Impressum
© 1976/2014 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-394-7
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
„Nicht mehr lange, und wir kriegen Sturm“, sagte die Rote Korsarin zu dem Boston-Mann, der neben ihr auf dem Achterkastell der zweimastigen Karavelle stand.
„Da mögen Sie recht haben, Madame“, antwortete der schweigsame Mann, in dessen linken Ohr ein großer, goldener Ring baumelte, der bei jeder Bewegung hin und her schlenkerte.
Siri-Tong, wie die mandeläugige, schwarzhaarige Frau hieß, warf einen letzten Blick über die Schulter.
Die Schlangen-Insel entschwand langsam am Horizont. Man sah die himmelhohen Felsen nur noch klein aus dem Meer ragen.
Vor zwei Stunden waren sie losgesegelt mit Kurs auf Tortuga, die Schildkröten-Insel, auf der sie Ausrüstungsmaterial für den schwarzen Segler einkaufen wollten. Auch ein paar neue Besatzungsmitglieder wollte die Rote Korsarin dort anheuern, vorausgesetzt es gab in den Spelunken noch ein paar einigermaßen anständige Kerle, und nicht nur Halsabschneider, Schnapphähne, Gauner und Ehrlose.
Der Boston-Mann schwieg nach den paar Worten. Dafür folgten seine Augen der Blickrichtung Siri-Tongs, und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Er kannte diesen Blick der Roten Korsarin, er war verträumt und weich und verlor sich in unendliche Fernen.
Kein Wunder, dachte er, denn nicht weit vor ihnen segelte die ranke Galeone des Seewolfs, und er hätte jede Wette gehalten, daß Siri-Tong jetzt in Gedanken bei dem schwarzhaarigen Teufel Killigrew war, dem Seewolf, wie ihn Freund und Feind gleichermaßen nannte.
Auch der Boston-Mann warf jetzt einen besorgten Blick zum Himmel. Im Südwesten braute sich etwas zusammen, und das sah verdammt nach einem ausgewachsenen Sturm aus. Man konnte das nahende Unwetter förmlich riechen, dazu kam das hohle Brausen der Karibischen See, die sich langsam auftürmte.
Der Bootsmann Juan stieg aufs Achterkastell, ein Klotz von einem Kerl. Er rieb sich den Nacken und sah die Rote Korsarin an. Dabei wiegte er bedenklich seinen Schädel.
„Sieht nach einem höllischen Unwetter aus, Madame. Wenn wir jetzt über Stag gehen und kreuzen, können wir die Schlangen-Insel in gut drei Stunden erreichen.“
Einen Augenblick schien es, als wolle die Rote Korsarin auf seinen Vorschlag eingehen, doch dann schüttelte sie den Kopf, daß ihre schwarzen Haare flogen.
„Das wird uns nichts mehr nutzen, Juan. Wir müssen den Sturm abreiten. So oder so, wenn die See zu ruppig wird, laufen wir West-Caicos an und warten das Unwetter dort ab.“
„Bis dahin segeln wir noch länger als drei Stunden“, wandte der Bootsmann ein.
„Es bleibt dabei, Juan. Wir folgen der Galeone des Seewolfs. Hasard denkt bestimmt auch nicht daran, umzukehren.“
„Sein Schiff ist auch stabiler als unseres“, brummte Juan, ehe er davon ging.
Der Himmel verfinsterte sich. Aus einer schweflig-dunklen Wolkenbank zuckte ein langer Blitz. Donner war nicht zu hören. Eine plötzliche Bö fuhr in die Lateinersegel, begleitet von einem wilden Heulen, das gleich wieder verklang.
Die „Isabella VIII.“, mehr als eine Meile voraussegelnd, war in gespenstisches fahles Licht getaucht. Wie Dunst aus der Hölle umhüllte die Aura den Segler.
Die Rote Korsarin sah, wie auf der Galeone die ersten Segel weggenommen wurden. Mit der Sturmfock segelten die Seewölfe weiter.
Ja, die Kerle verstanden ihr Handwerk, dachte sie neidvoll, obwohl sie selbst auch gute Seeleute an Bord hatte. Aber die mußten erst immer gescheucht werden und brauchten lange Erklärungen. Von allein tat kaum jemand einen Handschlag, außer Juan und dem Boston-Mann.
Die „Isabella“ segelte hart über Steuerbordbug. Ihr Bug tauchte wild ins Wasser, hob sich zornig daraus hervor und schüttelte die Wassermassen wie ein riesiges Tier von sich ab.
