Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-536-1
Internet: www.vpm.deund E-Mail: info@vpm.de
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Schüsse peitschten.
Musketenfeuer, das sich an den Klippen brach und als hallendes Echo über das Wasser der Bucht rollte. Aber zwischen den Feuerstellen und halb zerstörten Pfahlhütten am Strand wurde nicht gekämpft. Es waren Signalschüsse, die das Lager weckten und die sechs Schiffe alarmierten, die in der Bucht vor Anker lagen.
Zwei Dutzend braunhäutiger Gestalten, die eben noch zusammengerollt im Sand gelegen hatten, schreckten aus dem Schlaf.
Von den Felsen der Landzunge her stürmte der Steuermann des Flaggschiffs mit fuchtelnden Armen über den Strand. In der Rechten schwang er die schwere Muskete, die er abgefeuert hatte. Seine Stimme überschlug sich.
„Surraj!“ schrie er in seiner Heimatsprache. „Der verdammte Bastard ist geflohen!“
Die Männer – Malaien, Inder und Mischlinge – sahen sich erschrocken an.
Sie hätten keinen Grund gehabt, die Flucht des Gefangenen zu bedauern, sie waren nicht freiwillig monatelang hinter ihm hergejagt. Die Brandmale an ihren Schultern zeichneten sie als Sklaven, und die Peitschennarben auf ihren Rücken verrieten, daß sie unter der Knute ihres Besitzers ein hartes Los hatten. Aber in ihren Gesichtern spiegelte sich blankes Entsetzen. Sie wußten, was ihnen blühte, wenn der Gefangene wirklich entwischt war. Der Mogul von Annampar würde schäumen vor Wut, und er würde seinen Zorn erbarmungslos an jenen auslassen, die sich nicht wehren konnten.
Schon wurde auf dem Flaggschiff der Tiger-Flotte ein Beiboot abgefiert.
Ein Monstrum von Beiboot, das jedem echten Seemann nur galliges Gelächter entlockt hätte. Es war ungewöhnlich flach und breit gebaut, verschnörkelt und mit Zierrat überladen, und trug als Prunkstück einen schattenspendenden Baldachin, unter dem ein reich verziertes Lederkissen den Thron ersetzte.
Im Augenblick wirkte das Fahrzeug zudem noch ausgesprochen hecklastig. Denn Abu Bashri, der selbsternannte „Mogul“ der kleinen Insel Annampar in der Banda-See, wog gut und gern seine zwei Zentner – die Juwelen und das riesige, kostbare Krummschwert nicht mitgerechnet.
Die Schiffe, die in der Bucht dümpelten, standen dem Beiboot-Monstrum nicht nach.
Schwimmende Paläste waren es, reich geschmückt mit springenden Tigern als Galionsfiguren, Tigerköpfen mit aufgerissenen Rachen auf den jetzt geborgenen Segeln, Pagodendächern über den Aufbauten, Baldachinen, roten und goldenen Seiden-Draperien, prächtigem Beiwerk in jeder Form. Der Sturm hatte sie gezaust und die ganze Herrlichkeit ziemlich durcheinandergewirbelt. Aber dieser Sturm, vor dem sie sich in die geschützte Bucht an der australischen Küste verholen wollten, hatte sie auch der „Candia“ in den Weg geblasen, dem Schiff Erland Surrajs, das jetzt als Wrack zwischen den Felsen hing.
Surraj war trotz des Wetters ausgelaufen, um seine Kinder zu suchen: Yabu und Yessa, die es nicht rechtzeitig geschafft hatten, mit ihrem Fischerboot vor dem Sturm in die Bucht zurückzukehren.
Mit dem zehnjährigen Jungen, dem achtjährigen Mädchen und ein paar entflohenen Sklaven hatte sich Surraj hier angesiedelt, weit weg von Annampar, wo die Kinder ein freudloses Dasein im goldenen Käfig erwartet hätte.
Aber Abu Bashri, der größenwahnsinnige Mogul, wollte seine Enkel zurückhaben, seinen einzigen Erben und die kleine „Prinzessin“. Er glaubte Surrajs verzweifelten Beteuerungen nicht, er weigerte sich, draußen auf See nach den Kindern zu suchen. Seiner Meinung nach waren Yabu und Yessa mit Surrajs Sklaven-Freunden zu irgendeinem Schlupfwinkel im Landinneren geflohen. Aber nicht einmal die Peitsche konnte den Kapitän der „Candia“ davon abbringen, immer wieder das gleiche zu sagen – und jetzt war auch er geflohen.
