Impressum
© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-379-4
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
„In ein paar Stunden ist die Hölle los“, sagte Ben Brighton nach einem abermaligen Blick in den Himmel.
An Bord der „Isabella VIII.“ gab es keinen Mann, der seine Worte bezweifelte.
Erst ein paar Stunden war es her, daß sie zusammen mit der Roten Korsarin die Schlangen-Insel verlassen hatten – bei strahlend blauem Himmel und ruhiger See. Aber dann hatte sich der Himmel verändert. Das anfängliche Blau war erst einem grünlichen Ton gewichen, später war das Grün mehr und mehr in ein schwefliges Gelb übergegangen, das nun schon gut ein Drittel des Himmels bedeckte und sich von Westen her weiter und weiter ausdehnte.
Auch der Seewolf hatte in den letzten Stunden mehr als einen besorgten Blick zum Himmel emporgeschickt. Er kannte sich mittlerweile in der Karibik aus und wußte, wie schnell sich das Wetter dort ändern konnte.
Ed Carberry, der Profos, trat zu Ben Brighton und Hasard.
„Das wird ein Höllenwetter“, sagte er nur. „Wir sollten zusehen, daß wir irgendwo einen Nothafen finden.“ Er deutete auf die einige Kabellängen voraussegelnde Karavelle der Roten Korsarin. „Der Zweimaster hält das Wetter nicht durch. Ferris hat ihn zwar wieder hervorragend zusammengeflickt, aber das Schiff ist zu klein. Da, Backbord voraus, das müßten die Caicos-Inseln sein. Ich weiß, daß es auf der größten von ihnen eine tiefeingeschnittene Bucht gibt, die Schutz bieten würde. Wenn ihr auf mich hört, dann setzen wir jetzt jeden Fetzen Tuch, den unsere Lady tragen kann, und segeln dem Teufel ein Ohr ab. Vielleicht können wir ihm ein Schnippchen schlagen.“
Ferris Tucker, der Schiffszimmermann der „Isabella VIII.“, ein Hüne von Gestalt, fuhr sich durchs rote Haar. Nachdenklich sah er Carberry an, dann glitt sein Blick zum Himmel hoch, dessen Farbe immer bedrükkender und unheimlicher wurde. Das blaue Wasser der Karibik sah schon fast schwarz aus, hell leuchteten erste Gischtkronen zu ihnen herüber. Ferris Tucker kannte den Profos besser als die meisten anderen an Bord. Er wußte, daß sich dieser Mann vor Tod und Teufel nicht fürchtete. Um so bedenklicher stimmte es ihn, daß ausgerechnet Carberry vorschlug, einen Nothafen anzulaufen. Das war noch nie dagewesen.
„Ich glaube, Ed hat recht“, sagte er in die Stille hinein. „Wir sollten die Rote Korsarin verständigen. Wenn sie klug ist, dann zieht sie mit. Ihr Zweimaster ist ein starkes, gutes Schiff, aber bei einem Hurrikan hilft ihr das auch nicht viel.“
Der Seewolf hatte bisher zu allem geschwiegen, er wußte jedoch, daß er sich schnell entschließen mußte. Die Wetter in der Karibik waren äußerst tückisch, zudem befanden sich die beiden Schiffe in gefährlicher Nachbarschaft von kleineren und größeren Inseln, das allein schon konnte bei einem losbrechenden Hurrikan tödlich werden.
„Signalisiert Siri-Tong, daß sie auf Rufweite heransegeln soll“, sagte er, und die erste Bö, die in diesem Moment durch die Takelage der „Isabella“ fuhr und das Schiff weit nach Backbord überholen ließ, unterstrich seine Worte.
Am westlichen Horizont hatte sich ein winziger schwarzer Fleck gebildet, fast nur ein Punkt und für das bloße Auge gerade noch in dem schwefligen Gelb zu erkennen.
Ferris Tucker flitzte zur Kuhl hinunter und von dort auf das Vorkastell der „Isabella“, das aber genauso wie das Achterkastell wesentlich flacher gehalten war als bei Galeonen ihrer Größe sonst üblich.
Unterwegs griff er sich Will Thorne, den Segelmacher.
„Will, ein paar Fetzen her, mit denen ich der Roten Korsarin signalisieren kann!“ stieß er hervor, und der Segelmacher begriff sofort. Er wußte, daß zwischen ihnen und der Karavelle der Piratin eine ganze Reihe Signale zur Verständigung verabredet worden war, und zwar schon im Hinblick darauf, daß sie Caligu, den Schrecken der Karibik, jagen wollten.
Der Segelmacher tauchte in die Vorpiek, war aber schon Minuten später wieder an Deck. In den Händen hielt er zwei rechteckige, yardgroße Lappen, die er an hölzerne Stiele angeschlagen hatte.