Der Sturm raste jetzt heran wie ein Gigant. Urgewaltig röhrte er los und erhob sich mit aller Macht, um die See von den lästigen hölzernen Dingern leerzublasen.
Hasard warf einen besorgten Blick achteraus, wo die Rote Korsarin segelte. Noch konnte man das bißchen See ruppig nennen, dachte er, aber das würde sich gleich ändern, in ein paar Minuten schon. Dann würde die Hölle aufbrechen.
„Meinst du, sie schafft es?“ fragte Ben Brighton. „Ich meine, jetzt natürlich noch – aber nachher?“
„Sie muß es schaffen“, murmelte der Seewolf mit zusammengepreßten Lippen. „Umkehren können wir nicht mehr. Signalisiere ihr, daß wir so schnell wie möglich eine der Caicos-Inseln anlaufen werden. Sie soll auf Kurs bleiben. Und Dan soll aus dem Großmars abentern, damit er nicht über Bord geht. Wir brauchen im Augenblick keinen Ausguck.“
„Aye, aye, ich erledige das selbst.“
Ben Brighton verschwand wie ein Blitz. Kurz darauf signalisierte er der Roten Korsarin, was Hasard angeordnet hatte.
Auf der Zweimast-Karavelle blickte Siri-Tong angestrengt zur „Isabella“ hinüber, als sie die Gestalt auf dem Achterkastell sah. Durch das Spektiv erkannte sie Brighton. Sie verstand auch die Signale und nickte.
„Eine der Caicos-Inseln“, sagte sie leise. „Etwas anderes wird uns auch kaum übrigbleiben.“
„Bis dahin schaffen wir es, Madame“, sagte der Boston-Mann beruhigend. Allerdings glaubte er selbst kaum daran, denn jetzt erhoben sich die ersten Wellenberge zu imponierender Größe.
Sie rollten heran, ohne Schaumkronen, dunkel und drohend wie gewaltige Hügel aus dunklem Glas. Sie hoben die Karavelle hoch empor und setzten sie sanft wieder ab. Aber schon die zweite und dritte Welle waren nicht mehr so sanft. Sie donnerten wütend gegen den Schiffsrumpf und ließen die Karavelle in allen Verbänden erbeben.
„Die signalisieren noch etwas“, sagte der Boston-Mann. „Aber ich verstehe die Zeichen nicht, Madame. Da, sie werfen etwas über Bord, sehen Sie!“
„Wir sollen das gleiche tun“, sagte die Rote Korsarin. „Das jedenfalls bedeuten die Zeichen. Sie werfen Taue über Bord, hast du gesehen?“
„Ja, Madame.“
„Was hat das zu bedeuten?“
„Keine Ahnung, Madame.“
„Himmelherrgottverdammt“, explodierte Siri-Tong plötzlich. „Sag nicht immer ja und nein. An ein paar Worten zuviel ist noch keiner gestorben, verstanden!“
„Aye, aye, Madame!“
Siri-Tong blickte angestrengt hinüber. Dort klatschten dicke Trossen ins Wasser, die die „Isabella“ hinter sich herschleppte. Den Sinn begriff sie erst nach und nach, denn den Trick, den der Seewolf bei dicker See anwandte, kannte sie nicht. Er hatte auch nie darüber gesprochen.
Jetzt durchschaute Siri-Tong das Manöver, als sie angestrengt durch das Spektiv sah.
Hasard hatte die Trossen ausgelegt, um das Heck gegen die See zu halten. Dabei wirkten die Trossen als Bremsen, die das Schiff hinter sich her schleppte. Die Korsarin wußte nicht, daß Hasard diesen Trick von seinem Alten, Sir John Killigrew, gelernt hatte. Bei rauher See hatten sich diese „Bremsen“ immer hervorragend bewährt. So auch jetzt.
Der größte Teil der Besatzung sah verständnislos zu. Aber dann hatten sie alle begriffen, und auf der Karavelle wurden jetzt ebenfalls die schwersten Trossen ausgebracht, die sie an Bord hatten. Der Erfolg trat fast augenblicklich ein, das Schiff lag ruhiger im Wasser.
Der Sturm begann jetzt zu wüten. Mit großer Heftigkeit schob er riesige Wellenberge vor sich her, die sich immer höher auftürmten und gegen die Karavelle anrollten.
Von Minute zu Minute wurde die See wilder und ungezügelter. Die Karibik erwachte und begann, sich von ihrer übelsten Seite zu zeigen.
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