„Da seid ihr ja endlich“, sagte der Seewolf. „Wir haben uns schon gefragt, ob ihr wohl in eine heiße Quelle gefallen seid. Los, wir wollen keine Zeit mehr verlieren.“
Ferris Tucker bedachte den Sumatra-Jonny beim Nähertreten mit einem höchst argwöhnischen Blick. Wie kann man so einem Kerl vertrauen? fragte er sich. Herrgott, was für eine Jammergestalt!
Jonny bemerkte die Blicke, die nicht nur der rothaarige Riese, sondern auch der Profos und der schwarze Herkules auf ihn abschossen, und er begann wieder, verlegen an seiner total zerlumpten, schmutzigen Kleidung herumzuzupfen.
„Tut mir leid, daß ich so ein schlechtes Bild abgebe“, sagte er. „Aber was Besseres als meine alte Seemannskluft hab ich hier nicht auftreiben können. Zwar habe ich mir den Federmantel und die Gesichtsmaske genäht, um die Maoris zu täuschen und ihnen als Dämon zu erscheinen, aber – nun, darin sehe ich auch nicht viel besser aus.“ Er kratzte sich am Hinterkopf. Sehr überzeugend war seine Rede nicht ausgefallen.
Ferris, der Profos und der Gambia-Mann betrachteten den Fremden, der einen verfilzten Bart und kleine, gerötete Augen hatte, nach wie vor mit einer Mischung aus Mißtrauen und Geringschätzung. Der Mensch, der sich ihnen da als der „Schutzengel“ der Zwillinge präsentierte, sah nicht nur unglaublich verwahrlost aus, er war auch von exemplarischer Häßlichkeit. Unter seiner fleischigen, roten, verwachsen wirkenden Nase klaffte ein viel zu großer Mund mit schadhaften Zähnen. Unter seinem langen, schmuddeligen Bart wölbte sich ein enormer Bauch, der in keiner Proportion zum Rest des seltsamen Körpers stand. Krumme kurze Beine, um deren Füße Lappen von undefinierbarer Farbe gewickelt waren, trugen die gesamte unglückselige Konstruktion, aber sie erweckten den Eindruck, als würden sie das Mannsbild jeden Moment umkippen lassen.
Der Seewolf lachte und trat zu den soeben Eingetroffenen. „Keine Sorge, Männer, Jonny ist in Ordnung. Er ist eine ehrliche Haut, soviel verrät mir meine Menschenkenntnis. Und er hat meinen Söhnen aus der Patsche geholfen. Wenn das nicht zählt!“
„Aye, Sir“, sagte Ferris Tucker und streckte dem Zerlumpten seine klobige Hand entgegen. „Hallo, Jonny, ich bin Ferris Tucker. Der Zimmermann der ‚Isabella‘.“
Jonny drückte die ihm dargebotene Hand und begann zu grinsen. „Freut mich, Mister Tucker. Wir werden schon gut miteinander auskommen. Du wirst dich an Bord nicht über mich beklagen.“
„Was denn?“ stöhnte der Profos. „Wie denn? An Bord? Heißt das etwa, daß wir diesen … Ich meine: Heuert dieser Jonny jetzt etwa bei uns an?“
„Na, hör mal“, sagte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Du willst ihn doch wohl nicht hierlassen, unter Tausenden von Kannibalen?“
„Hol’s der Teufel“, stieß Carberry hervor. „Sie sind also doch Menschenfresser, diese Maoris. Hab ich’s mir doch gedacht.“
„Sie verzehren ihre Gefangenen aber nur aus rituellen Gründen“, sagte Philip junior und gab damit zum besten, was er und sein Bruder Sumatra-Jonnys Erzählungen entnommen hatten.
