Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-532-3
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Jetzt, am frühen Morgen nach der Nacht, die für die Seewölfe so außerordentlich turbulent verlaufen war, ließ, der Wind aus Südwesten ganz unverhofft nach. Sein Pfeifen und Heulen schwächte mehr und mehr ab und wurde zu einem verstohlenen Wispern, das durch die großen, lappigen Blätter der Farnkräuter und durch die Wipfel der seltsamen Bäume des neuen Landes kroch.
Dann riß auch der schwärzliche Wolkenvorhang über der Ankerbucht der „Isabella VIII.“ auf, und faserige blaßblaue Löcher unterschiedlicher Größe traten hier und da zum Vorschein. Sonnenstrahlen stießen – zunächst noch zögernd, densten Arbeiten verrichtet. Ja, wurden die denn nie müde?
Der Schimpanse stieß einen tiefen Seufzer aus. Für ihn waren diese Zusammenhänge viel zu kompliziert. Und fragen konnte er die Männer auch nicht, was es denn nun wieder zu diskutieren gab. Er verstand ihre Sprache nicht. Umgekehrt begriffen auch sie ihn nicht, wenn er manchmal versuchte, ihnen etwas auseinanderzusetzen.
Hiermit tröstete er sich. Im übrigen begnügte er sich damit, den Narbenmann mit dem großen, eckigen Kinn aus trüben Augen anzusehen und bittend die rechte Hand vorzustrecken. Wieder gab er einen wehleidigen Laut von sich und zog die Miene eines Märtyrers.
„Du kannst mich mal“, sagte der Profos zu dem Affen. „Wenn du glaubst, du kriegst eine Nuß, hast du dich getäuscht. Friß von mir aus Brotfrucht, bis sie dir zu den Ohren ’rausquillt.“
„Laß doch den Affen“, sagte Ferris Tucker. „Was hat er dir denn getan?“
„Nichts, aber er könnte sich nützlich machen“, erwiderte Carberry unwirsch. „Wenn er ein schlauer und fleißiger Affe wäre, dann würde er sich den Schwab-berdweil und den Scheuerstein schnappen und damit die Planken putzen, bis wir unser Spiegelbild darauf sehen können.“
Die Männer stießen sich untereinander an und grinsten sich zu. Natürlich hatte Ferris Tucker den Nagel auf den Kopf getroffen. Carberry wollte es zwar nicht zugeben, aber er hing an dem Aracanga Sir John. Damals, als sie sich in die grüne Hölle des Amazonas’ vorgewagt hatten, dorthin, wo vor ihnen noch kein weißer Mann gewesen war, war der bunte Vogel ihnen zugeflogen. Auf Carberrys Schulter war er gelandet, und seitdem waren der bärenstarke Mann und der redselige Papagei ein Herz und eine Seele.
Und auch an Arwenack hatte der Profos einen Narren gefressen, das wußten alle. In der rauhen Schale steckte ein weicher Kern – Ed Carberry hatte ein Herz für Tiere. Da er dies jedoch für eine Schande hielt, ließ er keine Gelegenheit aus, über das „Viehzeug“ zu schimpfen und es in Grund und Boden zu verwünschen.
Matt Davies wollte gerade wieder eine seiner bissigen Bemerkungen fallenlassen, da ertönte über ihren Köpfen ein scharfer, zischender Laut.
Sofort hoben sie alle die Köpfe – auch Ben Brighton, der erste Offizier und Bootsmann der „Isabella“, der auf dem Quarterdeck stand.
Dan O’Flynn gestikulierte vom Großmars zu ihnen herunter. Er hatte eine Bewegung im Ufergestrüpp registriert, aber er wollte seine Kameraden nicht durch Rufe darauf hinweisen – zweifellos, um jenen, die da im Dickicht rumorten, nicht zu verraten, daß er sie bereits entdeckt hatte.
„Achtung“, sagte Ben verhalten. „Vielleicht starten die Eingeborenen einen neuen Angriff. Geht vorsichtshalber auf Gefechtsstation, Männer.“
„Aye, Sir“, murmelten die Männer.
„Es könnten auch die Riesenvögel sein“, sagte Carberry. „Hölle, was tun wir, wenn sie durchs Wasser zu uns ’rüberkommen und zu entern versuchen?“
„Ich glaube nicht, daß sie schwimmen können“, raunte der Kutscher, während er wie die anderen seinen Blick nicht vom Uferdickicht nahm.