Ferris nahm sie ihm aus der Hand, dann begann er mit beiden Segeltuchstücken kreisende Bewegungen auszuführen.
Der Erfolg zeigte sich sofort, Siri-Tongs scharfen Augen war das Signal nicht entgangen, denn ohnehin warf sie von Zeit zu Zeit einen Blick zu der in ihrem Kielwasser dahinsegelnden „Isabella“ hinüber. Und sooft sie es tat, geriet sie von neuem in inneren Aufruhr, denn sie war weit entfernt davon, mit den Ereignissen auf der Schlangen-Insel – dem verlorenen Kampf um die „Isabella“ und ihrer Errettung aus den Fangarmen des Riesenkraken durch den Seewolf – fertig zu sein, Ihre Gedanken kreisten ständig um diesen Mann und seine Besatzung, Siri-Tong hatte in ihrem ganzen Piratendasein so etwas noch nie zuvor erlebt.
Sie sah die Signale und reagierte sofort.
Die Karavelle fiel ab und schob sich wenig später neben die heransegelnde Galeone.
Der Seewolf legte die Hände trichterförmig an den Mund. Dann brüllte er der Roten Korsarin zu, was er vorhatte.
„Wir laufen die große Caicos-Insel an. Südliche Bucht. Segelt voraus, ihr seid schneller. Wir kriegen einen Hurrikan, der sich gewaschen hat. Der schlägt unsere Schiffe kurz und klein, dann ist es aus mit unserer Jagd auf Caligu!“
Er sah, wie Siri-Tong ihn einen Moment lang anstarrte, dann jedoch nickte. Anschließend gab sie die nötigen Befehle.
Die Karavelle ging sofort hoch an den Wind, ihre roten Lateinersegel blähten sich, während das Schiff weit nach Backbord krängte.
Der Zweimaster der Roten Korsarin zog an der „Isabella“, die bei diesem Wind durch ihre rahgetakelten Masten im Nachteil war, vorbei und drehte dann nach Backbord ab, genau auf die dunkle Silhouette zu, die sich als feiner, gezackter Strich an der Kimm abzeichnete.
Auch auf der „Isabella“ trieb Carberry die Männer jetzt mit seiner Donnerstimme an. Völlig unnötig, denn die Männer hatten den Himmel gesehen und wußten, was ihnen drohte.
Der Himmel bezog sich mehr und mehr, der winzige schwarze Fleck vergrößerte sich. Er stand im Westen wie ein unheimliches Auge, das die beiden Schiffe böse anzustarren schien.
Die Sonne verschwand in dem schwefligen Gelb, das Wasser wirkte nunmehr schwarz. Der Wind nahm zu, vereinzelt jagten Böen über die See und peitschten Gischtkronen auf die Wogen.
„Niedergänge verschalken!“ befahl Hasard, und der Schiffszimmermann nickte nur.
Mit ein paar Mann ging er sofort an die Arbeit. Die schweren Bohlentüren, die ins Schiffsinnere führten, wurden gesichert. Die Eingänge zum Vor- und Achterkastell ebenfalls. Tucker wußte genau, was es bedeutete, wenn die Decks von überkommenden Brechern überflutet wurden und das Wasser die Türen zerschmetterte und sich den Weg ins Schiff bahnte. Auf diese Weise waren schon viele große und durchaus seetüchtige Galeonen gesunken.
Carberry scheuchte die übrigen Männer unterdessen in die Takelage. Sie setzten jeden Fetzen, den die „Isabella VIII.“ zu tragen vermochte, denn der Seewolf und seine Männer waren sich darüber im klaren, daß sie jetzt mit dem Tod um die Wette segelten. Einem Tod, der sie aus dem schwarzen Auge anstarrte, das sich weiter und weiter am Horizont hochschob und dabei ständig größer wurde.
Zur selben Stunde, rund hundertfünfzig Meilen südlich der Caicos-Inseln, bahnten sich ebenfalls schlimme Ereignisse an.
Die „Schildkröte“, eine üble Spelunke, die sich Caligu und seine Spießgesellen in einer der Grotten an der Südseite der Insel eingerichtet hatten, war das Hauptquartier des riesigen Piraten. Dort hielt Caligu zusammen mit Maria Juanita, seiner ihn ständig begleitenden Geliebten, und seinen wüsten Kerlen noch wüstere Gelage ab. In dieser Grotte wurde gesoffen, gehurt und geprügelt. Nicht selten gab es Tote, und die warf man der Einfachheit halber gleich ins Wasser, wo die Haie über sie herfielen. Denn die See zwischen Tortuga und den anderen vorgelagerten Inseln wimmelte nur so von diesen gefährlichen Räubern, und längst hatten die Haie gemerkt, daß es an der Schildkröteninsel oft fette Beute für sie gab, vor allem an der Steilklippe westlich des Hafens, der sogenannten „Totenrutsche“.
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