Carberry grinste freudlos. „Das beruhigt mich aber, Junge. Verdammt, und wie mich das beruhigt.“
Der Seewolf sagte: „Ed, ich habe Jonny genehmigt, mit uns weiterzusegeln. Aber ich habe ihm auch erklärt, daß er bei uns wie jeder andere Decksmann zu arbeiten hat und bedingungslos unserer Borddisziplin unterworfen ist.“
Carberry stieß einen schnaubenden Laut aus und rieb sich die Nase. „Ja, die Disziplin. Die wird bei uns auf der ‚Isabella‘ ganz groß geschrieben. Denn gerade bei so einer Weltumsegelung und der weiten Heimreise nach England können an Bord die wüstesten, haarsträubendsten Dinge passieren.“
„Mich zieht zwar vieles nach Merry Old England zurück“, sagte Sumatra-Jonny. „Aber ich habe beschlossen, mich noch ein oder zwei Jahre auf Sumatra und in Malakka umzusehen. Wer weiß, wann ich jemals wieder dorthin gelange. Deshalb würde ich auf das nächste Schiff, dem wir begegnen und dessen Kurs zu den Sunda-Inseln hinaufführt, überwechseln.“
„In dieser Ecke Welt herrscht ja ein reger Schiffsverkehr“, brummte der Profos. „Jeden Tag läuft ein dicker Rahsegler vorbei, was?“
Jonny lachte. „Das nicht gerade, aber ich habe bestimmt Glück. Wenn wir keine Engländer treffen, können es von mir aus auch Holländer oder Franzosen sein, die mich mitnehmen. Ja, vielleicht sogar Spanier oder Portugiesen.“
„Die sind besonders gut auf unsereins zu sprechen“, versetzte Carberry. „Die schneiden dir gleich die Ohren ab, wenn du dich ihnen zeigst, Jonny aus Bristol, und das würde mir für deine großen Horchwerkzeuge sehr leid tun.“
Alle lachten jetzt, und der Seewolf sagte: „Hör auf, Ed. Sei nicht so unfreundlich zu unserem Landsmann.“
„Bin ich das?“ Carberry blickte sich verdutzt nach allen Seiten um, dann wandte er sich wieder Jonny zu. „Ho, dem alten Carberry soll keiner nachsagen, daß er einen Engländer mies behandelt oder gar kujoniert. Hölle und Teufel, bei uns sind sogar schon Spanier mitgesegelt, und auch denen hat’s prächtig gefallen.“ Er spielte mit diesem Satz auf Serafin und Joaquin, die ehemaligen Decksleute der „Hernán Cortés“, an. Diese beiden waren als Besatzungsmitglieder mit der „Isabella“ von Tutuila nach Espiritu Santo gereist.
„Also, Jonny.“ Der Profos reichte dem zerlumpten Mann seine große Hand. „Willkommen in der Crew der ‚Isabella‘. Bei uns hast du was zu lachen, das schwöre ich dir, und mit mir kommen alle bestens aus. Stimmt’s?“
„Klar“, sagte Al Conroy, der nur mühsam sein Lachen unterdrücken konnte. „Wir verstehen uns so großartig, daß unser Profos nie einen Anlaß zum Fluchen und zum Brüllen findet.“
Jonny ergriff die Profos-Hand und hielt tapfer stand, als Carberry ihm die Rechte zu zerquetschen drohte.
„Mit mir wirst du keinen Ärger haben, Mister Carberry“, sagte er ein wenig gequält.
Batuti trat auf den dicklichen Mann zu und sagte: „Ich bin Batuti aus Gambia, Freund. Schwarzes Farbe ist nicht aufgemalt, wenn dich wer fragt.“
„Mann!“ Sumatra-Jonny begann zu kichern. „Ich bin doch nicht von gestern und selbst schon in Gambia gewesen, ja, da staunst du, was? Und wenn ich dir erzähle, wie herzlich ich dort von einem Stamm deiner Brüder aufgenommen und beköstigt worden bin, wirst du begreifen, was für eine prächtige Meinung ich von deinesgleichen habe.“
„Donnerkeil“, entfuhr es dem schwarzen Herkules. „In welches Gegend war das, Jonny?“
„Darüber könnt ihr euch später noch ausführlich unterhalten“, sagte der Seewolf. „Laßt uns jetzt aufbrechen. Jonny, du marschierst mit mir an der Spitze unseres Trupps und weist uns den Weg. Ist der Platz, an dem das Gold liegt, weit von hier entfernt?“
„Es sind gut zwei Meilen bis dorthin“, erklärte Sumatra-Jonny. „Aber die Höhle liegt viel tiefer als mein Schlupfwinkel hier, und die Strecke dorthin ist nicht so beschwerlich wie der Weg über die Sinterterrassen.“
Ferris Tucker hielt ihn noch einmal kurz zurück, bevor er mit dem Seewolf die Führung der Gruppe übernahm. „Sag mal, bist du wirklich ganz sicher, daß es Gold ist, das du entdeckt hast?“
Jonny zerrte den Klumpen, den er am frühen Morgen schon dem Seewolf gezeigt hatte, wieder aus der einzigen Tasche hervor, die in seinem Fetzengewand verblieben war. Demonstrativ hielt er ihn Ferris unter die Nase.
Carberry und Batuti rückten neugierig näher.
„Vielleicht sehe ich so aus, als wäre ich nicht mehr ganz richtig im Kopf“, sagte Jonny. „Aber ich bin’s noch. Das hier ist wirklich und wahrhaftig Gold, und ich weiß, daß es eine ganze Ader davon gibt, die ich bloß allein nicht freilegen kann. Mister Tucker oder Mister Carberry – oder du, Batuti, wollt ihr mal ’reinbeißen, um euch von der Echtheit zu überzeugen?“
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