„Glauben ist nicht wissen“, sagte der Profos störrisch. „Und Old O’Flynn hat es ja prophezeit: Die Biester sind Schimären, die uns alle vernichten werden. Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu. Wir hätten gut daran getan, so schnell wie möglich wieder zu verschwinden.“
Ferris Tucker schüttelte den Kopf. „Mein Gott, Ed, so kennt man dich sonst ja gar nicht.“
„Willst du damit sagen, daß mir die Hosen flattern?“
„Tun sie das?“
„Nicht die Spur, du Holzwurm.“
Ferris grinste. „Na bitte, das wollte ich ja nur hören. Danke, Ed.“
Der Profos blickte ziemlich irritiert drein. Eigentlich hatte er eine wilde Drohung ausstoßen wollen, aber Ferris hatte ihm glatt den Wind aus den Segeln genommen. Irgendwie fühlte Carberry sich verschaukelt, doch fand er keinen Ansatzpunkt, um eine geharnischte Antwort geben zu können.
Dan O’Flynn hatte sich so weit über die Segeltuchumrandung des Großmarses gebeugt, daß es aussah, als stürze er jeden Moment hinunter. Aber das geschah natürlich nicht. Trotz seiner Müdigkeit hielt Dan sich mit der altgewohnten Sicherheit auf dem selbstgewählten Posten. Fast die ganze Nacht und die Morgenstunden über hatte er unentwegt nach allen Seiten Ausschau gehalten. Nichts konnte seinen scharfen Augen entgehen. Und so war er jetzt selbstverständlich auch der erste, der entdeckte, wer oder was die Bewegungen im Gebüsch hervorgerufen hatte.
„Deck!“ schrie er plötzlich. „Es sind Smoky und Al Conroy!“
Richtig, zwei Männergestalten verließen das dichte Farngestrüpp und liefen auf den Platz zu, an dem das eine Beiboot der „Isabella“ vertäut lag.
Es war die Jolle, die Hasard und sein siebenköpfiger Landtrupp während der Nacht benutzt hatten, um ans Ufer zu gelangen.
Smoky und Al winkten zur „Isabella“ hinüber, und die Crew erwiderte den Gruß mit Johlen und Pfeifen.
Gleich darauf verstummte die Begeisterung aber wieder. Der Decksälteste der „Isabella“ und Al Conroy hatten die Jolle gelöst und waren hineingeklettert. Jetzt schickten sie sich an, zur Galeone zu pullen.
„Verdammt und zugenäht“, sagte Ben Brighton. „Wo in aller Welt stekken die anderen – Hasard und die Zwillinge, Bill, Shane, Old O’Flynn, Blacky und Pete?“
Die Frage schwebte in der Luft. Es schien keine Antwort darauf zu geben.
Als es nur noch etwa zwanzig Yards waren, die das Boot und die Galeone voneinander trennten, richtete sich Smoky von seiner Ducht auf und hielt mit dem Pullen inne. Er wandte den Kopf und rief Ben und den anderen zu: „Ihr braucht euch keine Sorgen mehr zu machen! Hasard und der Rest der Gruppe sind wohlauf! Wir haben die Zwillinge gefunden! Genügt euch das?“
„Ihr Himmelhunde!“ brüllte der Profos. Hoch richtete er sich am Schanzkleid auf und schüttelte die Faust. „Hättet ihr das nicht gleich sagen können?“
Smoky lachte. „Wir dachten, ihr würdet uns auf die Entfernung bis zum Ufer nicht verstehen!“
Rasch war die Jolle jetzt heran und ging längsseits der Bordwand der „Isabella“. Die Jakobsleiter war noch seit der ereignisreichen Nacht ausgebracht und am Schanzkleid belegt. Smoky und Al vertäuten die Jolle und enterten an den hölzernen Sprossen auf. Sie sprangen auf die Kuhl und begrüßten stürmisch ihre Kameraden.
„Wir brauchen erst mal eine Stärkung“, sagte Smoky. „Wir haben einen ziemlich langen Marsch hinter uns.“
„Ich hole Rum“, sagte der Kutscher. Er drehte sich um und eilte zur Kombüse.
„Uns wäre es lieber, wenn du den Rum mit heißem Wasser verdünnen würdest!“ schrie Al ihm nach.
Ben Brighton hatte das Quarterdeck verlassen und trat vor die beiden hin. „So“, sagte er. „Jetzt macht’s mal nicht so spannend. Was ist geschehen? Wo habt ihr Philip junior und Hasard junior gefunden, und warum seid ihr nicht gleich alle zurückgekehrt?“
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