Der fette Abu Bashri knirschte erbittert mit den Zähnen. Die Stricke, mit denen seine Leute den Gefangenen an einen Felsblock auf der Landzunge gefesselt hatten, konnte auch ein Erland Surraj nicht aus eigener Kraft zerreißen. Er mußte befreit worden sein. Und es bedurfte keiner langen Überlegung, um zu wissen, wer ihn befreit hatte.
Die Engländer!
Diese verdammten Seewölfe, die es gewagt hatten, den Herrn der Tiger-Flotte, den Mogul von Annampar, schlicht wie einen Papiertiger zu behandeln. Daß die Männer der „Isabella VIII.“ zudem die beiden Kinder aus der kochenden See gerettet und an Bord genommen hatten, konnte Abu Bashri nicht wissen. Aber seine Wut erreichte auch so jenes Maß, bei dem seine Leute anfingen, um ihr Leben zu zittern.
Schon hatte er drei, vier Männer in die Klippen hinaufgescheucht, um nach einem fremden Schiff Ausschau zu halten. Eine weitere Gruppe schickte er auf das Plateau, wo vielleicht Spuren zurückgeblieben waren. Dem Steuermann war klar, daß sie dort eigentlich Wachtposten hätten aufstellen müssen. Das gehörte zwar nicht zu seinen Aufgaben, doch er wußte aus Erfahrung, wie leicht es möglich war, daß es nachträglich zu seiner Aufgabe gemacht wurde, damit Abu Bashri einen Sündenbock hatte.
Wutschnaubend stampfte der fette Mogul durch den Sand bis zu dem Felsblock, an dem nur die Reste der Stricke und die Blutspuren von Surrajs zerschundenem Rücken verblieben waren.
Zwei, drei Sekunden lang starrte Abu Bashri den leeren Platz an. Seine kleinen, fast zwischen Fettwülsten verborgenen Augen glitzerten wie Kohlenstücke. Die fleischigen Nasenflügel vibrierten, die olivfarbene Haut des Gesichts nahm allmählich die Farbe einer reifen Tomate an. Als er herumfuhr, hatte sich der Steuermann wohlweislich ein Stück zurückgezogen.
Abu Bashri holte Luft, um Bej Kinoshan anzubrüllen, seinen kleinen, hageren Vertrauten mit den schwarzen Knopfaugen und der Habichtsnase. Doch auch an dem zog das Gewitter vorbei, weil im selben Moment zwei von den Männern aus den Klippen abenterten.
Atemlos meldeten sie, daß sie im Nordwesten eine Galeone gesichtet hätten, die Anstalten zeige, das Kap zu runden.
Eine Galeone mit überlangen Masten und auffällig flachen Aufbauten.
„Die Engländer!“ zischte Bej Kinoshan, und damit gelang es ihm, die Wut seines Herrn und Meisters von sich abzulenken.
Abu Bashri atmete tief durch.
„Wir gehen ankerauf!“ fauchte er. „Wir werden sie in Fetzen schießen und dafür sorgen, daß die Fische zu fressen haben. Und Surraj, dieser räudige Hund, wird noch den Tag verfluchen, an dem er geboren wurde.“
An Bord der „Isabella“ waren die Signalschüsse gehört worden.
Philip Hasard Killigrew, von Freund und Feind respektvoll Seewolf genannt, schickte Luke Morgan in den Ausguck und ließ gefechtsklar machen. Eine Vorsichtsmaßnahme, die der guten alten Gewohnheit entsprach, auch auf Überraschungen vorbereitet zu sein. Niemand glaubte ernstlich, daß es ein Gefecht geben würde. Die „Isabella“ war schneller und wendiger als Abu Bashris schwimmenden Paläste und konnte der „Tiger-Flotte“, wie die Crew den seltsamen Verband nannte, mit Leichtigkeit davonsegeln.
Der Seewolf sah plastisch vor sich, wie der fette, selbstherrliche Mogul mit seinem Turban und den Prachtgewändern jetzt vor Wut tobte.
Schon die erste Begegnung mit diesem größenwahnsinnigen Narren war alles andere als erfreulich verlaufen. Abu Bashri suchte seine Enkelkinder und deren angeblichen Entführer, einen Eurasier namens Erland Surraj. Der Mogul war überzeugt davon, daß die Engländer den Gesuchten irgendwo an der australischen Küste begegnet sein mußten. Die Wahrheit wollte er nicht glauben. Er hatte es mit Bestechungen versucht, dann mit massiven Drohungen, aber da war er bei den Seewölfen gerade an die richtigen geraten.
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