Ächzend legte sich der Zweimaster in die nächste See und raste trotz der verminderten Segelfläche immer schneller los.
Heulen, Rauschen und wildes Brausen erfüllten die Luft. Ab und zu zuckten Blitze aus dem Himmel und fuhren als lohende, wild knatternde Flammenbündel irgendwo ins Wasser.
Wilde Gischt erschien, die sich wie ein trüber Schleier über alles legte, und die „Isabella“ so verhüllte, daß sie nur noch als schwacher Schemen sichtbar war. Angst kannten die Männer nicht, aber in ihren Augen lag doch Besorgnis, als die Karavelle immer höher gehoben wurde und direkt in den Himmel zu rasen schien. Dann wieder fiel sie steil nach unten in bodenlose Tiefen. Machtvoll klatschte sie ins Wasser zurück, in allen Verbänden ächzend und stöhnend.
Und es wurde immer schlimmer. Die Karavelle hatte gegen die mit ungestümer Kraft anrollenden Brecher immer schwerer zu kämpfen. Sie stieß mit ihrem Bug hinab in schwindelnde Tiefen, wurde dann emporgerissen und verharrte auf den Riesenwellen ganz hoch oben sekundenlang, ehe sie wieder in die chaotischen Abgründe hinabgerissen wurde.
Am Kolderstock standen jetzt vier Männer, die sich in aller Eile mit Tampen abgesichert hatten. Sie waren kaum noch in der Lage, sich auf den Beinen zu halten. Die Brecher, die das Schiff wie eine Sintflut überfielen, rissen sie immer wieder von den Beinen.
Auch die Rote Korsarin hatte sich angebunden. Zeitweilig wußte sie nicht mehr, wo oben und unten war. Das ganze Schiff schien sich ständig zu überschlagen.
Hart knallend donnerten die Brecher an den Bug, überschwemmten die Karavelle, bis sie fast unter Wasser lag und sich nur noch schwerfällig und torkelnd wieder aufrichtete.
Der nächste Wellenberg drehte das Schiff halb um die eigene Achse. Es ging blitzschnell. Und als der zweite Berg aus Wasser heranrollte, legte sich die Karavelle auf die Backbordseite.
Ein schmetternder Schlag dröhnte überlaut.
Siri-Tong sah sich verzweifelt um. Jetzt war alles aus, dachte sie, den nächsten Schlag überstand das Schiff nicht mehr, dazu lag es zu stark gekrängt in der tobenden See.
Sie sah das Gesicht des Boston-Mannes. Es hatte seine gesunde Bräune verloren. Der Boston-Mann war blaß, als er den Blick zurückgab. Auch er wußte mit Sicherheit, was sie jetzt gleich erwartete. Das Schiff hatte Wasser übernommen, fast mehr als es verkraften konnte, und da donnerte auch schon der nächste Brecher mit elementarer Gewalt heran.
Die vier Männer am Kolderstock wurden hilflos davongewirbelt. Die Taue, mit denen sie sich angeleint hatten, verhinderten, daß sie über Bord gerissen wurden.
Es war wie der Schlag eines Riesen, der unbarmherzig mit einem gewaltigen Hammer auf das Schiff schlug.
Durch die kochende See hallte ein Schrei, ein Krachen und Bersten folgte, Wassermassen ergossen sich über das Schiff, und jeder an Bord hatte das Gefühl, als würde sich die Karavelle steil auf den Bug stellen, um in die Tiefe der See hinabzurasen.
Siri-Tong rang nach Luft. Sie kriegte keine, weil überall Wasser war. Neben ihr, über ihr, nur noch Wasser, Wasser ohne Ende.
Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, hörte nur immer noch das wilde Krachen und Bersten, dann ein Splittern, danach folgte ein dumpfer Fall, als wäre ein Teil des Schiffes abgebrochen.
So sieht das Ende aus, dachte sie. Die See hieb die Karavelle zu Kleinholz und würde die traurigen Reste auf den Grund des Meeres schicken. Und sie alle mit! Aus dieser Hölle kam niemand mehr heraus, mörderische Karibik.
Und der Seewolf – wo war er? Sie konnte sein Schiff in den aufgewühlten Tälern und Bergen nicht mehr sehen, die Gischt verhüllte alles.
Wo war er, dachte sie bitter. Er konnte ihr nicht zu Hilfe kommen, es war völlig ausgeschlossen, denn bei diesem Seegang hatte er ganz sicher alle Hände voll zu tun, um die „Isabella“ in dem Sturm zu halten. Er konnte nicht helfen.
