „Isabella“ stand der Seewolf neben Yannay Ki, Kyans älterem Bruder, und verschwendete ebenfalls keinen Gedanken mehr an den Ärger, den sie den Mon verdankten. Nein, die feine Art war es nicht gerade gewesen, ein fremdes Schiff in die Falle zu locken, das keinerlei feindliche Absichten hegte, und dazu ausgerechnet die Hilfsbereitschaft der Crew auszunutzen.
Aber die Mon befanden sich in einer verzweifelten Lage. Sie wurden von den Piraten bedrängt, und sie mußten jeden Tag damit rechnen, daß die Birmanen angriffen, die sich in den Bergen um die Schwarze Pagode eingenistet hatten. Letztere verfügten zwar ebenfalls kaum über Schußwaffen, doch dafür war ihre Übermacht um so erdrückender. Der junge Kyan hatte einfach nach einem Strohhalm gegriffen, als er sah, wie leicht die „Isabella“ mit der Piratendschunke fertig wurde, die die Boote der fliehenden Mon verfolgten.
Yannay, älter und weniger voreilig, hatte sich überzeugen lassen, da die Falle nun einmal gestellt war. Gefallen fand er von Anfang an nicht an dem Plan. Ganz davon abgesehen, daß die Rechnung nicht aufging, weil die Mon ihre Opfer gewaltig unterschätzen.
Immerhin: die Lage der „Isabella“ war alles andere als rosig gewesen.
Deshalb entschloß sich der Seewolf auch zu einem Bravourstück: mit zwei Mann holte er Yannay Ki mitten aus seinem Lager heraus, um ihn als Faustpfand zu benutzen. Doch so weit kam es nicht mehr. Unmittelbar danach hatten die Piraten das Lager überrannt. Sie wollten den Schatz. Kyan sollte ihnen verraten, wo sie die sagenhaften Reichtümer finden konnten – und die Schreie des Gefolterten waren noch auf der „Isabella“ zu hören gewesen.
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