Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-568-2
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Leicht taumelnd betrat Philip Hasard Killigrew das Hauptdeck seines Schiffes, der „Isabella VIII.“. Die Brandwunde auf seiner rechten Wange schmerzte noch heftig, und er vermochte den Unterkiefer nur unter erheblichen Anstrengungen zu bewegen. Doch kein Mensch konnte ihn dazu anhalten, auch nur einen Augenblick länger in der Kapitänskammer zu verweilen – auch Arkana und Araua nicht, die ihn verbunden und gepflegt hatten.
Unwillkürlich schloß er bei dem Bild, das sich seinen Augen bot, die Augen. In der Nacht nach der Schlacht hatte er bereits Bilanz gezogen. Ben Brighton hatte ihm einen umfassenden Bericht von ihrer Situation gegeben. Doch jetzt, am Morgen, unter dem gnadenlos klaren Sonnenlicht des erwachenden Tages war der Eindruck von der Lage noch viel schockierender.
Die harte Realität traf ihn wie ein Schlag. Fast hätte er gestöhnt, aber nicht wegen seiner Schmerzen, sondern wegen des verheerenden Zustandes seines Schiffes und seiner Mannschaft.
Das sollte noch die „Isabella“ sein, dieses rußgeschwärzte Wrack, das mit Schlagseite in der Bucht der Schlangeninsel lag und dem Untergang näher zu sein schien als jeder Hoffnung, die sich mit einer raschen Wiederherstellung der ursprünglichen Beschaffenheit verband – ihre „Isabella“?
Der Seewolf schritt über das schräge Deck bis zur Nagelbank des Großmastes und lehnte sich dagegen. Sein Blick wanderte über die Kuhl und die Back, wo noch die Blutspuren des Gefechts zu sehen waren, zum Schanzkleid, das nur noch in lächerlichen Fragmenten vorhanden zu sein schien, und zu der zweitvordersten Culverine der Backbordseite, deren letzte Überbleibsel auf den Planken verstreut lagen. Er schaute auf und betrachtete einige Zeit die Masten und Rahen, das zusammengeraffte Tuch und das laufende und stehende Gut, in dem eine heillose Unordnung herrschte. Von den drei Masten der „Isabella“ war praktisch nur noch der Großmast völlig intakt.
Hasard senkte den Blick und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dies war nun das bittere Fazit des Kampfes bei den Caicos-Inseln. Aber nicht nur die „Isabella“ war hart angeschlagen, auch die Crew hatte es schlimm getroffen, schlimmer als je zuvor. Zwar waren keine Toten zu beklagen, doch es gab jede Menge Verletzte, deren Klagen und Fluchen noch bis tief in die Nacht an seine Ohren gedrungen war.
Jetzt lagen die Verwundeten im Mannschaftslogis, und der Kutscher und die Kriegerinnen Arkanas bemühten sich um ihr Wohlergehen, soweit die Umstände es zuließen.
Eine Woche, dachte der Seewolf. Wir brauchen mindestens eine Woche Zeit, bis wir das alles wieder halbwegs in Ordnung gebracht haben.
Und der Schwarze Segler Thorfin Njals? Und der Rote Drache von Siri-Tong? Er ließ seinen Blick wandern und sah die Schiffe in der Bucht ankern: schwere Schäden auch dort, viele Verletzte, und der Wikinger und die Rote Korsarin hatten reichlich damit zu tun, die Blessuren der Männer zu verarzten und die Lecks abzudichten, durch die das Wasser in die Rümpfe strömte.
Don Bosco war endlich besiegt. Aber war der Preis, den sie für diesen Triumph gezahlt hatten, nicht zu hoch?
Langsam, langsam, dachte Hasard, nur nicht zu pessimistisch sein. Hölle, hat es dir den Verstand verblendet?
Er holte ein paarmal tief Luft. Der kühle Morgen ließ die Lebensgeister voll erwachen. Die Hölle, das hatte Old Donegal Daniel O’Flynn einmal in einem zuversichtlichen Moment gesagt, mußte nicht unbedingt so heiß sein, wie man vielleicht glauben mochte. Irgendwo gab es immer einen Hoffnungsschimmer. So hatte er, der ewige Schwarzmaler und Hellseher, sich ausgedrückt, und wenn er schon dazu in der Lage war, dann mußte ein Philip Hasard Killigrew es erst recht sein. In dieser Lage bedeutete dies, sich selbst am Schopf zu pakken und aus dem Schlamassel zu ziehen.
Hasard kriegte ein grimmiges Grinsen zustande. Alte Lady, dachte er, dich flicken wir schon wieder zurecht, und am Ende siehst du besser aus als je zuvor, so daß dir kein Mensch dein wahres Alter ansieht.