Als die Wassermassen sich verlaufen hatten, sah sie Juan. Er kroch auf allen Vieren über Deck, eine Leine hinter sich herziehend, die er um seinen Körper geschlungen hatte. Sein Gesicht war blutig, er hatte sich die linke Wange aufgerissen.
Mit einer Hand deutete er auf den Besanmast. Doch da folgte schon wieder die nächste Woge und drückte die Karavelle unter Wasser. Wieder erstickten sie fast.
Und das Heulen, Pfeifen, Brausen und Orgeln der entfesselten See wurde noch lauter. Schrill und nervtötend pfiff es, und wieder zog es den Zweimaster so hart über, daß er jeden Augenblick zu kentern drohte.
Jetzt erst sah Siri-Tong, was Juan mit seiner Handbewegung angedeutet hatte.
Der Besanmast fehlte! Er war einfach weg, abrasiert von der mörderischen Welle. Gaffelrute und Segel waren ebenfalls verschwunden.
Der Boston-Mann schrie etwas. Die Rote Korsarin verstand den Sinn seiner Worte nicht, der heulende Sturm überlagerte jedes andere Geräusch.
Da erst sah sie die Bescherung. Das stehende Gut des Mastes mußte gekappt werden. Der Besan hing außenbords und riß das Schiff immer stärker zur Seite. Der Mast zog und zerrte, löste sich aber nicht, weil ein Teil der Wanten ihn hielt.
„Schnell, kappt das Gut!“ schrie sie laut, um das Orgeln und Brausen zu übertönen.
Was sie jetzt vorhatten, mutete wie Wahnsinn an, doch das Leben aller hing davon ab. Sich auf dem wild tanzenden Deck überhaupt zu halten, grenzte schon an ein Kunststück, aber dabei noch zu arbeiten, war so gut wie ausgeschlossen. Dennoch, sie mußten es tun, um dem Schiff die Stabilität wiederzugeben.
Es wurde ein Höllentanz, an dem sich auch Siri-Tong beteiligte.
Der Boston-Mann hackte wie ein Wilder auf das Tauwerk los. Seine Schläge wurden von pausenlosen Flüchen begleitet, mit denen er Wanten und Pardunen zu Leibe rückte. Er schuftete, hieb mit wild rollenden Augen um sich, verlor immer wieder den Halt, rutschte über Deck und fluchte weiter, sobald er auf die Beine kam.
Himmelhohe Brecher überschütteten sie, hoben den lädierten Zweimaster hoch und warfen ihn wie ein Spielzeug in die tiefsten Wellentäler hinunter.
Aber dann waren sie das stehende Gut los. Der Mast löste sich vom Schiff und verschwand in der kochenden See, nachdem er der Karavelle noch einen gewaltigen Rammstoß verpaßt hatte.
Die nächste Wasserwalze, die heranraste, riß zwei Kanonen aus der Verankerung, donnerte sie zur Steuerbordseite hinüber, wo sie eine Sekunde lang ganz ruhig dastanden, ehe sie von der nächsten Woge erfaßt wurden und irgendwo gegenprallten. Diesmal war die Wucht weitaus stärker.
Niemand war in der Lage, etwas zu unternehmen. Ihnen blieb nur die Angst und das hilflose Zuschauen, denn was jetzt gleich passierte, wußte jeder, es konnte nicht ausbleiben.
Ein nächster Stoß ließ die Karavelle hart überkrängen. Und in diesem Augenblick rasten die beiden Kanonen los. Sie polterten über Deck und jagten auf das Schanzkleid zu.
Siri-Tong schloß die Augen. Aber sie hörte das fürchterliche Krachen und Bersten, mit dem die schweren Kanonen das Schanzkleid zerschlugen, daß die Splitter nach allen Seiten flogen.
„Jetzt kann wenigstens das Wasser ungehindert ablaufen“, sagte der Boston-Mann trocken.
Sie waren fast eine Stunde durch den Sturm geknüppelt und ein Ende war nicht abzusehen. Noch war der Himmel dunkel bewölkt, aus der schwefligen Wolkenbank war ein schwarzes Ungeheuer geworden, aus dem pausenlos grelle Blitze zückten.
Niemand an Bord der Karavelle glaubte noch an eine Rettung. Da halfen selbst die Trossen nicht mehr, die sie ausgelegt hatten.
Den Männern auf der „Isabella“ erging es nicht viel besser. Schon rechtzeitig hatte Hasard überall an Deck Strecktaue spannen lassen, noch bevor der Höllentanz losging.
Jetzt segelte die ranke Galeone nur mit einer Sturmfock gegen das Geheul und Gewimmer, Kreischen und Brausen an. Um sie her war die Hölle, ein kochendes, wild bewegtes Meer, aus dem quirlende Berge stiegen, die sich alle paar Sekunden verwandelten.
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