Er wurde in seinen Überlegungen durch Ben Brighton und Ferris Tukker unterbrochen, die gerade aus dem Vordecksschott traten und auf ihn zuhielten.
Er sah sie an und sagte: „Also los, ihr beiden – raus mit der Sprache und nicht lange um den heißen Brei herumgeredet! Wie sieht es unten wirklich aus?“
Ben räusperte sich. „Sir, du solltest dich lieber schonen. Es ist nicht richtig, daß du schon wieder an Deck bist. Wir werden hier auch allein fertig.“
„Geschont habe ich mich schon die ganze Nacht über“, sagte der Seewolf. „Also?“
„Das mit dem Kiefer – ich meine, du solltest es nicht unterschätzen. Der Kutscher hat gesagt, daß er ihn vielleicht noch klammern muß. Du solltest ihn sowenig wie möglich bewegen.“
„Mister Brighton – soll das ein Redeverbot sein?“
Ben gab sich einen Ruck und sah seinem Kapitän offen in die Augen. „Nein, Sir, natürlich nicht.“
Ferris Tucker mußte grinsen.
„Dann kommt zur Sache“, sagte Hasard. „Ich erwarte präzise Angaben. Dieser verdammte Kahn hat sich immer noch nicht wieder ganz aufgerichtet. Woran liegt das, Ferris?“
Das Grinsen verschwand aus dem Gesicht des rothaarigen Schiffszimmermanns. „Wir haben sämtliche Lecks in Höhe der Wasserlinie abgedichtet“, erklärte er. „Jeweils vier Männer bedienen umschichtig die Lenzpumpen, trotzdem zieht die ‚Isabella‘ immer noch Wasser. Woran das liegt, ist logisch: Es gibt noch mehr Löcher, und zwar unterhalb der Wasserlinie.“
„Umwerfend logisch, Ferris“, sagte der Seewolf. „Weiter.“
„Sehr groß können sie aber nicht sein.“
„Das heißt mit anderen Worten?“
„Ich warte, bis das Leckwasser so weit raus ist, daß ich an die Lecks herankomme. Dann stopfe ich sie zu, und zwar so fest, daß sich kein Meeresfloh mehr durch die Ritzen quetschen kann“, entgegnete Ferris Tukker. „Ich behaupte, daß noch vorm Dunkelwerden die ganze Lady so dicht ist wie ein zugeschmiedetes Kanonenrohr. Dafür leg ich meine Hand ins Feuer. Dafür laß ich mir den Kopf abschlagen, wenn’s nicht stimmt.“
„Gut, Ferris. Wir brauchen also nicht aufzuslippen?“
„Nein. Das erkenne ich schon jetzt.“
Hasard war mit dieser Auskunft zufrieden. Ferris wußte genau, was er sagte, er hätte sich niemals in vage Ankündigungen verstiegen. Die Tatsache, daß die Schäden am Rumpf von den Frachträumen aus behoben werden konnten, daß die „Isabella“ also in der Bucht liegenbleiben konnte und nicht mühsam an Land gezogen werden mußte – allein das bedeutete eine erhebliche Zeitersparnis.
„Was ist mit dem Rest?“ erkundigte er sich.
„Drei Tage Arbeit“, erwiderte Ben Brighton. „Nicht mehr. Richtig, Ferris?“
„Goldrichtig.“
„Danke“, sagte der Seewolf. „Das genügt mir vorerst. Ich hatte schon befürchtet, das Instandsetzen des Schiffes würde eine Woche oder noch länger dauern.“
Ferris lächelte wieder. „Ach wo! Die Hunde haben uns zwar ganz schön zusammengeschossen, aber wir sind ja Gott sei Dank nicht alle flügellahm. Wir können kräftig zupacken, oder? Das Schlimmste sind die Lecks. Habe ich die erst mal dicht, ist der Rest fast ein Kinderspiel.“ Er wies auf die kaputten Masten und das ramponierte Schanzkleid.
Der Bugspriet mußte erneuert werden, der Besan ebenfalls. Auch den Fockmast, den es im Gefecht bis zur Hälfte weggefegt hatte, galt es durch einen neuen zu ersetzen. Ferris mußte die fehlenden Rahen erneuern und das laufende und stehende Gut richten. Segel mußten teils geflickt, teils neu gesetzt werden, eine Aufgabe, die in erster Linie Will Thorne, dem Segelmacher, zufiel. Fast das gesamte Schanzkleid mußte renoviert werden, und auch ein neues Ruderhaus war erforderlich, denn das alte war im Gefecht zerstört worden. Nahm man die zahlreichen Beschädigungen auf dem Achterdeck, der Kuhl und der Back hinzu, so bedurfte es wirklich schon eines sehr sonnigen Gemüts, von einem „Kinderspiel“ zu sprechen.
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